Was noch auf Verbraucher zukommt - "Das dicke Ende kommt erst noch"

Die steigenden Preise werden für immer mehr Menschen zum Problem. Lebensmittel und vor allem Energie haben sich in diesem Jahr massiv verteuert. Experten rechnen für die nächste Zeit nicht mit einer Entspannung - im Gegenteil. Von Philip Barnstorf
Die Inflation in Deutschland ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine in schwindelerregende Höhen gestiegen. Hohe Öl- und Gaspreise bereiten vielen Menschen Sorgen, ebenso die Kosten für Lebensmittel.
Nicht alle Preise im Warenkorb gleich gewichtet
Das Statistische Bundesamt errechnet die Inflation in Deutschland anhand der Preise von 650 verschiedenen Waren und Dienstleistungen. Fallen die Preise in diesem sogenannten Warenkorb, sinkt die Inflation. Steigen sie, klettert auch die Teuerungsrate. Aber das Bundesamt gewichtet dabei nicht alle Preise gleich. Preisänderungen für Produkte, für die die Haushalte durchschnittlich viel Geld ausgeben, beeinflussen die Inflation stärker. Daher schlagen etwa Preisschwankungen bei Kleidung stärker auf die Inflation durch als Preisänderungen in der Bildung.
Aktuell treiben vor allem zwei Posten aus dem Warenkorb die Inflation in die Höhe: Die Preise für Lebensmittel und für Energie. Für beides zahlen Haushalte normalerweise rund jeweils zehn Prozent ihrer monatlichen Ausgaben. Aber das ändert sich gerade, denn nach Preissteigerungen schon seit mehreren Monaten kosteten Lebensmittel auch im Juni fast 13 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Die Energiepreise stiegen in derselben Zeit sogar um 38 Prozent. Was bedeutet das für Verbraucher?
Nahrungsmittelpreise kommen schnell bei Verbrauchern an
Die steigenden Lebensmittelpreise kommen vergleichsweise schnell bei den Verbrauchern an, denn sie kaufen oft mehrmals die Woche im Supermarkt ein. So kostete etwa Sonnenblumenöl im Mai dieses Jahres fast zwei Drittel mehr als im Mai 2021. Nudeln und Fleisch wurden um ein Drittel teurer. Weizenmehl ist in derselben Zeit um rund 40 Prozent im Preis gestiegen.
Das liegt unter anderem daran, dass die Ukraine das Getreide wegen blockierter Häfen nicht wie gewohnt exportieren kann. Deutschland ist zwar bei der Weizenversorgung nicht unmittelbar von der Ukraine abhängig, aber durch das knappere Angebot steigen die Weizenpreise generell auf dem Weltmarkt. Deshalb haben sich laut Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) auch die Preise für deutschen Weizen in Deutschland mehr als verdoppelt. Indiens Getreideexportstopp verschärft die Lage noch. Auch teurere Verpackungen und wegen Corona nach wie vor stockende Lieferketten bekommen die Verbraucher an der Supermarktkasse zu spüren.
Energiepreise verteuern Nahrungsmittel
Die steigenden Energiepreise belasten nicht nur an sich die Verbraucher, sondern verteuern auch Lebensmittel und viele andere Produkte. Beispiel Milch: Die wird erst erhitzt, um Keime abzutöten. Das kostet Energie. Dann muss sie oft per Lkw in den Supermarkt transportiert werden, wobei hohe Spritpreise fällig werden. Schließlich muss sie während des Transports und anschließend im Supermarkt gekühlt werden, was abermals Energie benötigt. Kein Wunder, dass Milch jetzt gut zehn Prozent mehr kostet als vor einem Jahr.
"Baldige Entspannung ist nicht in Sicht"
Wegen solcher Effekte sagt Stefanie Sabet von der BVE: "Die Gasverfügbarkeit ist das große Damoklesschwert, das gerade über der Ernährungsmittelindustrie hängt."Prognosen seien schwierig, aber sie sehe nicht, dass die Erzeugerpreise in den kommenden Monaten sinken werden. Auch Katarzyna Trietz vom brandenburgischen Verbraucherschutz sagt: "Die Zukunft ist ungewiss. Aber eine baldige Entspannung ist nicht in Sicht."
Sie hält es sogar für möglich, dass Lebensmittel, deren Herstellung viel Energie benötigt, wie Milch oder Öle, noch teurer werden. Und es gibt weitere Indizien, die nichts Gutes verheißen: So konnten die Bauern in der Ukraine im Frühjahr weniger Getreide- und Senfsamen aussäen als sonst. "Die Folgen davon werden erst in der kommenden Erntesaison im Spätsommer oder Herbst zu spüren sein", sagt Sabet.
Gaspreise steigen allen Anbietern
Die Auswirkungen der Energiepreise auf Verbraucherhaushalte sind komplexer. Viele Mieter zahlen jetzt schon höhere Abschlagsrechnungen, weil Gas, Strom und Heizöl teurer werden. Außerdem verlangen laut des Nachrichtenportals t-online viele Grundversorger, die jetzt Kunden von insolventen kleineren Strom-Anbietern aufnehmen müssen, inzwischen doppelt so viel für Strom.
Noch stärker sei der Effekt beim Gas. Wenn Verbraucher hier auf die Grundversorgung zurückfallen, weil ihr bisheriger Gasanbieter wegen der Preisanstiege pleite geht, drohten ihnen fast viermal so teure Tarife. "Generell können Verbraucher nicht mehr so einfach den Anbieter wechseln, weil alle die Preise angezogen haben", sagt Katarzyna Trietz vom Verbraucherschutz.
Mit der Nachfrage steigt der Preis
Aber das ist nicht alles: "Das dicke Ende kommt erst noch. Im kommenden Winter werden die Öl- und Gaspreise zum Heizen weiter massiv ansteigen", sagt Claudia Kemfert, Energie-Expertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Das liegt daran, dass im Winter mehr geheizt wird, sodass die Nachfrage und damit auch der Preis steigt.
Außerdem sind viele Preissteigerungen einfach noch nicht bei den Endverbrauchern angekommen, sondern werden gerade noch von den Gasproduzenten, zu Lieferanten wie Uniper und weiter zu den Verteilern - wie etwa Stadtwerken - weitergegeben. Zum Jahreswechsel dürften also bei vielen Mietern, die Strom und Gas über ihre Vermieter beziehen, massive Jahresendabrechnungen im Briefkasten landen.
Gaspreise dürften auch 2023 steigen
Und es kann gut sein, dass der Preisschock auch dann noch nicht vorbei ist. Es werden nämlich jetzt schon Verträge fürs kommende Jahr ausgehandelt. “Da gehen die Preise nochmal deutlich nach oben, sodass die Gaspreise in den nächsten Jahren sehr hoch bleiben werden”, sagt Claudia Kemfert.
Energiewende und Wärmepumpe als Gegenmittel?
Die Aussichten sind also nicht rosig für Verbraucher. Immerhin: Die Regierung ist nicht machtlos. In der aktuellen Krise hat sie etwa die Abschaffung der EEG-Umlage vorgezogen und die Stromanbieter per Gesetz verpflichtet, die knapp vier Cent Einsparung pro Kilowattstunde an die Verbraucher weiterzugeben. Geringverdiener erhalten einen Heizkostenzuschuss.
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schlägt weitere solcher Zuschüsse vor. Die Wirtschaftswissenschaftlerin regt außerdem an, die Energiewende zu beschleunigen, denn mit erneuerbaren Energie wäre Deutschland viel weniger auf ausländisches Gas angewiesen. Als mittelfristige Lösung nennt Kemfert ein Fachkräfte-Programm, damit schnell mehr Wärmepumpen gebaut werden können. Dann wären weniger Haushalte beim Heizen auf Gas angewiesen.
Aber dennoch: Die kurzfristigen Aussichten sind finster. Ab Montag steht bei der Gas-Pipeline Nordstream 1 eine Inspektion an, während der kein Gas mehr durch die Röhren fließt. Normalerweise dauert die Inspektion zehn Tage. Die Befürchtung ist groß, dass Russland sie dieses Jahr als Vorwand nimmt, um die Lieferungen dauerhaft weiter zu reduzieren ofer ganz einzustellen.
Sendung: rbb24, 08.07.2022, 21:45 Uhr.
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