Quereinsteiger für den Berliner Unterricht - Brennpunktschule statt Büro-Job

Di 15.11.22 | 06:07 Uhr | Von Kirsten Buchmann
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Symbolbild: Unterricht in einer Schule (Quelle: imago/Gerhard Leber)
Audio: Kirsten Buchmann | Bild: imago/Gerhard Leber

Schulen in sozialen Brennpunkten haben es besonders schwer, Nachwuchslehrkräfte zu finden. Die Organisation "Teach First" unterstützt in Berlin 35 Hochschulabsolventen aus anderen Berufen dabei, in Schulen zu arbeiten. Von Kirsten Buchmann

Musiker, Stadtplaner, Kommunikationswissenschaftler - die ursprünglichen Berufe und Studienabschlüsse der "Teach First"-Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind breit gefächert. Sie verbindet, dass sie momentan an Berliner Brennpunktschulen im Einsatz sind. Kommunikationswissenschaftlerin Heike Yürgüç ist seit mehr als einem Jahr an einer Schule im Wedding. Einem Büro-Job in der Wirtschaft hat sie den Rücken gekehrt: "Ich habe nach vier Jahren gemerkt, dass ich nicht mehr die Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit sehe."

In dem Unternehmen sei es immer um "schneller, höher, weiter" gegangen. Ehrenamtlich hatte Heike Yürgüç schon Nachhilfe gegeben. Jetzt im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern an einer Weddinger Sekundarschule erlebe sie die Sinnhaftigkeit jeden Tag: "Ich wollte genau da arbeiten, wo es am meisten gebraucht wird." Das "Teach First"-Programm sehe sie als gute Chance, um einen Einblick in das Bildungssystem zu bekommen. Dafür nimmt sie momentan auch eine niedrigere Bezahlung von monatlich knapp 2.600 Euro in Kauf.

Vorbereitung, Fortbildung, Begleitung und Feedback

An ihrer Schule arbeitet Heike Yürgüç im Deutsch- und Matheunterricht mit. Mathe erteile sie "im Team-Teaching", wie sie sagt. Sie unterrichtet also zusammen mit einem Lehrer. So führe er durch die Stunde, sie gehe unter anderem auf einzelne Schülergruppen zu, wenn sie etwas nicht verstehen, und fördere Schüler in Kleingruppen. Unterstützt wird Heike Yürgüç dabei von der gemeinnützigen Bildungsorganisation "Teach First", deren Ziel es ist, dass Kinder und Jugendliche unabhängig von ihren Startbedingungen gute Bildung erhalten.

Vor ihrem Einsatz erhielt Heike Yürgüç eine Vorbereitung, unter anderem zur Unterrichtskonzeption. Sie lernte dabei etwa, wie sie eine Unterrichtsstunde und eine Unterrichtsreihe plant sowie Diagnosen erhebt. Während des "Teach First"-Programms bekommt sie Fortbildungen, Begleitung und Feedback. Alle drei Monate gebe es eine Unterrichtshospitation. Mit den anderen Programm-Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei sie gut vernetzt und tausche sich aus, sagt sie.

Klassischer Sänger mit eigenen Lernförderprojekten

Florian Fischer Müncheberg hat schon zwei Jahre "Teach First"-Programm hinter sich, ebenfalls an einer Schule im Wedding, der Schule am Schillerpark. Der klassische Sänger studiert nun an der Universität der Künste im Quereinstiegs-Masterstudium Lehramt Musik. Parallel arbeitet er an seiner Schule weiter. Er habe sich in der Klasse nie überfordert gefühlt, sagt er. Auch zum Referendariat erwartet er keinen Praxisschock - im Gegensatz zu vielen seiner Mitstudierenden. Sondern in dem "Teach First"-Programm habe er, neben der Begleitung und Beratung besonders davon profitiert, dass der Einstieg ins Unterrichten Schritt für Schritt verlaufen sei: "Zunächst konnte ich mit individuellen Schülerinnen und Schülern arbeiten, dann mit kleinen Gruppen." Zunehmend habe er auch im Ganztag immer größer werdende Schülergruppen betreuen können, bis hin zu eigenen Lernförderprojekten.

"Bleibt dran, werdet Lehrer"

Nach Abschluss seiner Lehramtsausbildung will Florian Fischer Müncheberg an seiner Schule weiter unterrichten. Sein Schulleiter Ronald Fischer lobt ihn und andere "Teach First"-Teilnehmer insbesondere für ihre hohen Kompetenzen in der Team-Arbeit im Kollegium. Er will möglichst viele von ihnen motivieren, auch in Zukunft weiter vor der Klasse zu stehen: "Ihr macht eine gute Arbeit. Bleibt dran, werdet Lehrer, wenn es geht."

Für die "Teach First"-Teilnehmerin Heike Yürgüç gibt es da allerdings eine Hürde. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat keine Fächer der Berliner Schule studiert: "Bei mir wäre es sehr schwierig. Ich müsste komplett noch mal studieren. Ich hatte als Zweitfach Soziologie. Das kann man auf kein Fach so richtig ummünzen."

Rund fünf Jahre dauert ein komplettes Lehramtsstudium mit zwei Fächern. Die Zeit und die Inhalte bei "Teach First" sollten angerechnet werden, findet Heike Yürgüç, so dass damit kein gesamtes Lehramtsstudium mehr nötig sei, um regulär als Lehrkraft arbeiten zu können.

Eine solche Änderung ist allerdings zumindest kurzfristig nicht zu erwarten. Denn die Abschlüsse müssen laut der Bildungsverwaltung so gestaltet sein, dass die Quereinsteiger auch in andere Bundesländer wechseln können. Und die Kultusministerkonferenz sehe vor, dass Lehrkräfte in Deutschland zwei Schulfächer studiert haben. Im nächsten Jahr sei Berlin aber in der Kultusministerkonferenz im Präsidium, so die Bildungsverwaltung. Die Hoffnung ist, dass da dann alles diskutiert werden kann, was gegen den Lehrermangel hilft. Denn fast 900 Lehrerstellen sind insgesamt berlinweit zum neuen Schuljahr unbesetzt geblieben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.11.22, 7:30 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

10 Kommentare

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  1. 10.

    Hallo Günther,

    das Problem ist: Beamten-Mikado. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Arbeit tut weh und deswegen meldet sich bei dir keiner.

  2. 9.

    Es nervt, dass alle möglichen Bezeichnungen für Tätigkeiten fast nur noch auf Englisch stattfinden, obwohl unsere Sprache genug Worte bereit hält. Denglisch nervt, ist nur was für Werbeagenturen, aber nichts für den allgemeinen Sparchbgebrauch!

  3. 8.

    Sollte nicht die Wiederverbeamtung angehender Lehrpersonen den seit über zwei Dekaden bekannten Lehrermangel in dieser Stadt beheben?

  4. 7.

    Und ich dachte beim Lesen der regelmäßigen Kommentare zum Lehrermangel an deutschen (und speziell Berliner) Schulen immer, die Erfahrungen in meinem persönlichen Umfeld seien Einzelfälle - ich kenne mindestens drei Leute (hoch motiviert und gut qualifiziert), die sich nach Kräften um eine Anstellung als Lehrer-Quereinsteiger bemühten und auf Granit bissen. Ein Historiker mit zweisemestriger Zusatzausbildung "Deutsch als Fremdsprache", angeblich so wichtig für die Willkommensklassen - keine Chance auf eine Lehrerstelle. Ein Geograf (kein allgemeines Mangelfach, aber konkreter Bedarf an einer bestimmten Schule) hatte es dort immerhin zu einem Vorstellungsgespräch gebracht, ihm wurde dort durch den Fachbereichsleiter verkündet, seine Herangehensweise sei "zu wissenschaftlich", so etwas könne man an der Schule nicht gebrauchen.

  5. 6.

    Empfehle jedem Interessent das Buch von Philipp Möller: „isch geh Schulhof“! Es berichtet ein Quereinsteiger über seine zwei Jahre an einer Brennpunktschule.

  6. 5.

    Das geht mir genauso. Hatte mich im Sommer in die Datenbank der Senatsverwaltung für Bildung als Vertretungslehrkraft mit langer Berufserfahrung eingetragen und bisher nur eine (!) Anfrage bekommen. Irgendwas läuft da mal wieder schief.

  7. 4.

    Hi,
    Bin ehemaliger Berufsschullehrer in Mangelfächern im Ruhestand mit mindestens 20 jähriger Erfahrung mit schwierigen SinUndS mit Migrationshintergrund.
    Obwohl ich mich hier im "Schulamt" gemeldet habe, habe ich bis heute keine Rückmeldung.
    Der Mangel in Berlin kann also nicht sehr groß sein.

    LG Günther

  8. 3.

    Welche Bildungsanstrengungen mussten Sie dafür aufsichnehmen und wieviel Ausbildungsjahre müssen zurückverdient werden?

  9. 2.

    Das wird das Brutto sein.
    Bei Klasse I wäre das Brutto hier ca 4.500 EUR. Bei einem Brutto von 4.500 wäre die Petson sehr nah am tatsächlichen echten Einstiegsgehalt für Lehrer in Berlin und somit bekäme die Person nicht nennenswert weniger, wie im Beitrag abgegeben.

  10. 1.

    Ist das der Brutto oder Netto Verdienst?
    Wäre doch ein super Gehalt für einen Quereinsteiger!
    Ich verdiene bei 16 Jahren in der Behindertenhilfe als Sozialpädagogin nicht soviel…

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