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Audio: rbb24 Abendschau | 04.08.2022 | T. Schmutzler/Th. Gabriel | Quelle: imago/Joko

Entschärfungsareal mit wenigen Alternativen

Warum im Berliner Grunewald Munition gesprengt wird

Einst der Not geschuldet - heute kaum zu ersetzen: Der Sprengplatz Grunewald wurde 1950 geschaffen, um unweit der Stadt aber fernab von Besiedlung Bomben sprengen und entschärfen zu können. Die Suche nach Alternativen läuft seit Jahren erfolglos.

Autobahn, Fahrradweg, Spazierpfade und dann: der Sprengplatz. Im Berliner Grunewald ist dieses Grundstück nicht auf den ersten Blick auch als Sicherheitsareal zu erkennen. Der Zugang führt vom Kronprinzessinnenweg auf halber Strecke zwischen der abbiegenden Havelchaussee und dem Hüttenweg. Zu erkennen ist eine Art Baugrundstück mit Containern und Schuppen, das zu Nikolassee (Bezirk Steglitz-Zehlendorf) gehört. "Jagen 65" lautet die unspektakuläre Adresse: eine Art forstwirtschaftliche Zuordnung zu einem Waldstück in Zehlendorf.

Waldbrand und Explosionen

Feuerwehreinsatz im Grunewald wird sich bis Freitag hinziehen

Die Situation im brennenden Grunewald bleibt angespannt: Am Donnerstagabend gab es neue Detonationen. Die Feuerwehr zog daraufhin ihre Einsatzkräfte aus dem Sperrkreis zurück. Am Freitagmorgen soll die Lage neu bewertet werden.

Seit 72 Jahren Entschärfungen und Sprengungen

Auf dem Areal werden seit 72 Jahren von der Polizei sichergestellte Sprengkörper und kleinere Fundmunition gelagert. Auf einem angrenzenden Bereich tiefer im Grunewald werden diese dann unschädlich gemacht, viele davon auch kontrolliert gesprengt durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst der Berliner Polizei.

Jährlich werden hier mehrere größere Sprengungen durch die Polizei organisiert - oft eine im Frühjahr und eine im Herbst. Dabei werden größere Munitions- und Sprengfunde kontrolliert gezündet. Dafür wird dann meist die angrenzende Avus zwischen Hüttenweg und Spinnerbrücke gesperrt. Für die weitaus öfter stattfindenden Sprengungen kleinerer Funde muss die Autobahn meist nicht gesperrt werden. Mehrere Tausend Tonnen Sprengstoff wurden hier in den vergangenen Jahrzehnten zerstört, Tausende Bomben entschärft oder kontrolliert gesprengt.

Quelle: imago/U.Steinert

Die größeren kontrollieren Sprengungen werden meist durch bis zu 100 Polizisten rund um das Areal und auf den Zufahrtswegen bewacht. Bemerkt werden diese Sprengungen durch die meisten oft nur durch die Meldungen in den Medien: "Sperrung der Avus aufgrund von Sprengarbeiten" heißt es dann, die Sperrungen dauern meist nur wenige Minuten.

Seit 1950 Spreng- und Lagerareal

Der Platz wurde 1950 eingerichtet für die Sammlung und Entschärfung der beim Wiederaufbau entdeckten Fundmunition aus den Bombenangriffen aus der Luft vor allem durch britische Bomber ab Dezember 1943. Auch Blinggänger- und Fundmunition wie Granaten aus dem späteren Bodenkampf um Berlin 1944 und 1945 wurden hier gesammelt und entschärft.

Bis zum März 1944 etwa flog die britische Royal Air Force 16 Großangriffe mit Hunderten von Flugzeugen auf Berlin und warfen nach Angaben des Senats rund 47.000 Tonnen Munition auf die Stadt ab. Rund 15 Prozent der abgeworfenen Bomben zündeten Experten zufolge dabei nicht. Tausende Blindgänger werden darum noch unentdeckt im Berliner Boden vermutet.

Früher nützlich, jetzt umstritten aber mit wenig Alternativen

Doch der Sprengplatz ist in seiner Lage seit Jahren umstritten, der Grunewald ist ein Landschaftsschutz- und Naturschutzgebiet. Nach dem Krieg war der Platz noch passend für den Zweck - sehr weit weg von Siedlungen, leicht abzusperren, aber nicht zu weit entfernt von den getroffenen und zerstörten Bereichen im Zentrum. Westberlin hatte allerdings bis zur Wende nicht die Möglichkeit, auf das Umland auszuweichen wie die Ostberliner Kampfmittelbeseitiger. Die Ostberliner konnten in wenig besiedelten Bereichen in Brandenburg Blindgänger sprengen und entschärfen.

Mehrere Bemühungen um Alternativen in den letzten Jahrzehnten

In den vergangenen Jahrzehnten führte das Land Berlin immer wieder Gespräche mit dem Land Brandenburg über eine gemeinsame Kampfmittelbeseitigung auf einem märkischen Sprengplatz. 2005 meldete der damalige Innensenator Erhart Körting (SPD), Brandenburg sei nur bereit, mit nichtchemischen Zusätzen versehene Sprengstoffe in einem gemeinsamen Areal zu beseitigen.

Darüber hinaus müsse man dann zu einem einheitlichen Verfahren bei der Beseitigung von Sprengstoffen kommen, so Körting. Während Berlin Sprengkörper vorsichtig vom Fundort weg zum Sprengplatz Grunewald transportiere, sprenge Brandenburg die Sprengkörper vor Ort. Ein längerer Transport der Sprengkörper von Berlin nach Brandenburg wäre aus Sicht des Senats risikoreicher. Der von Brandenburg hauptsächlich genutzte Sprengplatz liegt in Kummersdorf (Teltow-Fläming), noch einmal 80 Kilometer weiter südlich von Berlin.

Die Verhandlungen mit Brandenburg verliefen seinerzeit im Sande. Aber auch danach gab es immer wieder Anläufe für eine Verlagerung des Sprengplatzes. 2019 versuchte das Land nach rbb-Informationen über die landeseigene Berliner Immobilien-Management GmbH (Bim) einen neuen Standort zu finden – erfolglos.

Im Mai 2020 gab es erneute Gespräche zwischen dem Berliner Landeskriminalamt mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst Brandenburg über eine mögliche Zusammenarbeit. Auch dabei zeigte sich, dass man mit Brandenburg nicht übereinkommt. Dem Vernehmen nach scheiterte eine Zusammenarbeit auch an bürokratischen Hürden. So wäre in Brandenburg etwa eine Kampfmittelbeseitigung auch an Sonn- und Feiertagen und "nach Büroschluss" nicht zu machen gewesen.

Innenministerium Brandenburg: Keine offiziellen politische Gespräche

Das Brandenburger Innenministerium hat aber Berichte zurückgewiesen, wonach es politische Gespräche über eine Verlegung des Berliner Sprengplatzes der Polizei aus dem Grunewald nach Brandenburg gegeben habe oder gibt. Ein Sprecher erklärte zu dem, dass dies auch nicht in den gemeinsamen Vorhaben beider Länder aufgeführt sei. Allerdings wolle er Gespräche auf Arbeitsebene nicht ausschließen.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ausnahmesituation, dem Brand und der Explosion im Grunewald biete Brandenburg dem Land Berlin aber kurzfristig und vorübergehend Hilfe an, sollte der Sprengplatz in nächster Zeit nicht verwendbar sein.

Der Sprecher erklärte weiter, dass das Land Berlin einen Löschroboter der Falkenseer Feuerwehr angefordert habe. Weitere Kooperationen könnte es auf kommunaler Ebene geben, sprich, es könnten umliegende Feuerwehren vor Ort sein.

Rund eine halbe Million Euro Kosten für den Sprengplatz alljährlich

Der Betrieb des Sprengplatzes im Grunewald schlägt laut aktuellem Haushaltsplan von Berlin mit etwa einer halben Million Euro pro Jahr zu Buche. Davon entfallen etwa 370.000 auf Betriebs- und Nebenkosten. Die Nettokaltmiete ist mit 100.000 Euro veranschlagt. Für die reine Kampfmittelbeseitigung sind im Haushaltsplan jährlich 35.000 Euro vorgesehen.

Neben den Ausgaben erwirtschaftet der Sprengplatz auch in geringerem Umfang Einnahmen für den Landeshaushalt. In den Jahren 2018 bis 2020 waren dies rund 80.000 Euro. Dabei handelt es sich um Einnahmen aus der Vermietung von Lagerflächen für Zünd- und Sprengmittel.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.08.2022, 14:20 Uhr

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