Mangelnder Nachschub an Medikamenten - Apotheken kämpfen mit Lieferproblemen

Do 14.07.22 | 16:33 Uhr | Von Ludger Smolka
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Der Schriftzug "Apotheke" an einer Fassade. (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
Video: rbb|24 | 14.07.2022 | Material: rbb24 Brandenburg aktuell | Bild: dpa/Jens Kalaene

Viele Medikamente sind derzeit nicht lieferbar, weil internationale Lieferketten stocken. Nicht immer können Apotheker und Ärzte Ersatz organisieren. Die Bundesregierung will handeln - unklar ist, wann. Von Ludger Smolka

An diesem Tag ist es in der Märkischen Apotheke in Strausberg (Märkisch-Oderland) relativ ruhig. Die wenigen Kunden können entspannt bedient werden. Doch die Lieferengpässe bei Medikamenten spürt auch Apothekerin Antje Kunath. "Die Defekt-Liste wurde von Jahr zu Jahr länger", sagt sie. Immer wieder verschrieben Ärzte ihren Patienten Medikamente, die auf ihrer Mängelliste stehen.

Die Folgen sieht Kunath schon jetzt. "Kunden, die schon lange ein bestimmtes Medikament nehmen und es jetzt nicht mehr bekommen, sind beunruhigt", sagt sie. Die Betroffenen fürchteten etwa Nebenwirkungen, wenn die Verpackung anders aussieht. Immerhin: Bisher findet Kunath fast immer eine Alternative. Wenn etwa Paracetamol-Saft fehlte, biete sie das Medikament eines anderen Herstellers mit dem gleichen Wirkstoff an. Auch Zäpfchen könnten den Saft ersetzen.

Mängelliste wird immer länger

Aber nicht immer gibt es Alternativen. Als das Brustkrebsmedikament Tamoxifen auf die Mängelliste kam, stellte sich heraus, dass es praktisch nicht zu ersetzen war. Alternativmedikamente verursachten bei vielen Patientinnen schweren Nebenwirkungen. Der Engpass war wegen Produktionsschwierigkeiten beim einzigen Hersteller dieses Medikaments entstanden. Mittlerweile soll das Problem gelöst sein, teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit.

Das Institut listet auf seiner Internetseite tagesaktuell auf [pharmnet-bund.de], welche Medizinprodukte nicht geliefert werden können. Die Liste wird seit Jahren länger. Von einer dramatischen Lage möchte der Sprecher des Instituts dennoch nicht sprechen. Es könne regional zu einzelnen Engpässen kommen, aber die Versorgungssicherheit sei gewährleistet.

Ein deutschlandweites Problem?

Apothekerin Antje Kunath schüttelt über diese Aussage den Kopf. Als Vorständin des Apothekerverbands Brandenburg spricht sie regelmäßig mit Kollegen aus ganz Deutschland. "Das Problem ist nicht nur vereinzelt hier und da. Das haben alle schon lange", sagt sie. Das bestätigt auch ihre Kollegin Anke Rüdinger vom Berliner Apothekenverein. "Antibiotika, Blutdruckmittel, herzwirksame Arzneimittel - ich habe den Eindruck, dass sich das seit Wochen verschärft." Und: Die Lieferschwierigkeiten führten zu einem enormen Mehraufwand.

Das Unternehmen Takeda aus Oranienburg (Oberhavel) stellt mit seinen 800 Angestellten jährlich rund 5,5 Milliarden Kapseln und Tabletten her. Die meisten sollen etwa gegen Magenschmerzen oder bei Herz-Kreislauf-Problemen helfen. "Ab und an besteht das Risiko, dass bestimmte Teile aufgrund der Corona-Pandemie nicht sofort verfügbar sind", sagt eine Unternehmenssprecherin. "Aber bislang hat das unseren Produktionsprozess in Deutschland nicht negativ beeinflusst." Engpässe habe es bei Takeda nicht gegeben.

Andreas Aumann vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie erklärt das Problem so: Die Hersteller stünden seit Jahren unter einem erheblichen Sparzwang. Deswegen hätten sie ihre Produktion nach Fernost verlagert. Mittlerweile seien 80 Prozent der Arzneimittelproduktion in China und Indien beheimatet. Antibiotika würden sogar fast ausschließlich in China hergestellt. Es sei eine enorme Abhängigkeit entstanden.

Abschreckendes Beispiel: Abhängigkeit von Russland

Mit Blick auf die Erfahrungen mit russischem Öl und Gas setze nun ein Umdenken ein. Das habe allerdings Konsequenzen. "Wenn wir wollen, dass die Produkte bei uns vor Ort produziert werden, dann müssen wir alle als Solidargemeinschaft bereit sein, mehr zu zahlen", sagt Andreas Aumann.

Anke Rüdiger, die Apothekerin aus Berlin, unterstützt das: "Mehr Produktion in Deutschland wünschen wir uns sehr", sagt sie. Zumindest essenzielle Wirkstoffe sollten in Europa hergestellt werden. "Gesundheit ist so ein wichtiges Gut. Deshalb glaube ich, dass die Bevölkerung bereit ist, mehr zu zahlen."

Bundesregierung will handeln

Auch die Bundesregierung will, dass hierzulande wieder mehr hergestellt wird. "Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern", heißt es im Koalitionsvertrag. Dafür soll Bürokratie abgebaut und Investitionszuschüsse geprüft werden.

Die Umsetzung dürfte allerdings Jahre dauern, denn kein Unternehmen kann gezwungen werden, seine Produktion wieder rückzuverlagern. Was also tun? Man prüfe derzeit Eckpunkte gesetzlicher Maßnahmen, schreibt das Bundesgesundheitsministerium dazu auf Nachfrage, "Bitte haben Sie Verständnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen zum Zeitplan hierzu erfolgen."

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.07.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Ludger Smolka

46 Kommentare

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  1. 46.

    Du hast es auf den Punkt gebracht, es ist genauso wie Du es beschrieben hast.
    Nur leider konnte ich mich nicht so gut ausdrücken.

  2. 45.

    Zur Klarstellung: die Ärztin muss Paracetamol/Codein sogar verschreiben, sie darf es natürlich auch tun. Aber sie darf es nicht zur Lasten der GKV verschreiben, ändert aber nichts daran, dass eine Verschreibung nötig ist (egal welche Farbe und Format das Rezept hat - das ist nur für die Abrechnung der Apotheke wichtig).
    Ihr Ärztin braucht da auch nicht lange suchen. Sie braucht nur eine Wirkstoff Verordnung mit Menge und Stärke machen, damit gehen Sie dann in die Apotheke und als Selbstzahler vereinbaren Sie mit der Apotheke welche Firma genommen wird, sofern es lieferfähifg ist.

  3. 44.

    Na dann liebe(r) Doktor dann schreibe mir mal bitte von woher ich denn Paracetamol/Codeinphosphat-Hamihydrat ohne ein grünes Rezept bekomme?
    Mein Fr. Doktor sagt mir das ich diese Tabletten selbst bezahlen muss und es die nur durch ein grünes Rezept gibt da sie diese nicht verschreiben darf. Meine Krankenkasse macht da nicht mit, ich bin halt nicht Privatversichert.
    Meine Ärztin sucht solange bis sie eine bezahlbare Variante für mich gefunden hat. Es gibt bei diesem Medikament eine wahnsinnig große Preisdifferenz.

  4. 43.

    Ich kann mich nicht erinnern, Sie oder jemand anderen beleidigt zu haben, ich habe nur Empfehlungen ausgesprochen. Seien Sie nicht so arrogant!

  5. 41.

    Die Medikamente, die der Patient wirklich braucht, zahlt auch die Kasse, wenn es auch manchmal nicht gleich vorrätig ist, aber besorgt werden kann. Privatrezepte gibt es meisten für auch frei verkäufliche Artikel.

  6. 40.

    Zur Info für die Leser: beim Großhandel sind zur Zeit keine Paracatamol-Zäpfchen 75, 125,250 mg egal von welcher Firma zu bekommen. Damit gibt es auch keine Alternativen mehr zu Fiebersäften!

    Ratiopharm hat die Winterbevorratung für Apotheken für Paracetamol komplett gestrichen!

    Siehe hier:

    https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/winterbevorratung-ratiopharm-streicht-auch-fiebersaefte/

  7. 39.

    Gina, etwas mehr Beachtung der Nettiquette ist bei Ihnen vonnöten. Nur weil Sie angeblich vom Fach sind, berechtigt es Sie nicht, sich in dieser Art und Weise Anderen ggü. zu äußern. Achten Sie bitte besser auf Ihre Äußerungen.

  8. 38.

    Wissen Sie was in Deutschland ebenfalls teurer verkauft wird, als sagen wir mal in Indien oder Rumänien? Alles andere auch! Das ist eine ganz schöne Abzocke, dass sie hier ein halbes Schwein nicht für 15 Euro bekommen, oder? Wussten Sie eigentlich, dass Arzneimittel aus Deutschland auch gerne mal von englischen oder skandinavischen Großhändlern gekauft werden, weil die hier billiger sind als dort? Mal überlegen, vielleicht liegt es daran, dass die Preise für Waren in einem Land angepasst sind an das Einkommen der Bevölkerung. Entsprechend zahlen Sie in Norwegen auch für die Pizza 28 Euro, hier 12 und in Rumänien 3 Euro. Ähnlich bei Arzneimitteln.

  9. 37.

    Da haben Sie recht. Was geschrieben wurde ist leicht nachzulesen. Manches sollte man nicht vergessen, um Fehler nicht zu wiederholen. Oder haben Sie Interesse daran, dass Dtl. immer weiter "abgehängt" wird? Vor allem wenn es nicht nötig ist und andere Marktbegleiter so erfreut, dass wir von denen dann einkaufen müssen...

  10. 36.

    Auch in Krankenhäusern gibt es Lieferprobleme bei Medikamenten. Meine Termine zur Behandlung im KH wurden deshalb im Juni 2x abgesagt...
    "Ersatzmedikamente" sind für viele Patienten o.k. Ich habe aber diverse Nahrungsmittel-u. Medikamenten-Unverträglichkeiten. Mit extremen Nebenwirkungen, auch bei minimalen Änderungen in der Zusammensetzung der Medikamente. Es liegt nicht an der anderen Verpackung, wie im Bericht geschrieben ! Solche Bemerkungen sind für Betroffene unerträglich.

  11. 35.

    Lieber RBB, recherchiert
    doch mal, warum ein Medikament in Deutschland
    oftmals teurer verkauft wird als in anderen europäischen Ländern. Wie so oft habe ich den Eindruck, dass wir in Deutschland abgezockt werden.

  12. 34.

    Du kannst Dir Deine Ironie ruhig sparen.
    Heutzutage gibt es auch für Menschen die kaum bis gar kein Geld haben Privatrezepte, da die Kassen schon lange nicht mehr alle Leistungen bezahlen.

  13. 33.

    "Apotheken kämpfen mit Lieferproblemen"
    Leute keine Panik! Ich habe vorgestern Frühmorgens ein Rezept für meine Mutter abgeben und erfahren, dass dieses Medikament in der Apotheke nicht wie sonst gleich vorrätig ist wegen Lieferschwierigkeiten. Aber am Nachmittag zum Feierabend wars da. Die Apotheken und der Medikamentengroßhandel sind untereinander vernetzt. Irgendwo treiben die immer noch ne Packung auf. Dauert halt nur. Und in 3 Monaten haben die aus Indien oder China per Luftfracht auch wieder genügend da.
    Dieser Artikel schärft nur das Bewusstsein, dass nicht immer alles sofort verfügbar ist. Also mal ein wenig vorsorgen ohne zu horten. Nicht bis auf die letzte Tablette planen!

  14. 32.

    An die RBB Redaktion: die verlinkte Seite pharmnet-bund listet keine Medizinprodukte auf, sondern Arzneimittel. Die Begriffe bezeichnen grundlegend unterschiedliche Produkte.

    Auch beim Tamoxifen bitte besser recherchieren: der Hersteller hatte keine Probleme. Überall im Ausland war Tamoxifen erhältlich. In Deutschland ist aber der Preis, den die Krankenkassen bereit sind zu zahlen, so niedrig, dass die Firmen damit hier keinen Gewinn mehr machen und für deutschen Markt nichts mehr produzieren.

  15. 31.

    Im Nachhinein kann auch jeder Verbraucher was machen, wenn das Zeug schon hier ist. Einfach nicht kaufen.

  16. 30.

    Ironisch nur bis zur Hälfte ... Danach ist‘s bitterernst (gemeint) … Diese (verlogenen) Teuerungsankündigungen sind der Gipfel der Unverschämtheit … Hoher Automatisierungsgrad bei hohen Mengen oder Stückzahlen sorgen heutzutage bei jedem Produkt für moderate Herstellungskosten …. Auch bei denen, die in der EU produziert werden … Wir reden hier von GRUNDSTOFFEN … Das ist (quasi) Massenware … Und, die Pharmaindustrie macht GAR KEIN Geschäft mehr, wenn ihr wegen einer Krise in oder mit überseeischen Gebieten die GRUNDSTOFFE wegbleiben … Pharma hat also ein strategisches Eigeninteresse an der (teilweisen) Rückverlagerung von Produktion.

  17. 29.

    Spargel aus PERU ? Essen kann man den aber- wenn der schon mal hier ist sollte man den nicht verdammen. Vorher schon. Die Discounter boten aber auch Heidelbeeren aus Peru an. Die stanken so sehr nach "Antifauling". Widerlich; der weite Weg erforderte diese Behandlung; sagte man. Ist ja auch verständlich. In der Sansibar auf Sylt war so ein Mist bestimmt nicht im Angebot.

  18. 28.

    Das haben Sie schön geschrieben, habe sehr gelacht. Sollte doch Ironie sein, oder, ansonsten empfehle ich zum Arzt zu gehen.

  19. 27.

    Na da bin ich aber froh, dass Ihre Apotheke Ihr Privatrezept einlösen konnte.

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