Entschärfungsareal mit wenigen Alternativen - Warum im Berliner Grunewald Munition gesprengt wird

Do 04.08.22 | 15:46 Uhr
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Hinweis auf Zufahrt: durch den Wald geht es zum Sprengplatz Grunewald. (Quelle: Imago/Joko)
Audio: rbb24 Abendschau | 04.08.2022 | T. Schmutzler/Th. Gabriel | Bild: imago/Joko

Einst der Not geschuldet - heute kaum zu ersetzen: Der Sprengplatz Grunewald wurde 1950 geschaffen, um unweit der Stadt aber fernab von Besiedlung Bomben sprengen und entschärfen zu können. Die Suche nach Alternativen läuft seit Jahren erfolglos.

Autobahn, Fahrradweg, Spazierpfade und dann: der Sprengplatz. Im Berliner Grunewald ist dieses Grundstück nicht auf den ersten Blick auch als Sicherheitsareal zu erkennen. Der Zugang führt vom Kronprinzessinnenweg auf halber Strecke zwischen der abbiegenden Havelchaussee und dem Hüttenweg. Zu erkennen ist eine Art Baugrundstück mit Containern und Schuppen, das zu Nikolassee (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) gehört. "Jagen 65" lautet die unspektakuläre Adresse: eine Art forstwirtschaftliche Zuordnung zu einem Waldstück in Zehlendorf.

Seit 72 Jahren Entschärfungen und Sprengungen

Auf dem Areal werden seit 72 Jahren von der Polizei sichergestellte Sprengkörper und kleinere Fundmunition gelagert. Auf einem angrenzenden Bereich tiefer im Grunewald werden diese dann unschädlich gemacht, viele davon auch kontrolliert gesprengt durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst der Berliner Polizei.

Jährlich werden hier mehrere größere Sprengungen durch die Polizei organisiert - oft eine im Frühjahr und eine im Herbst. Dabei werden größere Munitions- und Sprengfunde kontrolliert gezündet. Dafür wird dann meist die angrenzende Avus zwischen Hüttenweg und Spinnerbrücke gesperrt. Für die weitaus öfter stattfindenden Sprengungen kleinerer Funde muss die Autobahn meist nicht gesperrt werden. Mehrere Tausend Tonnen Sprengstoff wurden hier in den vergangenen Jahrzehnten zerstört, Tausende Bomben entschärft oder kontrolliert gesprengt.

Alte Bomben auf dem Sprengplatz Grunewald in Berlin. (Quelle: imago/U.Steinert)

Die größeren kontrollieren Sprengungen werden meist durch bis zu 100 Polizisten rund um das Areal und auf den Zufahrtswegen bewacht. Bemerkt werden diese Sprengungen durch die meisten oft nur durch die Meldungen in den Medien: "Sperrung der Avus aufgrund von Sprengarbeiten" heißt es dann, die Sperrungen dauern meist nur wenige Minuten.

Seit 1950 Spreng- und Lagerareal

Der Platz wurde 1950 eingerichtet für die Sammlung und Entschärfung der beim Wiederaufbau entdeckten Fundmunition aus den Bombenangriffen aus der Luft vor allem durch britische Bomber ab Dezember 1943. Auch Blinggänger- und Fundmunition wie Granaten aus dem späteren Bodenkampf um Berlin 1944 und 1945 wurden hier gesammelt und entschärft.

Bis zum März 1944 etwa flog die britische Royal Air Force 16 Großangriffe mit Hunderten von Flugzeugen auf Berlin und warfen nach Angaben des Senats rund 47.000 Tonnen Munition auf die Stadt ab. Rund 15 Prozent der abgeworfenen Bomben zündeten Experten zufolge dabei nicht. Tausende Blindgänger werden darum noch unentdeckt im Berliner Boden vermutet.

Früher nützlich, jetzt umstritten aber mit wenig Alternativen

Doch der Sprengplatz ist in seiner Lage seit Jahren umstritten, der Grunewald ist ein Landschaftsschutz- und Naturschutzgebiet. Nach dem Krieg war der Platz noch passend für den Zweck - sehr weit weg von Siedlungen, leicht abzusperren, aber nicht zu weit entfernt von den getroffenen und zerstörten Bereichen im Zentrum. Westberlin hatte allerdings bis zur Wende nicht die Möglichkeit, auf das Umland auszuweichen wie die Ostberliner Kampfmittelbeseitiger. Die Ostberliner konnten in wenig besiedelten Bereichen in Brandenburg Blindgänger sprengen und entschärfen.

Mehrere Bemühungen um Alternativen in den letzten Jahrzehnten

In den vergangenen Jahrzehnten führte das Land Berlin immer wieder Gespräche mit dem Land Brandenburg über eine gemeinsame Kampfmittelbeseitigung auf einem märkischen Sprengplatz. 2005 meldete der damalige Innensenator Erhart Körting (SPD), Brandenburg sei nur bereit, mit nichtchemischen Zusätzen versehene Sprengstoffe in einem gemeinsamen Areal zu beseitigen.

Darüber hinaus müsse man dann zu einem einheitlichen Verfahren bei der Beseitigung von Sprengstoffen kommen, so Körting. Während Berlin Sprengkörper vorsichtig vom Fundort weg zum Sprengplatz Grunewald transportiere, sprenge Brandenburg die Sprengkörper vor Ort. Ein längerer Transport der Sprengkörper von Berlin nach Brandenburg wäre aus Sicht des Senats risikoreicher. Der von Brandenburg hauptsächlich genutzte Sprengplatz liegt in Kummersdorf (Teltow-Fläming), noch einmal 80 Kilometer weiter südlich von Berlin.

Die Verhandlungen mit Brandenburg verliefen seinerzeit im Sande. Aber auch danach gab es immer wieder Anläufe für eine Verlagerung des Sprengplatzes. 2019 versuchte das Land nach rbb-Informationen über die landeseigene Berliner Immobilien-Management GmbH (Bim) einen neuen Standort zu finden – erfolglos.

Im Mai 2020 gab es erneute Gespräche zwischen dem Berliner Landeskriminalamt mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst Brandenburg über eine mögliche Zusammenarbeit. Auch dabei zeigte sich, dass man mit Brandenburg nicht übereinkommt. Dem Vernehmen nach scheiterte eine Zusammenarbeit auch an bürokratischen Hürden. So wäre in Brandenburg etwa eine Kampfmittelbeseitigung auch an Sonn- und Feiertagen und "nach Büroschluss" nicht zu machen gewesen.

Innenministerium Brandenburg: Keine offiziellen politische Gespräche

Das Brandenburger Innenministerium hat aber Berichte zurückgewiesen, wonach es politische Gespräche über eine Verlegung des Berliner Sprengplatzes der Polizei aus dem Grunewald nach Brandenburg gegeben habe oder gibt. Ein Sprecher erklärte zu dem, dass dies auch nicht in den gemeinsamen Vorhaben beider Länder aufgeführt sei. Allerdings wolle er Gespräche auf Arbeitsebene nicht ausschließen.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ausnahmesituation, dem Brand und der Explosion im Grunewald biete Brandenburg dem Land Berlin aber kurzfristig und vorübergehend Hilfe an, sollte der Sprengplatz in nächster Zeit nicht verwendbar sein.

Der Sprecher erklärte weiter, dass das Land Berlin einen Löschroboter der Falkenseer Feuerwehr angefordert habe. Weitere Kooperationen könnte es auf kommunaler Ebene geben, sprich, es könnten umliegende Feuerwehren vor Ort sein.

Rund eine halbe Million Euro Kosten für den Sprengplatz alljährlich

Der Betrieb des Sprengplatzes im Grunewald schlägt laut aktuellem Haushaltsplan von Berlin mit etwa einer halben Million Euro pro Jahr zu Buche. Davon entfallen etwa 370.000 auf Betriebs- und Nebenkosten. Die Nettokaltmiete ist mit 100.000 Euro veranschlagt. Für die reine Kampfmittelbeseitigung sind im Haushaltsplan jährlich 35.000 Euro vorgesehen.

Neben den Ausgaben erwirtschaftet der Sprengplatz auch in geringerem Umfang Einnahmen für den Landeshaushalt. In den Jahren 2018 bis 2020 waren dies rund 80.000 Euro. Dabei handelt es sich um Einnahmen aus der Vermietung von Lagerflächen für Zünd- und Sprengmittel.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2022, 14:20 Uhr

Berliner Feuerwehr kämpft gegen Brand und Explosionen im Grunewald

36 Kommentare

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  1. 36.

    BB kann sich selbst ganz gut allein regieren - OHNE Berliner Zutun. Nein, die Ursprünge liegen bereits vor 1945 u. viele Berliner wünschen sich bis heute ein neues Groß Berlin, wie z.B. die Eingemeindung diverser Vororte Berlin-Mahlsdorf 1920, Berlin-Hellersdorf in den 1980'ern u. Städteplaner es erst im Frühjahr zeigten. Nach 1990 war ich selbst von der Überheblichkeit der Berliner betroffen, als so genannter "Ossi" in einer großen Berliner AG, bis ich durch Fachkompetenz das Gegenteil bewies.

  2. 35.

    Genau, und ausserdem war Grundlage des in den 90er Jahren an Brandenburg gescheiterten Referendums über die Länderfusion, dass Potsdam Hauptstadt des neuen Bundeslandes werden sollte!

  3. 34.

    Frankfurt liegt z. B. näher an Mainz als an Wiesbaden. Die Frage ist nicht die, wie F. mit WI. oder MZ. klar kommt, sondern wie und auf welcher Basis insgesamt mit allen Bürgern einer Region umgegangen wird. Hier in d. Region werden tlw. bis heute gerne die Brandenburger Bürger als d. naiven Kleinbürger dargestellt, die am Besten ohne eigene Meinung u. Widerspruch (siehe Kommentare) alles hinnehmen sollen. Respektiert es einfach, BB ist nicht B u. es darf auch eigene Politik machen u. sie leben!

  4. 33.

    Den Sprengplatz Grunewald gibt es seit 72 J. und er hat während dieser ganzen langen Zeit der Stadt gute Dienste bei der Entsorgung der nunmal vorhandenen Altlasten des Krieges geleistet. Bemerkenswerte Zwischenfälle gab es, soweit mir bekannt ist, nicht. Und jetzt schmeißen sich die Neunmalklugen mit gewichtiger Miene vor die Kameras um zu verkünden, dass sie ja schon immer gewarnt hätten, groß schwafeln, aber ohne Alternativen im Ärmel. Einen Sprengplatz kann man nicht mal eben wie einen Bauplatz fürs Reihenhaus austauschen. Und nun mal im Ernst, es kann alles noch so sicher sein, und das war es offensichtlich für 72 Jahre, gegen menschliches Versagen, Dummheit oder Vorsatz ist nichts gefeit.

  5. 32.

    Für die immer wieder aufgeführten Ängste von Bevormundung durch die Berliner Landesregierung (welche dann ja eine gemeinsame Landesregierung wäre) sehe ich keine Grundlage.
    Das ist wohl noch ein Relikt aus DDR Zeiten, wo die Hauptstadt gegenüber der Region bevorzugt wurde.

  6. 31.

    Polen hat seine Wälder von Kriegslasten befreit, der Wille war da und man hat das durchgezogen. Berlin und BB brauchen Geld vom Bund, der sollte hier einspringen, denn der Krieg wurde nicht von den Bundesländern geführt, sondern von Deutschland.

  7. 30.

    Wie erträgt es nur eine Metropole wie Frankfurt am Main, aus dem provinziellen Wiesbaden regiert zu werden?

  8. 29.

    Warum der Sprengplatz auch als Lagerplatz verwendet wird, leuchtet mir nicht ein. Wieso lagerten dort rd. 25 Tonnensprengbaren Materials? Hätte man diese Menge nicht peu à peu abarbeiten müssen?
    Beirut findet also auch in Deutschland statt. Hoffentlich werden wenigstens hier die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.

  9. 28.

    In 30 Jahren (!!!!!!) keine Lösung gefunden, keine Einigung mit Brandenburg, keine Alternativen gefunden.... ???? Sowas ist ein Armutszeugniss und spricht für die Politik die nicht nur in Berlin sondern im gesamten Land betrieben wird...

  10. 27.

    Was bitte hat die Hilfe in akuten Gefahrensituationen, gar die Rettung von Menschenleben, was vorbehaltlos zu leisten ist, mit der jetzigen Situation in Berlin, oder auch in Brandenburg, zu tun? Nichts. Die Lagerung von Sprengstoff stellt dagegen eine latent vorhandene Gefahr da. Ob man eine solche den Bürgern eines anderen Bundeslandes "aufdrücken" kann ist dagegen nicht nur ein Politikum sondern betrifft auch die Belange der ortsansässigen brandenburger Bürger. Das Problem wird in seiner Gesamtheit nur verlagert, nicht gelöst. Persönlich kann ich mir durchaus vorstellen, das die Brandenburger bei der aktuellen Brandlage auch in Berlin aushelfen würden. Leider ist Personal endlich und die Aufgaben wohl vielfältig. Es muss ja keine Länderfusion sein, eine gemeinsame Zusammenarbeit im Bereich der Feuerwehr, der Rettungsdienste, ja auch der Polizeien wäre sehr hilfreich. Nur müssten beiderseits sehr viel "alte Zöpfe" fallen.

  11. 26.

    Danke für Ihre beschwichtigenden Worte! Sie sprechen mir aus dem Herzen.

  12. 25.

    Es hat bei mir nichts mit der von Ihnen angeführten "so genannten Mauer im Kopf" zu tun. Ich bin gerne für eine Kooperation (!) beider Bundesländer bereit, lehne jedoch generell, wie viele andere Brandenburger auch, eine Bevormundung durch ein anderes Bundesland und deren Bürger ab! Oder anders, wie würde es Ihnen gefallen, wenn das BL Berlin, durch eine Landesregierung mit Landtag in Potsdam (BB) regiert wird, ohne auf die Besonderheiten der Länder, Regionen und spez. Berlins einzugehen?

  13. 24.

    Mit der momentanen Lösung wartet Berlin offensichtlich einige Wochen oder Monate mit der Sprengung/Entschärfung.
    In Brandenburg müsste es zwingend sofort und am Wochenende oder nach Feierabend sein?
    Wer hatte in den Gesprächen nun die eigenartigen Vorstellungen?
    Eventuell sollte die Bereitschaft des Sprengmeisters dann auch noch von Brandenburg gestellt werden.
    Berlin ist ja zu weit weg.

  14. 23.

    Also ich bin kein Befürworter einer Länderfusion von B und BB. Aber bei solchen Dingen sollten beide Länder über ihren Schatten springen. Es sollten sich die Innensenatorin und der Innenminister bei einem Kaffee zusammensetzen und eine Lösung finden. Wir können es ins nicht mehr leisten Waldflächen zu gefährden. Wir können alle zufrieden sein, dass die heutige Geschichte bisher glimpflich verlaufen ist. Es hilft nicht immer sich gegenseitig die Befindlichkeiten um die Ohren zu hauen. Beide Länder profitieren voneinander, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen.

  15. 22.

    Berlin liegt nunmal im Schoße Brandenburgs. Schon mal was von Zusammenarbeit gehört? Gegenseitiger Hilfestellung? Gemeinsam könnte man sich bspw. mal dafür stark machen, ausreichend Mittel vom Bund zu bekommen, um das Munitionsproblem in beiden Bundesländern besser in den Griff zu bekommen. @Gronau hat ja schon allerhand an Berliner Engagement für BB aufgezählt, schade dass das überhaupt notwendig ist.

  16. 21.

    Nicht zu fassen. Ja, so geht Solidarität. Danke für die Einsichten, wohl tatsächlich noch ne Mauer im Kopf ...

  17. 20.

    Das ist ein informativer Bericht, der die Geschichte und Überlegungen zur Problematik im Umgang mit Munitionsfunden gut beleuchtet. Wenn längere Anfahrtswege bzw. eine Einigung mit Brandenburg nicht infrage kommen, wird man sich wohl mit der Sicherheit des Platzes beschäftigen müssen. Das betrifft dann insbesondere das Löschen von Bränden.

  18. 19.

    Liebe Berliner, fragt doch mal in Bayern nach!!

  19. 18.

    Es ist schon recht bezeichnend, dass der Grunewald für alles Mögliche herhalten muss: Schon recht früh für eine schnurgerade Eisenbahntrasse, für die schnurgerade AVUS, für die ehemalige Abhöranlage und selbstverständlich auch noch für den Sprengplatz der Polizei.

  20. 17.

    Aber wenn es im brandenburgischen brennt sind Feuerwehr und die Wasserwerfer der Berliner Polizei gern gesehen. Auch am Wochenende und nach Büroschluss. Und eine Menge Unfallopfer aus Brandenburg verdanken Berliner Kliniken ihr Leben, rund um die Uhr. Irgendwie kotzt mich dieser Förderalismus richtig an. Corona wird das im Herbst auch wieder verdeutlichen, der Virus kennt und beachtet garantiert die Landesgrenzen….macht weiter so…not in my backyard..

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