Vorwurf des versuchten Baby-Mords - "Die Mutter wollte sich nicht einschränken lassen"

Di 15.11.22 | 16:59 Uhr | Von Lisa Steger
  5
Archivbild: Das Justizzentrum Potsdam, in dem sich auch das Landgericht Postdam befindet. (Quelle: dpa/C. Soeder)
Audio: Antenne Brandenburg | 15.11.2022 | Lisa Steger | Bild: dpa/C. Soeder

Im Landgericht Potsdam müssen sich seit Dienstag ein Mann und eine Frau aus Blankenfelde-Mahlow verantworten. Der Vorwurf: versuchter Mord. Die Frau soll versucht haben, ihr Baby umzubringen, weil es ihr lästig war – und der Vater soll nichts dagegen getan haben. Von Lisa Steger

Das Schwurgericht des Potsdamer Landgerichts, zuständig für die schwersten Fälle, verhandelt seit Dienstag gegen eine 35 Jahre alte Frau und Mutter eines Kindes. Vor Gericht steht auch ihr Ehemann, der 34 Jahre alte Vater.

Die Staatsanwaltschaft wirft der 35-Jährigen gefährliche Körperverletzung, Misshandlung einer Schutzbefohlenen und auch versuchten Mord vor - sie soll das Kind mehrfach geschüttelt und einmal auch seinen Kopf gegen eine harte Oberfläche geschlagen haben. Dass das Kind dabei sterben könnte, soll sie gewusst und billigend in Kauf genommen haben. "Sie wollte sich nicht einschränken lassen, sie empfand die Versorgung als Last", so der Staatsanwalt in seiner Anklage. "Die Misshandlungen begannen kurz nach der Geburt des Mädchens."

"Zustand wie weggetreten, Puls schwach tastbar"

Der Vater des Mädchens war wochentags nicht zuhause; er ist Berufssoldat. Ihm wirft die Anklage eine Verletzung der Fürsorgepflicht vor. Trotz der sichtbaren Verletzungen habe er das Kind bei der Mutter gelassen und auch keinen Arzt aufgesucht.

Anfang Dezember des Jahres 2018 wurde das Mädchen, damals zehn Monate alt, mit dem Rettungswagen in die Charité in Berlin gebracht. Der Kinderarzt war dabei, denn die Tante des Mädchens hatte ihn alarmiert - ihr hatten die Eltern das Kind zur Betreuung übergeben und ihr dabei eingeschärft, sie solle eine Woche lang nicht zum Kinderarzt gehen. Das war der Frau seltsam vorgekommen: Das Kind wirkte krank, die Tante sah Gefahr im Verzug. Zu Recht, wie sich in der Charité herausstellen sollte.

"Das zehn Monate alte Kind war auf dem Stand eines vier Monate alten Kindes", hält die Anklage fest. "Es bestand akute Lebensgefahr." Die Ärzte in der Charité stellten ein Schütteltrauma, ein "Anpralltrauma" und einen beidseitigen Schädelbruch fest. Gebrochen war auch ein Unterarm. Das Mädchen war stark untergewichtig, atmete unregelmäßig. Das Herz schlug nur langsam. "Zustand wie weggetreten, Puls schwach tastbar", notierten die Ärzte in einem Dokument, das der Vorsitzende Richter Bodo Wermelskirchen verliest.

Gewicht: nur 5.700 Gramm

Das Wort hat der erste Zeuge, Alexander G., Stationsoberarzt in der Kinder-Intensivstation der Charité. "Der Kopf wies eine frische Blutung auf zwischen harter Hirnhaut und Gehirn", erinnert sich der 50-Jährige. "Es gab einen erhöhten Druck im Kopfraum." Ein Schlauch wurde gelegt, um Flüssigkeit aus dem Kopf abfließen zu lassen. "Das Kind lag zwei Tage bei uns auf der Intensivstation, beatmet und im künstlichen Koma." Es habe nur 5.700 Gramm gewogen, viel zu wenig für sein Alter.

Einige Verletzungen seien frisch gewesen, andere älter. Die Ärzte hätten es überwiegend mit der Oma, der Tante und dem Onkel des Kindes zu tun gehabt; die Eltern seien wenig präsent gewesen. Einmal hätten sie mitgeteilt, das Kind sei vom Wickeltisch gefallen. Das aber, so wird deutlich, glaubte der erfahrene Oberarzt nicht.

In dem Prozess wirken die Eltern anfangs vollkommen unbewegt. Je länger der Arztbericht dauert, umso stärker kommen die Mienen in Bewegung. Erst zeigt sich Verunsicherung, dann blankes Entsetzen. Doch äußern wollen sich beide zu den Vorwürfen zunächst nicht.

Das Kind lebt seit dem Krankenhausaufenthalt in staatlicher Obhut. Auch vier Jahre danach kommt es noch zu Kontrolluntersuchungen in die Charité. Arzt Alexander G. zufolge hat es sich erstaunlich gut erholt - wenn man die Vorgeschichte bedenke. Nur die Sprachfähigkeit sei eingeschränkt.

Angeklagte sind nicht in Untersuchungshaft

Die mutmaßlichen Taten sollen im Herbst 2018 begangen worden sein, liegen also rund vier Jahre zurück. Der Prozess beginnt jetzt erst, weil Gutachter zunächst klären mussten, ob die Eltern überhaupt schuldfähig sind, erläutert Gerichtssprecherin Viktoria-Sophie Eberlein: "Die Angeklagten sind aber zu den Terminen mit den Sachverständigen nicht erschienen, daraufhin wurde die Anklage im Frühjahr 2021 zugelassen."

Die Angeklagten sind nicht in Untersuchungshaft, und bei Gericht müssen Untersuchungshäftlinge schneller an die Reihe kommen. Denn wenn es zu lange dauert, ordnet das Oberlandesgericht an, dass sie freikommen müssen. Deshalb fing das Landgericht erst im Herbst des Jahres 2021 an, das Verfahren zu terminieren. Der Mutter des Mädchens droht bei einer Verurteilung eine lange Strafe - im Extremfall lebenslang wegen versuchten Mordes. Der Vater könnte bis zu drei Jahre Haft bekommen.

Mitentscheidend werden die beiden psychiatrischen Gutachten sein. Die Sachverständigenbank ist prominent besetzt: Psychiater Matthias Lammel begutachtet die Mutter. Er hat in vielen öffentlichkeitswirksamen Verfahren mitgewirkt, so etwa 2016 in dem Verfahren gegen Sylvio S., der zwei kleine Jungen entführt, vergewaltigt und ermordet hatte. Der Verurteilte verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.

Nicht minder renommiert ist die Gerichtspsychiaterin Cornelia Mikolaiczyk, die den Vater begutachten wird. Sie erstellte beispielsweise das Gutachten über Ines R., die als Pflegehelferin im Oberlinhaus in Potsdam vier Menschen erstach und eine weitere Frau schwer verletzte. Ines R. befindet sich im Maßregelvollzug. Für das aktuelle Verfahren gegen die Eltern aus Blankenfelde-Mahlow hat das Landgericht Potsdam elf Termine angesetzt. Ein Urteil könnte im Januar verkündet werden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.11.2022, 16:00 Uhr

Beitrag von Lisa Steger

5 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 5.

    Vielleicht sollte man hier doch mehr im Vorfeld aufklären oder sogar staatliche Familienplanung anbieten, um neben der Geeignetheit auch die Tragfähigkeit der Entscheidung zu besprechen. Also eventuell Zeit für eine Zeitenwende, nicht nur die Menschen, die abtreiben wollen beraten, sondern gerade auch die, die sich potentiell eher dafür entscheiden. Also ich höre immer öfter "(...) Hätte ich das alles gewusst und auch wie stark es in unser Leben eingreift, hätte ich mich sehr wahrscheinlich mit dem heutigen Wissen doch anders entschieden(...)" Man traut es sich oft nicht, dass öffentlich zu äußern, aber vielleicht würde hier eine verpflichtende staatliche Familienplanungsberatung angeboten werden, um die Folgen pro/contra besser abwägen zu können und dann nicht solche Fälle von Überforderung zu produzieren.

  2. 4.

    Ja klar, die Bundeswehr ist Schuld. Und unser Verständnis für Demokratie. Brilliant analysiert.

  3. 3.

    Da bin ich aber froh, dass der Herr Berufssoldat (die vergangenen vier Jahre und bis zum Haftantritt) unser aller Demokratie und Rechtstaatlichkeit mit der Waffe verteidigt und seine Untergebenen gut angeleitet hat.

  4. 2.

    Früher gab es ein Dorf um Kinder groß zu ziehen. Heute sind Mütter auf sich allein gestellt. Unfassbar, dass Kinder nicht besser beschützt werden können.

  5. 1.

    Furchtbar. Einfach nur furchtbar.
    Alles, ALLES Gute für die Kleine...

Nächster Artikel