Berliner Staatsanwaltschaft - Erstmals Anklage gegen mutmaßlichen Wehrmachtssoldaten erhoben

Fr 12.08.22 | 20:02 Uhr
Archivbild: Haupthalle im Kriminalgericht Moabit. (Quelle: dpa/P. Znidar)
Bild: dpa/P. Znidar

Es geht um grausamen Mord in 809 Fällen: Die Berliner Justiz prüft Vorwürfe gegen einen mutmaßlichen Wehrmachtssoldaten. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den 98-Jährigen erhoben. Es wäre der erste Fall dieser Art.

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen einen 98-Jährigen erhoben. Nach NDR-Informationen wirft sie dem früheren mutmaßlichen Wachmann in einem Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht grausamen Mord in 809 Fällen vor [ndr.de].

Das Gericht ließ die Anklage vom Mai bislang nicht zu, sondern gab bei der Staatsanwaltschaft Nachermittlungen in Auftrag, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Bislang sei nicht absehbar, ob es zum Prozess kommt.

Früheres Gefangenenlager in Westukraine

Der Mann, der dem NDR zufolge in Berlin lebt, soll als 19-Jähriger auf einem Wachturm im Kriegsgefangenenlager Wladimir-Wolynsk auf dem Gebiet der heutigen Westukraine eingesetzt gewesen sein. Dort wurden sowjetische Soldaten unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Viele Gefangene verhungerten oder starben an Krankheiten. Die Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem 98-Jährigen vor, diese Tötungen mit seinem Handeln unterstützt zu haben, sie sieht das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt.

Dem NDR zufolge diente der Soldat von November 1942 bis März 1943 in dem Lager. Weil er damals noch unter 21 Jahre alt war, gilt er nach dem heutigen Strafrecht als Heranwachsender. Darum wurde die Anklage vor einer Jugendkammer des Berliner Landgerichts erhoben.

Erste Anklage dieser Art

Nach NDR-Informationen handelt es sich um die erste Anklage gegen einen mutmaßlichen Wachmann eines Kriegsgefangenlagers der Wehrmacht. Nach der Verurteilung des Wachmanns John Demjanjuk im Jahr 2011 wegen Beihilfe zu tausendfachen Morden werden auch Wachleute niedriger Ränge strafrechtlich verfolgt. Nach dieser geänderten Rechtspraxis wird die einfache Wachtätigkeit in einem KZ, in dem systematisch Menschen ermordet wurden, als Beihilfe zum Mord gewertet.

Ende Juni war in Brandenburg ein ehemaliger Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord an tausenden Häftlingen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht Neuruppin sah es als erwiesen an, dass der heute 101-Jährige von 1942 bis 1945 als SS-Wachmann in dem KZ tätig war und Beihilfe zum Mord an mehr als 3.500 Häftlingen geleistet hatte. Der Mann bestritt dies. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.08.2022, 21 Uhr

Nächster Artikel