WG-Zimmer verzweifelt gesucht - Mehr als 3.800 Studierende warten in Berlin auf einen Wohnheimplatz

Mo 12.09.22 | 06:05 Uhr | Von Freya Reiß
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Ein Student steht vor einem Schwarzen Brett (Quelle: dpa/Schoening)
Audio: rbb24 Inforadio | 12.09.2022 | Thomas Rautenberg | Bild: dpa/Schoening

In keinem anderen Bundesland gibt es prozentual so wenig Plätze in Wohnheimen für Studierende wie in Berlin. Der Senat hatte versprochen, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen. Doch drei Wochen vor Semesterstart sind WG-Zimmer rar - und sehr teuer. Von Freya Reiß

Auf die Freude über den Jura-Studienplatz an der Humboldt-Universität folgte bei Ida aus Baden-Württemberg schnell die Ernüchterung. Seit Ende August hat die 18-Jährige gut 400 Anfragen über wg-gesucht.de, Ebay-Kleinanzeigen oder Instagram verschickt. Nur sechs WGs konnte sie besichtigen, auf eine Zusage wartet sie bis heute.

Ida durchforstet ständig die Portale, doch dabei findet sie oftmals nur befristete Angebote zu sehr hohen Preisen: 700 Euro Monatsmiete für zehn Quadratmeter seien keine Seltenheit, sagt sie. Mittlerweile habe sie richtig Angst, zum Semesterstart kein Zimmer zu finden.

Jura-Studentin Ida (Quelle: rbb)
Jura-Studentin Ida | Bild: rbb

Bundesweit schlechteste Unterbringungsquote von Studierenden

Um abseits vom umkämpften Wohnungsmarkt ein Zimmer zu finden, bietet das Studierendenwerk Berlin Wohnheimplätze an. Doch die Warteliste ist dieses Jahr wieder sehr lang: Mehr als 3.800 Studierende stehen drauf, Tendenz steigend. Ida hat sich dort auch beworben, aber Aussicht auf einen Platz habe sie erst in zwei bis drei Semestern, schätzt die Sprecherin des Studierendenwerkes Berlin, Jana Judisch: "Wir haben schlicht nichts im Angebot. Die Studierenden müssen warten und sich gedulden."

Die Unterbringungsquote von Studierenden in öffentlich geförderten Wohnheimen, inklusive denen der landeseigenen Wohnungsunternehmen wie Berlinovo oder Howoge, ist laut Deutschem Studentenwerk in keinem Bundesland so niedrig wie in Berlin [studentenwerke.de/PDF]. Sie liegt bei 5,32 Prozent. Spitzenreiter ist Thüringen mit einer Quote von 16,39 Prozent. Brandenburg liegt bei 14,26 Prozent.

Zu wenig Neubau

2015 wurde seitens des Senats versprochen, sich für mehr bezahlbaren Wohnraum für Studierende einzusetzen. Mindestens 5.000 Wohnheimplätze sollten von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und dem Studierendenwerk gebaut werden. Doch das Ziel sei nicht erreicht worden, beklagt Jana Judisch vom Studierendenwerk Berlin. Von 2018 bis 2022 sind nach Angaben der Senatsverwaltung lediglich 2.448 neue Wohnheimplätze gebaut worden, das geht aus einer parlamentarischen Anfrage der Linken aus dem Mai dieses Jahres hervor [pardok.parlament-berlin.de].

Insgesamt vermietet das Studierendenwerk 9.189 Wohnplätze in 32 Wohnheimen in Berlin. Es könne sich derzeit keine weiteren Neubauten leisten, betont Jana Judisch. Auf den eigenen Grundstücken sei so viel nachverdichtet worden wie möglich. Abgesehen davon sei schlichtweg kein Geld für neue Wohnheime da. Wegen der steigenden Energiekosten hatte das Studierendenwerk kürzlich zudem angekündigt, ab Januar 2023 die Mieten in den Wohnheimen bei Neuverträgen und Folgeverträgen ab dem 1.9.2022 um 60 Euro pro Monat zu erhöhen.

Dubiose Angebote bei der WG-Suche

Auch die 19-Jährige Kiara aus München sucht vergeblich eine Wohnung in Berlin. Ab Oktober studiert sie Medizin an der Charité. Selbst in Berliner Randlagen würden für kleinere Zimmer 600 Euro und mehr verlangt, sagt Kiara. Auf mehreren sozialen Plattformen habe sie ihr Wohnungsgesuch mit Foto veröffentlicht - und dabei schlechte Erfahrungen gemacht. Mehrmals hätten sie schon zwielichtige Männer kontaktiert, die Sex gegen WG-Zimmer anbieten. "Einer hat mir geschrieben, er habe ein Zimmer in Neukölln für 300 Euro im Monat. Das läge natürlich unter dem Mietspiegel und das müsse man 'anders' aufstocken", erinnert sie sich. Sie habe sich noch nie so geekelt.

Wohnheimzimmer doppelt belegen

Das Studierendenwerk wirbt in der aktuellen Wohnungsnot darum, Einzelzimmer, die groß genug seien, übergangsweise doppelt zu belegen. Eine große Nachfrage gibt es dafür bisher noch nicht. 25 Zimmer sind laut Studierendenwerk derzeit so vermietet. Für Ida aus Baden-Württemberg und Kiara aus Bayern ist das keine wirkliche Alternative. Sie hoffen noch, bis zum Semesterstart ein bezahlbares WG-Zimmer zu finden. Ansonsten wollen sie die ersten Wochen mit Couchsurfing und Hostels überbrücken.

Hinweis der Redaktion: Die Wohnungssuchenden wollten nicht mit vollem Namen genannt werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.09.2022, 08:05 Uhr

Beitrag von Freya Reiß

65 Kommentare

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  1. 65.

    Dann sollen die Studenten in ihre Heimatdörfer zurückkehren und eine Ausbildung im Handwerk beginnen.

  2. 64.

    Das subventionierte Studium sollte zukünftig von einer vorausgehenden, abgeschlossenen Berufsausbildung abhängig gemacht werden.

    Sofort studieren würde im Umkehrschluss bedeuten, dass das Studium mehr als den Semesterbeitrag in Höhe von ca. 300 kostet, sagen wir vielleicht dann 2500 Euro.

    Damit sind die Kosten des Studiums noch lange nicht gedeckt.

    https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/statistik-so-viel-kosten-studenten-ihre-unis-pro-jahr-a-1078683.html

    Ein Student der Humanmedizin kostet eine Uni im Jahr durchschnittlich 31.690 Euro, ein angehender Veterinärmediziner immerhin 18.730 Euro.

    Weitaus weniger geben Unis hingegen für Studenten der Gesundheitswissenschaften (1290 Euro) sowie in der Sprach- und Kulturwissenschaftlern (6700 Euro) aus.

  3. 62.

    Na, in der Vergangenheit war es so. Heute ziehen immer mehr Menschen frühzeitig Zuhause aus. Willkommen in 2022.

  4. 61.

    Vielleicht sollte das Angebot an Studienplätzen der Lage auf dem Arbeitsmarkt angepasst werden. Auch eine Regulierung über die Einführung von Studiengebühren wäre sinnvoll. Letztlich kann man nur an der Uni studieren, in deren Nähe es auch Wohnraum gibt. Nun ist es ja nicht so, dass es keine Wohnungen gibt. Auch pendeln ist Studenten durchaus zumutbar

  5. 60.

    Regularien? Nein, die braucht es nicht. Regularien schaffen keine Wohnungen sondern verhindern Investitionen

    Letztlich kann man nur dort studieren, wo man auch leben kann. Viele junge Menschen müssen lernen, dass man im Leben auch einen Plan B benötigt. Übrigens können sich Studenten das Studium durch Arbeit finanzieren. Ging bei uns früher doch auch. Aber wenn heute schon Studenten auf der Work Live Balance rumreiten..

  6. 59.

    DIE WUNSCH-UNIS KLUG AUSWÄHLEN
    1Bis zu sechs Wunsch-Unis können Bewerber bei hochschulstart.de angeben. Gut zu wissen: Mehr als die Hälfte der Unis berücksichtigt nur diejenigen Bewerber, bei denen sie auf den vorderen Rängen der Wunschliste stehen (also auf den Plätzen 1 bis 3). Bei etlichen Unis ist sogar jeder aus dem Rennen, der diese nicht an erster Stelle genannt hat. Bei Tiermedizin etwa wollen von den fünf Unis, die das Fach anbieten, drei auf dem ersten Rang stehen. Deshalb: aufpassen, wie man seine Wunsch-Unis platziert. Ob die Ortspräferenz bei einer Hochschule eine Rolle spielt, steht hier.“

    https://www.zeit.de/studium/studienfuehrer-2016/medizinstudium-bewerbung-tipps-chancen/seite-2?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F

  7. 58.

    Ihre Aussage zu Jura ist definitiv falsch.

    Frankfurt/Oder hat z. B. keinen NC.

    https://www.mystipendium.de/studium/jura-studieren/ohne-nc

    (88 Studiengänge in Rechtswissenschaften sind NC-frei).

    Hier wird sich direkt an den Universitäten beworben, hier wird eben nichts mehr zentral zugewiesen, in der Medizin schon.

    Allerdings gibt man bei der Bewerbung hier seinen Wunsch-/Sehnsuchtsort natürlich an.

    1979 mag das anders gewesen sein.

  8. 57.

    Ich lebe in einer Studenten WG. Rund 50% der Bewerber haben fast unerfüllbare, von Werbung und Istagram vergurkte Ansprüche und haben keine Muße darauf zu verzichten. Es gab auch Fälle, wo wir uns von Mitbewohnern wieder trennen mussten. Oft sind eher die normalen Azubis die realitätsnäheren.
    In eigener "Sache":
    Bitte liebe Eltern, bringt euren Zöglingen doch bitte wenigstens die Grundlagen eines Haushaltes bei. Man stellt keine Töpfe mit Deckel in die Spülmaschine oder Tassen mit Öffnung nach oben. Und T-Shirts bei 95°, beschichtete Pfanne mit Messer oder Stahlschwamm... Leute, ihr habt Abitur !
    Und diese Hotel Mama Attitüden sind auch nicht förderlich für WG's

  9. 56.

    Vielleicht gibt es auch einfach zu viele Studenten und zu viele unnütze Studiengänge, die auch eine Ausbildung ersetzen könnte. In Greifswald studiert es sich entspannter wie auch in Cottbus etc. Aber die Wahl fällt eben auf Party Berlin und dann jammern, dass der Traum nicht auf geht.
    Es sind eben nicht alles Ärzte um gleich noch zu verschweigen, dass diese nach dem von der Gesellschaft finanziertem Studium eben nicht dort hingehen wo sie wirklich gebraucht werden wie etwa die ländlichen Gegenden und Kleinstädte.
    Wie 48) sagt, brauchen wir Handwerker, Bauern und Produktion, denn die und nur die erwirtschaften all das was wir verbrauchen. Nicht Gamedesigner/ Brauerei- und Getränketechnologie/ Bühnenbild/ Filmwissenschaft.. und mir wird ja ganz übel, wenn ich die Listen so lese.

  10. 55.

    Sehnsuchtsort?
    Kiara und Ida sind die Studienplätze zugewiesen worden. Jura und Medizin sind Fächer mit Numerus Clausus. Da kann man sich nichts aussuchen.
    Auch bei Fächern ohne NC ist man öfters eingeschränkt. Als ich 1979 hier angefangen habe zu studieren hätte ich als Alternative nur München gehabt.

  11. 54.

    Die können doch studieren.

    Aber wenn keine Wohnungen am Sehnsuchtsort frei oder bezahlbar sind, Pech.

  12. 53.

    Mir fehlt im Beitrag etwas wichtiges.

    Die seit Jahren steigenden, abnormen Mieten werden gezahlt. Wenn nicht von den Studierenden, dann wohl von Oma, Opa, Mama, Papa und sonst wen.

    Nun das Gemeinte, steigen diese Mieten, steigen auch die Mieten für "normale" Bewohner, Mieter im Umfeld. Verdrängung ist die Folge.

    Es braucht brauchbare Regularien, den Irrsinn der Mietforderungen zu stoppen... auf Dauer.

  13. 52.

    Herrlich! Auf Helgoland! Da sind nur ein paar Strassen, er muss zu Fuß oder mit dem Rad, aber eine super Gegend. Und die Aussicht traumhaft! Er hat es geschafft!

  14. 51.

    Schreibt dir jemand vor, was du mit deinem Leben machen sollst? Nee, also lass die Leute doch studieren. Nicht nur im Handwerk fehlt Personal, auch Mediziner, Mitarbeiter im ÖD (die bei diversen Stellen auch ein Studium absolviert haben müssen) etc werden gesucht.

    Man sollte auch mal über den Tellerrand hinaus schauen!

  15. 50.

    Ja wenn der Student bei der Studienzulassung gleich einen Unterbringungsantrag stellt für in und um Berlin rundum dann wird wohl ein Bettchen frei sein








    l ein Bettchen frei sein

  16. 49.

    Ich habe während meiner Ausbildung bei meinen Eltern gewohnt. Warum braucht ein AZUBI eine eigene Wohnung?

  17. 48.

    Es wäre besser wenn diese Studenten statt zu studieren eine handwerkliche Ausbildung machen. Wir brauchen Handwerker dringen, oder etwa nicht? Es kann nicht jeder studieren.

  18. 47.

    Man kann doch auch mit Abi eine Ausbildung machen, ohne zu studieren. Die Mittlere Reife brauchte ich in meinem Ausbildungsberuf auch nicht. Ich habe den Abschluss für mich gemacht und die Ausbildung, wollte ich auch. Hätte aber wie gesagt, diesen Schulabschluss gar nicht gebraucht. Ein Freund von mir hat Abitur gemacht. Kein Studium, keine Ausbildung und arbeitet als "Klient", "Patient", "Betreuter", "Kunde" oder wie man das heute sonst so nennt, in einer Behindertenwerkstatt. Gut Schule war Waldorfschule. So haben die Eltern wenigstens einen Teil selbst finanziert!

  19. 46.

    Ja, der Markt reguliert sich schon selbst. Aber das Auszubildende keinen Wohnraum benötigen, halte ich schon für eine zumindest diskussionswürdige Annahme. Somit geht es dann wohl mehr um den Ort und nicht ums Studium an sich...

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