Probleme im Bezirk Marzahn-Hellersdorf - Zwei Monate in der Leichenhalle, weil das Amt unterbesetzt ist

So 31.07.22 | 08:10 Uhr | Von Marek Walde
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Archivbild: Särge stehen im Kühlhaus des städtischen Krematoriums. (Quelle: dpa/B. Schackow)
Video: rbb24 Abendschau | 30.06.2022 | Marek Walde | Bild: dpa/B. Schackow

In Deutschland darf ein Verstorbener nur mit Genehmigung bestattet werden. Normalerweise kein Problem - doch im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf kann dieser Vorgang zurzeit bis zu zwei Monate dauern. Mit weitreichenden Folgen für die Angehörigen. Von Marek Walde

Gestorben wird bekanntlich immer, doch damit ist eine verstorbene Person noch lange nicht beerdigt. Um in Deutschland bestattet zu werden, braucht es eine Bestattungsgenehmigung. Diese gibt es bei einer Urnenbestattung normalerweise nach allerspätestens zwei Wochen. Anders sieht es aktuell im Bezirk Marzahn-Hellersdorf aus: Nach Angaben mehrerer Bestattungsunternehmen sind beim dortigen Standesamt aktuell Wartezeiten von sechs bis acht Wochen die Regel. Mit Folgen für alle Beteiligten.

Swanhild Hausmanns Mann ist Mitte Juni verstorben. Rund sechs Wochen hat es gedauert, bis die Beerdigungsgenehmigung erteilt wurde. Einen ersten Beerdigungstermin musste sie deswegen absagen. Zum zweiten Termin sind nur ihr Sohn und sie erschienen, weil bis kurz vor der Beerdigung nicht klar war, ob diese stattfinden kann. "Wie soll man jetzt irgendwelchen Freunden, Bekannten, das 95. Mal erklären: 'Ne, an dem Tag nicht, Ihr müsst nochmal sehen, das muss nochmal verschoben werden' und so weiter. Ich hab denen allen dann irgendwie abgesagt, und dann machen wir es ganz klein und dann ist es auch gut. Wir können es nicht ändern."

Swanhild Hausmann fühlt sich vom Amt im Stich gelassen: "Trauer ist da nicht mehr viel, da ist bloß noch irgendwie Wut, weil man irgendwie nicht weiß, wie es weitergeht. Das ist irgendwie nur Wut, warum lassen einen Menschen so hängen?"

Keine Sterbeurkunde, keine Übergangsrente

Neben der psychischen Belastung für die Angehörigen entstehen auch weitere Kosten. Rund zehn Euro kostet die Kühlung einer verstorbenen Person pro Tag. Entsprechend erhöhen sich die Kosten bei einer zwei Monate langen Kühlung. Verstorbene dürfen erst nach dem Erteilen der Bestattungsgenehmigung verbrannt werden. Bestatterin Britta Uebel, überwiegend in Marzahn-Hellersdorf tätig, sagt, dass es aktuell bei Hundert Prozent der Marzahner-Fälle zu den beschriebenen Verzögerungen komme.

Der Mann von Swanhild Hausmann konnte nun beigesetzt werden, doch damit ist für die Rentnerin der Ärger mit dem Bezirksamt noch nicht vorbei. Denn nach der Beerdigungsgenehmigung wartet sie jetzt auf die Sterbeurkunde. Auch hier gibt es Probleme, sagt Bestatterin Uebel: "Es ist einfach so, dass ich zurzeit sehr viele Sterbeurkunden dort [Anm.: beim Standesamt Marzahn-Hellersdorf] zu liegen habe, die nach acht Wochen immer noch nicht bearbeitet sind. In dem Fall von Frau Hausmann ist es natürlich auch sehr schlimm, weil nach 28 Tagen, nachdem ihr Mann verstorben ist, hätte ich die Übergangsrente beantragen müssen, damit Frau Hausmann nicht in dieses finanzielle Loch fällt. Dann bekäme sie nämlich drei Monate eine Übergangsrente in Höhe seiner Rente. Und das konnte ich gar nicht machen, und das ist kein Einzelfall“, erklärt Bestatterin Uebel.

Sie hantiere zwar nicht mit Geld wie "Rockefeller-Junior", sagt Swanhild Hausmann, "aber ich muss ja auch noch die ganzen Rechnungen in der Runde bezahlen. Der Bestatter bracht sein Geld, der Friedhof möchte sein Geld haben, alle anderen Kosten laufen normal weiter. Irgendwo ist auch mal dann mein Geld zu Ende", fürchtet sie.

"Es bedroht Existenzen"

Die Konsequenzen sind weitreichend, wenn keine Sterbeurkunde vorliegt. Dieses ist das offizielle Dokument, das den Sterbefall amtlich bestätigt. Das führt dazu, dass - selbst wenn der Verstorbene schon beerdigt ist - beispielsweise Wohnungen, Versicherungen und Verträge nicht gekündigt werden können. Außerdem wird keine sogenannte Vorwitwenrente ausgezahlt. Also das Geld, das Verwitwete bis zum endgültigen Witwenrentenbescheid bekommen. Dieses muss binnen 28 Tagen beantragt werden, so ist es vom Gesetzgeber vorgesehen, doch das ist nicht möglich, wenn die Sterbeurkunde in diesem Zeitraum noch nicht ausgestellt wurde. Es fallen also laufende Kosten an, während den Betroffenen die Hände gebunden sind.

Auch Bestatter Carsten Witt hat mit fehlenden Beerdigungsgenehmigungen und Sterbeurkunden zu kämpfen. Er ist zwar überwiegend in Köpenick tätig, hat aber auch immer wieder mit Sterbefällen aus Marzahn zu tun: "Es bedroht Existenzen", sagt er aufgebracht. In einem Fall warte er beispielweise seit Anfang April darauf, dass eine Person bestattet werden könne. Nicht selten sehe er sich bei solchen Verspätungen mit Vorwürfen konfrontiert: "Die Angehörigen glauben, wir sind schuld. Aber wir können nichts machen", beteuert er. In den anderen Bezirken habe er solch lange Wartezeiten noch nie erlebt.

Ein Eindruck, den auch Bestatterin Silvana Lundi teilt: Sie ist in Berlin und Brandenburg unterwegs und nur unregelmäßig in Marzahn-Hellersdorf. Selbst bei einer Erdbestattung habe sie es dort erlebt, dass Genehmigungen über vier Wochen gedauert haben. Der Körper kann sich in dieser langen Phase stark verändern. "Die Verstorbenen haben ein Recht darauf, ihre Ruhe zu finden", mahnt sie. "Das ist so nicht möglich." Sie fordert eine Beschleunigung der Prozesse und stellt klar: "Personalmangel interessiert mich da nicht."

Bezirk verweist auf Personalmangel

Doch genau auf Personalmangel verweist das Bezirksamt auf Anfrage des rbb: "Die Personalsituation ist sicherlich in allen Bezirken schwierig, dennoch ist sie in Marzahn-Hellersdorf besonders schwierig", heißt es in einer schriftlichen Antwort. Im Standesamt, das für Sterbeurkunden zuständig ist, gebe es große Lücken. "Im Juni 2022 war Marzahn-Hellersdorf der einzige Bezirk, in dem die Anwesenheitsquote der Standesbeamt:innen unter 50 Prozent sank - nämlich auf 33,7 Prozent. Bedauerlicherweise setzt sich dieser Trend im Juli fort - aktuell ist nur eine einzige Standesbeamtin vor Ort."

Die mit den langen Bearbeitungszeiten verbundenen Probleme seien dem Standesamt bewusst, hieß es. "Bedauerlicherweise gibt die derzeitige krankheitsbedingte Personalsituation keine schnellere Bearbeitung der Unterlagen her, nur eine kurzfristige Personalverstärkung würde helfen." Bestattungsunternehmen sollen jetzt kurzfristig eine Terminsprechstunde wahrnehmen können. Außerdem werde mit der Senatsverwaltung über eine personelle Unterstützung verhandelt.

Bestatterin Britta Uebel hat in den kommenden Tagen einen Termin beim Standesamt in Marzahn-Hellersdorf. Sie werde, sagt sie, nicht eher von dort weggehen, ehe sie nicht die Sterbeurkunde von Swanhild Hausmanns verstorbenem Ehemann hat.

Sendung: rbb24 Abendschau, 30.07.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Marek Walde

94 Kommentare

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  1. 94.

    Hätte die Dame ein vernünftiges Bestattungsunternehmen beauftragt, hätte sie die Sterbeurkunde am Tag der Beantragung in den Händen gehalten

    Kein Bestatter macht Termine. Wir fahren zum zuständigen Standesamt und nehmen die Urkunde gleich mit. Das ist bundesweit und auch in Berlin üblich

    Wenn ein Bestatter jedoch keinen Mitarbeiter hat, der nur Urkunden besorgt, bleibt nur die postalische Variante

    Meine Mitarbeiter und ich sind über 40 Jahre auf dem Berliner Markt tätig

  2. 93.

    @ Eiskalle, so wie ich den Kommentaren entnehmen kann liegt das Problem aber am Bestattungsunternehmen.

  3. 91.

    @ Tilda, Sie haben ja gar keine Ahnung wofür man heutzutage alles ein Studium braucht. Ich verstehe nur nicht warum es früher auch ohne ging. Um das zu verstehen bräuchte ich aber höchstwahrscheinlich ein Studium.

  4. 90.

    "Sie machen Fehler, [...] Prüfschemata können sie nicht umsetzen"
    Doch das können Sie. Wenn das Fachverfahren auf dem Stand aus der Steinzeit ist und am Bedarf vorbei geht (Stichwort Schnittstellen!) dann brauchen Sie keinen ausgebildeten Verwaltungsbeamten, sondern einen Analytiker.
    Ein Quereinsteiger muss nicht den Urkundsbeamten ersetzen, aber er kann das Verfahren bis zur Urkundsreife umsetzen.
    Ein Verwaltungs(Fach-)mitarbeiter ist kein Garant für Fehlerfreiheit. Das sollte Ihnen bekannt sein, wenn Sie nur einfach mal bei den Verwaltungsgerichten nachfragen, wie viele Verfahren dort anhängig sind.

  5. 89.

    "Es steht nirgends geschrieben, in welcher Frist eine Entscheidung getroffen werden muss"
    Ein Blick ins Gesetz bringt vielleicht Erleuchtung.
    Stichwort §75 VWGO.
    Und im Falle der Beurkundung des Todes dürfte Satz 2, zweiter Halbsatz einschlägig sein. Nach 6 Wochen für die Beerdigungsgenehmigung sind nochmal acht Wochen für eine Sterbeurkunde wohl eher unzumutbar. Spätestens nach den ersten 6 Wochen sollte ein EV geboten sein.
    Aber mit den Trauernden kann man es ja machen.

  6. 87.

    Hier wird auch nichts mehr utersucht.
    Es muss nur einer da sein, der das kann - in qualitativer und quantitativer Hinsicht.
    Eine Person allein kann das nicht leisten.

  7. 86.

    Sie verstehen leider wirklich gar nichts vom deutschen Rechtssystem.
    So eine Urkunde kann die Grundlage von vielem sein. Das war ja hier auch zu lesen.

    Polemik und Feindseligkeit kann man sich da sparen.

  8. 85.

    Dazu bedarf es Einblick. Den haben halt nicht alle. Ich teile aber Ihre Verwunderung.

  9. 84.

    Nein, würde man nicht. Da besteht leider kein unmittelbarer Zusammenhang. Der öffentliche Dienst ist da sehr träge. Das würde hier aber auch wenig nützen: es bedarf hier ausgebildeten Personals und das gibt es nicht. Berlin hat eine ganze Generation lang wegen Sparvorgaben nicht ausgebildet. Der Notstand ist vorprogrammiert. Dann kommt Corona dazu + Sommerferien... das ist schon vorstellbar - leider !

  10. 83.

    Es ist doch nicht mehr nachvollziehbar wie man in Berlin und im Bezirk Marzahn/Hellersdorf mit Hinterbliebenen von Verstorbenen umgeht sowas von pietätslos. Unsere Verantwortlichen sollten sich schämmen im Senat oder den Bezirken so kann man es nicht machen hier muß eine schnelle Änderung statt finden.

  11. 82.

    Ich kann mich den Kollegen nur anschließen.

    Auch wir gehen ohne Termin zu den Ämtern und können alle nötigen Unterlagen sofort mitnehmen. Das ist nicht nur in Berlin so.

    Schließlich gibt es im Bestattungsrecht auch Fristen zu beachten. Vielleicht liegt es an der Erfahrung und Professionalität des gewählten Unternehmens?

    Selbst im Trauerfall ist Geiz nicht immer geil

  12. 81.

    Dann machen die Quereinsteiger eine Ausbildung oder ein Studium des Verwaltungsrechts.

    Frischer Wind ohne Kenntnis der Materie?

  13. 80.

    Mit 30 Jahren Berufserfahrung als Bestatterin kann ich sagen, dass diese Geschichte nicht rund ist.

    Kein Bestatter organisiert eine Trauerfeier, wenn noch Unterlagen fehlen und dadurch eine Beisetzung im Anschluss gefährdet sein könnte.

    Jeder vernünftige Bestatter schickt einen Mitarbeiter direkt zum Amt um die nötigen Unterlagen zu besorgen. Diese werden auch gleich ausgehändigt.

    Wenn der Bestatter die Unterlagen auf dem Postweg besorgt, ist das nicht professionell und unüblich



  14. 79.

    Quereinsteiger wenden Recht falsch an? Wie bakannt haben die Sozialgerichte viel zu tun, die Rechtsanwendung in manchen Âmtern zu korrigieren. Rechtsanwendung ist nicht immer einfach. Ein Quereinsteiger könnte dabei Betriebsblindheit überwinden. Frisches "Blut" im Prozess könnte auch eine Chance sein.

  15. 78.

    Personalmangel sind faule Ausreden, mehr nicht. Es gibt kein Personalmangel, sonst würde man ja Personal einstellen...

  16. 77.

    Interessant ist, dass hier mehrere Fachleute dem Artikel widersprechen, sogar dieses Amt ausdrücklich loben "Als Bestatter kommt man immer dran..." Was machen die anders / besser als die Beschwerdeführer?

  17. 76.

    Der Bürger bekommt, was er gewählt hat.

    Jetzt geht's nur noch mit massiven Einstellungen und Steuererhöhungen

    Und zwar Ausbildung und Einstellung von Fachkräften und keine Quereinsteiger.

    Es gibt sicher Jobs, in denen Quereinsteiger ne gute Lösung sind. Die Verwaltung zählt nicht dazu.

    Vielleicht behandeln ja jetzt Senat und Bezirke ihre Verwaltungskräfte endlich besser.

  18. 75.

    Das Problem, wie bei dem Fall der Frau Hausmann, ist ja, die Kosten laufen weiter. Wenn dann die Sterbeurkunde endlich vorhanden ist bekommt man auch kein Geld zurück weil die Kündigung erst ab da gelte. Und was der Vorwitwenrente wird ja auch nicht mehr gezahlt. Da müsste man das Amt in Haftung nehmen und zur Nachzahlung auffordern. Personalnot hin oder her, aber wenn die von den Behörden etwas von jemandem will, am besten vorgestern vor übermorgen.

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