Berliner Feuerwehr - "Wir waren längst verbrannt, jetzt sind wir verglüht"

Brände, Verkehrsunfälle, Überschwemmungen: Die Berliner Feuerwehr ist Ausnahmezustände gewohnt. Doch immer mehr Einsätze und Personalnöte bringen viele an die Belastungsgrenze. Für die Berliner kann das gefährlich sein. Von Franziska Hoppen
Weit mehr als 100 Mitarbeiter der Berliner Feuerwehr und des Rettungsdienstes warten auf Einlass zur außerordentlichen Personalversammlung im Henry-Ford-Bau. Die Behördenleitung wird da sein und ihre Aufsicht, die Berliner Innenverwaltung. Da will man Präsenz zeigen. Und seinem Ärger Luft machen. Denn die Feuerwehr hat ein massives Problem, finden ihre Mitarbeiter: Es gibt zu wenig Personal, während die Zahl der Einsätze immer weiter steigt.
Zu Spitzenzeiten rücken Feuerwehr und Rettungsdienst aktuell rund 1.700 mal pro Tag aus. Das teilt der Leiter der Berliner Feuerwehr, Karsten Homrighausen mit. "Wir waren längst verbrannt", sagt ein wartender Mitarbeiter, "jetzt sind wir verglüht".
Anfahrtszeiten von mehr als 30 Minuten
Die Folge dieser Überlastung sind immer mehr sogenannte "Ausnahmezustände": 2021 wurde der Ausnahmezustand 178 mal ausgerufen. In diesem Jahr allein schon 180 mal. Das heißt: Immer öfter werden Fälle nach Härte priorisiert, muss Personal von anderswo einspringen, werden Fahrtzeiten unter Umständen länger.
Ein Wachabteilungsleiter, der auch zur Personalversammlung will, sagt: "Kollegen fahren mittlerweile auch vom Rand der Stadt nach Wilmersdorf, Charlottenburg, Mitte, Lichtenberg - teilweise mit Anfahrtszeiten von mehr als 30 Minuten." Vorgeschrieben sind in Berlin aber maximal 10 Minuten. Und das Personal, das dann in diesen Wagen sitzt, ist oft eigentlich für Löschfahrzeuge vorgesehen.
Diese Lage spitzt sich zu. So schreibt die Gewerkschaft der Polizei Ende Juni in einer Pressemitteilung: "Gestern war es Punkt 18:17 Uhr so weit: Für fast 4 Millionen Menschen in der Hauptstadt stand kein einziger Rettungswagen mehr zur Verfügung." In Feuerwehrkreisen heißt es, dass diese Nicht-Verfügbarkeit in Zukunft wahrscheinlich öfter vorkommen dürfte. Nicht zuletzt, weil auf Berlin in Zukunft auch weitere Hitzerekorde warten, Starkregen und andere Extrem-Wetter-Ereignisse.
Woher kommen die vielen Notrufe?
Wie aber kommt es zu so viel mehr Einsätzen? So richtig genau mag dies keiner erklären. Der Ärztliche Leiter der Feuerwehr verweist auf ein wachsendes und alterndes Berlin, der Landesbranddirektor auf die Corona-Pandemie, andere auf die Schwierigkeit, in Berlin zeitnah Arzttermine zu bekommen. Wieder andere sagen, es gebe immer mehr Anrufe wegen Bagatellen – überspitzt gesagt: wegen des Papierschnitts etwa.
Der Landesverband der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft (DFeuG) hingegen sieht auch einen Fehler im System: Stand jetzt entscheidet und haftet laut dem Berliner Rettungsdienstgesetz alleine der Ärztliche Leiter der Feuerwehr für die Disposition von Rettungsmitteln. Vereinfacht gesagt heißt das: Sollte aus dem vermeintlich harmlosen und deshalb unbehandelten Papierschnitt doch eine Sepsis werden, trägt die Verantwortung der Ärztliche Leiter.
Einsätze wegen Bagatellen
Landesbranddirektor Homrighausen betont zwar, "die Abgabe an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung liegt bei uns mit einer Quote von 7 Prozent über den Quoten der vergleichbaren Gemeinden in Deutschland" – demnach fährt der Rettungsdienst also gar nicht so häufig zu Bagatellen. Trotzdem berichten Feuerwehrleute von diesen Bagatell-Einsätzen, so etwa hier in einer anonymen Mail an den Personalbeirat.
"Mit anderen Worten - es war alles dabei; von Zahnschmerz, Übelkeit, Fieber, Rücken, medizinisches Hilfe-Ersuchen, keine weiteren Angaben, Kind krank, allgemeines Unwohlsein; 'Fühl-mich-nicht-gut', 'Hab-das-schon-seit-Wochen', 'Mein-Hausarzt-hat-doch-zu'. Nur kein einziger Notfall, für den eine medizinische Handlungsanweisung auch nur in die Nähe einer Anwendung kam."
Gesetzesänderung soll kommen
Die DFG und auch die Gewerkschaft der Polizei fordern deshalb, das Berliner Rettungsdienstgesetz anzupassen. Laut GdP sollte nicht mehr nur der Ärztliche Leiter, sondern ein größeres Gremium über die Disposition von Einsatzmitteln entscheiden. Bestehen soll es aus der Leitung der Berliner Feuerwehr, dem Beirat für den Rettungsdienst und den Leitungen der Rettungsstellen der Krankenhäuser.
Auch eine Priorisierung schon in der Leitstelle wäre laut GdP angebracht. Wieder vereinfacht gesagt: Der Herzinfarkt wird zuerst angefahren, dann der Papierschnitt.
Staatssekretär Thorsten Akmann, der an diesem Montag die Innenverwaltung vertritt, will sich einsetzen. Das teilt er nach der Veranstaltung mit: "Die Gesetzesänderung habe ich zugesagt. Natürlich muss es am Ende des Tages das Berliner Abgeordnetenhaus machen. Aber wir werden jetzt als Innenverwaltung zeitnah an dieses Gesetz rangehen, mit Tempo, Tempo, Tempo."
Mehr Rettungssanitäter im Notarzteinsatz denkbar
Doch worum es bei dieser möglichen Gesetzesänderung aus Akmanns Sicht gehen könnte, lässt er weitestgehend offen. Nur so viel: "Es gibt sehr hohe Qualitätsanforderungen. Da müssen wir wahrscheinlich hier und da über eine Qualitätsabsenkung sprechen." Auch das hatten die Gewerkschaften so ähnlich vorgeschlagen. Aktuell sitzen auf einem Rettungswagen je ein intensiv ausgebildeter Notfallsanitäter und ein kürzer ausgebildeter Rettungssanitäter. Auf dem Notarzteinsatzfahrzeug sitzen ein Notfallsanitäter und ein Notarzt. Denkbar ist, dass hier künftig mehr Rettungssanitäter eingesetzt werden, damit das hoch qualifizierte Personal besser verteilt werden kann. Aber nach weniger Einsätzen klingt auch das nicht.
Über viele kleine Lösungen wird an diesem Vormittag auch diskutiert. Über eine bessere Datenlage etwa. Krankenhäuser könnten zum Beispiel eine Statistik für die Feuerwehr führen, wonach aus einem Papierschnitt höchst selten eine Sepsis wird, so ein Vorschlag. Das könnte helfen, die Disposition anzupassen. Oder Rettungswagen könnten die Erlaubnis bekommen, auf dem Weg zur Bagatelle noch umzudrehen, um zum Herzinfarkt ganz in der Nähe zu fahren. Vielleicht per GPS-Verortung im Wagen. Oder eine Leitstelle wird eingerichtet für Krankentransporte, die leichtere Fahrten übernehmen könnten.
Über all das soll laut Innenverwaltung weiter in einer Taskforce diskutiert werden. Doch bis konkrete Maßnahmen geschaffen sind, um mehr Personal und weniger Einsätze zu erreichen, wird es dauern. Das Gefühl zu verglühen, konnten Behördenleitung und Innenverwaltung heute noch nicht aus der Welt schaffen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.07.2022, 19:30 Uhr