Krise im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - Goldener Handschlag für Ex-Chefredakteur des rbb

Fr 18.11.22 | 14:13 Uhr | Von Marcus Engert (NDR), René Althammer und Jo Goll (rbb)
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Archivbild:Der Chefredakteur des rbb, Christoph Singelnstein, aufgenommen am Dienstag (06.09.2011) im Fernsehstudio des rbb in Berlin.(Quelle:dpa/S.Stache)
Audio: rbb24 | 18.11.2022 | Marcus Engert | Bild: dpa/S.Stache

Der Rechnungshof von Berlin prüft alle Beraterverträge des rbb seit 2017. Dabei dürfte auch ein bislang unbekannter Vertrag in den Fokus der Prüfer geraten - der des ehemaligen Chefredakteurs. Denn der ist eigentlich im Ruhestand. Von M. Engert (NDR), R. Althammer und J. Goll (rbb)

Der Berliner Rechnungshof prüft alle seit 2017 geschlossenen Beraterverträge des rbb. Das bestätigte die Behörde auf Anfrage von NDR und rbb. Derzeit verschaffen sich die Rechnungsprüfer einen Überblick, um wie viele Verträge es geht. Wie lange die Prüfung dauern wird, konnte die Behörde noch nicht sagen. Zuvor hatten die Rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg mitgeteilt, dass auch "Anstellungsverträge leitender Angestellter" Gegenstand dieser "abgestimmten Prüfung" sein werden.

Damit dürfte auch ein bislang unbekannter Vertrag in den Fokus der Prüfer geraten. Wie aus Recherchen von NDR und rbb und aus vertraulichen Dokumenten hervorgeht, schloss der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) mit seinem scheidenden Chefredakteur Christoph Singelnstein ­ einen gut dotierten Beratervertrag – zusätzlich zu dessen lebenslangem Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro und seiner gesetzlichen Rente. In Summe soll Singelnstein vom rbb derzeit einen monatlichen Betrag erhalten, der ungefähr der Höhe seines letzten Gehalts als Chefredakteur entsprechen würde – das wären um die 15.000 Euro pro Monat.

ARD-Umfrage: Pensionäre als Berater eher die Ausnahme

Wie eine Umfrage unter den ARD-Anstalten ergab, haben weder Radio Bremen noch der Saarländische Rundfunk, der SWR, der MDR oder der HR vergleichbare Verträge abgeschlossen.

Der Bayrische Rundfunk erklärte, ehemalige Führungskräfte würden "nur sehr vereinzelt" und vor allem "für den Abschluss laufender Projekte" weiter eingesetzt. Aktuell gebe es dafür zwei Beispiele: "eines bei einem IT-Projekt kurz vor dem Abschluss, eines in Zusammenhang mit Rechtsberatung". Grundsätzlich unterliege die Vergabe von Beraterverträgen beim BR strengen internen Regeln und Prüfungen.

Der NDR teilte mit, pensionierte Mitarbeiter beschäftige man nur "ausnahmsweise" noch auf Honorarbasis weiter. In solchen Fällen gelte jedoch eine Dienstanweisung, wonach diese Personen höchstens 50 Prozent der im NDR üblichen Vergütung für freie Mitarbeiter erhalten dürften. Beraterverträge schließe man dafür nicht. Auch der WDR erklärte, er beauftrage Beratungsleistungen, wenn entsprechende Kenntnisse im Haus nicht vorhanden seien. Zuständig sei dann der "zentrale Einkauf", um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Aktuell gebe es keinen Vertrag mit einer ehemaligen Führungskraft, sondern nur mit einem "Mitarbeiter im Ruhestand über Beratungsleistungen im IT-Bereich. Dieser läuft Ende des Jahres aus."

Beratervertrag nach Vertragsauflösung

Im rbb hingegen lief es offenbar anders. Der Abschluss des Beratervertrags mit dem pensionierten Chefredakteur lief hier wohl nicht über den Einkauf, sondern über die inzwischen entlassene Intendantin Patricia Schlesinger und die damalige Chefin der Personalabteilung. Und auch die Höhe wirft Fragezeichen auf.

Anfang 2018 war Singelnsteins Vertrag im Zuge der Umstellung der Managementgehälter im rbb auf ein inzwischen abgeschafftes Bonus-System vorzeitig bis 2023 verlängert worden. Dabei wurde der Vertrag offenbar auch um eine der umstrittenen Ruhegeld-Regelungen ergänzt, die sich im rbb und in einigen anderen öffentlich-rechtlichen Sendern finden lassen.

Damit hatte Singelnstein Anspruch auf ein lebenslanges Ruhegeld in Höhe von 55 Prozent seines letzten Gehalts. Das lag nach NDR- und rbb-Informationen zuletzt bei 180.000 Euro im Jahr. In anderen Verträgen von rbb-Führungskräften, die Reportern von NDR und rbb vorliegen, ist geregelt, dass Ruhegeldansprüche pro Dienstjahr in der Geschäftsleitung um einen Prozentpunkt ansteigen. Singelnsteins Ruhegeld-Anspruch dürfte daher bei seinem Ausscheiden Ende März 2021 auf 58 Prozent seines letzten Gehalts angewachsen sein – das wären 8.700 Euro pro Monat und mehr als 100.000 Euro im Jahr zusätzlich zur gesetzlichen Rente, die darauf nicht angerechnet wird.

"Als Berater verbunden"

Der rbb hatte 2020 – trotz der vorangegangenen Vertragsverlängerung bis 2023 –überraschend mitgeteilt, dass Singelnstein doch schon im April 2021 in den Ruhestand gehen wird. Zu den Gründen für das vorzeitige Aus hatte sich der Sender damals nicht geäußert und lediglich mitgeteilt, der ehemalige Chefredakteur bleibe dem rbb "als Berater verbunden". Was das bedeutet, wird erst jetzt klar: Zum einen soll er den Sender laut Vertrag wohl genauso lange weiter beraten, wie ursprünglich sein Vertrag als Chefredakteur lief – bis März 2023. Zum anderen erhält er nach Recherchen des NDR und des rbb-Rechercheteams in dieser Zeit durch den Beratervertrag ein monatliches Honorar von 6.300 Euro überwiesen, verbucht als "Autor/sonstige Tätigkeit". Zusammengerechnet kommt er so auf ein Einkommen, wie er es vorher als Chefredakteur hatte.

Hinzu kommt eine weitere Auffälligkeit: Wie bei anderen leitenden rbb-Angestellten enthielt auch Singelnsteins Gehalt zuletzt einen sogenannten "leistungsabhängigen" Anteil, der nur dann ausgezahlt werden sollte, wenn bestimmte Zielvereinbarungen erreicht worden waren. Auffällig ist, dass Singelnstein heute im Ruhestand offenbar eine Summe erhält, die seinem letzten Gehalt inklusive eines solchen Bonus entspräche. Legt man zugrunde, dass dieser Anteil nur unter dem Vorbehalt ausgezahlt werden sollte, dass bestimmte Ziele auch erreicht worden sind, stellt sich die Frage, weshalb Singelnstein heute offenbar die volle Summe erhält – oder: Wie valide diese Zielvereinbarungen waren.

Man schweigt sich aus

Ein Sprecher des rbb erklärte auf Anfrage, man könne sich "zu Vertragseinzelheiten aus vertragsrechtlichen Gründen (Verschwiegenheitsklausel) nicht äußern", bestätigte allerdings, dass Singelnstein seit seinem Ausscheiden "noch einige Aufgaben für den rbb übernommen" habe. Der rbb wollte so "die Expertise von Herrn Singelnstein für den rbb sichern". Dazu gehöre die Weiterentwicklung der Electronic Media School, die Vertretung des rbb im Kuratorium der "Rundfunk Orchester und Chöre GmbH" und die "Beratung in medienpolitischen Fragen für die Intendanz" sowie das Engagement in Brandenburg. Nach Informationen von NDR und rbb soll mit letzterem auch die Beratung zu "Ostbefindlichkeiten" gemeint sein.

Auch Christoph Singelnstein verwies auf Verschwiegenheitsklauseln seiner Verträge und ließ Fragen dazu auch auf mehrere Nachfragen hin unbeantwortet. Seine Absagen sendete der im Ruhestand befindliche Ex-Chefredakteur von seiner rbb-Mailadresse aus.

Sendung: rbb24, 18.11.2022, 07:00 Uhr

Beitrag von Marcus Engert (NDR), René Althammer und Jo Goll (rbb)

133 Kommentare

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  1. 132.

    Liebe Redakteure,

    bitte recherchiert in diesem Thema weiter. Hier einige Fragen, die mich interessieren: gibt es noch weitere solcher Um-/Neubesetzungen? Lässt sich daraus auf ein systematisches Vorgehen schließen? Sind dem Verwaltungsrat diese Verträge/Vertragsstrukturen bekannt gewesen? Was sagt die heutige Vorsitzende und damalige Vize zu diesen Vertragsstrukturen (Ruhegeldvereinbarungen, Beraterverträge nach Rente? War dem Verwaltungsrat die Finanzprognose bis 2028 bekannt? Was sagt die heutige Vorsitzende und damalige Vize zum aktuellen Ergebnis des Kassensturzes von Frau Vernau? Vielen Dank im Voraus.

  2. 131.

    Stimmt was Sie da schreiben. Was wäre, vom System her, anders zu machen?
    Wie läufts denn so im MDR (linken) Thüringen?

    P.S. In der Privatwirtschaft kann man auch beobachten: Struktur schlägt das Produkt und den Vertrieb. Weil es menschlich ist, dass kleine Fürsten sich einen Hofstaat gönnen. Nur da gibt es einen, bis jetzt nicht zu schlagenden (!) Selbstheilungseffekt. Manchmal auch sehr schmerzlich.

  3. 129.

    Na Sie haben es offenbar verstanden: "Das ganze System abschaffen"
    bedeutet die Umwälzung der Produktions- und Eigentumsverhältnisse (strukturell) hin in das Eigentum des demokratischen Gemeinwesens. Das demokratische Gemeinwesen eines europäischen Kernstaates geht dabei von der Tatsache aus, bereits seit sehr vielen Jahrzehnten Einwanderungsland zu sein. Ist also kulturoffen , in sehr umfassendem Sinne antinationalistisch. Lehnt autoritäre Struktur und Konzentration von Macht ab und stellt sich der historischen Tatsache, bereits seit mehr als 500 Jahren in jeder Hinsicht allen Reichtum, Ressourcen und Macht über seine Weltwirtschafts- und Weltsozialordnung in den Europäischen Staaten und seinen nordatlantischen Ausgründungen konzentriert zu haben.
    Was im Ansatz die Grösse des "Abschaffens" beschreibt. Das in Wirklichkeit Aufbau bedeutet.
    Der ÖRR ist da sicherlich Puzzleteil und noch dysfunktional für diese demokratischen Ziele und den dafür notwendigen umfassenden Begriff.

  4. 128.

    Wieder einmal nur die Spitze eines Eisbergs - das ganze System abschaffen !

  5. 127.

    Bestimmt haben sie schon ganz fleissig gegoogelt wer Ulla Schmidt ist. :-)

  6. 125.

    Die Kernaussage, dass linke Arbeitgeber besonders mit Unterbezahlung u.a. auffallen ist eindeutig und keine FakeNews. Auch ein Eigentümerwechsel kann das, was gelaufen ist, nicht verdecken. Noch mehr Beispiele gefällig? Bei Gewerkschaften z.B? Steilvorlagen sind willkommen.

  7. 124.

    Wiederhole mich: "Externe Expertise für die Reform des ÖRR" heisst seit sehr vielen Jahren in Folge und Praxis: Beratungsunternehmen, deren Expertise die Strukturierung und Ökonomisierung eines privatwirtschaftlichen Sektors ist, stülpen einem öffentlich-rechtlichen Betrieb Struktur, Logik und Entlohnungsschemata über, die für eine öffentlich-rechtliche Institutionen komplett unpassend sind.

    Die Folge ist eine zunehmend ausgemergelte Produktionsebene - all das, was unmittelbar Produktion von Sendung dient - zugunsten einer Verwaltung, die sowohl sich selbst damit rechtfertigt die sozusagen Produkt-Stückkosten gesenkt zu haben, als auch an einem faktischen Bonussystem beteiligt ist, dass solche Strukturierung, solchen Prozess belohnt.

    Ergebnis ist dann Programm: Rückzug aus der Regional-Lokal-Berichterstattung. Die naturgemäss kleinteilig und personalintensiv-teuer ist. Ein Regionalstudio kann sich nur insofern "rechnen" als das man seriösen Journalismus vor Ort als Gewinn sieht.

  8. 123.

    Ich glaube in dem Beitrag und den Kommentaren wird die Arbeit von Herrn Singelstein nicht ausreichend gewürdigt. Er war es, der Seinerzeit entschied, dass die Abendschau um 19:30 Uhr kommt und das die Tagesschau um 20:00 Uhr auch mit übertragen wird. Und nun werden ihm hier dafür seine angemessenen Ruhestandsbezüge geneidet. Wer Sarkasmus findet darf ihn behalten.

  9. 122.

    " Darüber sollte man eigentlich keinen Vertrag abschliessen können "

    " sollte ".... hat man aber

  10. 121.

    15.000 im Monat Pension aus ÖRR-Geldern stehen niemandem zu.
    Darüber sollte man eigentlich keinen Vertrag abschliessen können.
    Ist nicht so kompliziert.

  11. 120.

    Das sie jede Gelegenheit nutzen um gegen Linke und Grüne zu wettern... geschenkt. Aber sie nutzen auch jede Gelegenheit Fake news und Halbwahrheiten zu verbreiten.

    "Am 22. Februar 2021 gaben die bisherigen Gesellschafter des nd bekannt, dass die Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH zum Ende des Jahres 2021 aufgelöst werden soll. Eine Weiterführung der Zeitung durch die Mitarbeitenden mittels einer Genossenschaft sei erwünscht."

    "Seit dem 1. Januar 2022 wird das nd als unabhängige linke Tageszeitung von einer Genossenschaft herausgegeben. Neben junge Welt und Die Tageszeitung ist es die dritte Zeitung in Deutschland, die von einer Genossenschaft getragen wird."

  12. 119.

    " zusätzlich zu dessen lebenslangem Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro und seiner gesetzlichen Rente. "

    sein Gesicht drückt behagliche Zufriedenheit aus, kein Wunder bei diesen Ansprüchen, die ihm wohl zustehen ; pacta sunt servanda , basta

  13. 118.

    Sie bestimmen hier neuerdings was kommentiert werden darf und was nicht? Das war kein Ironie, sondern einfach nur Blödsinn.

  14. 117.

    Meine Güte, müssen sie hier jeden Beitrag kommentieren? Lassen sie es doch bitte sein, wenn sie keine Ironie verstehen und nicht in Kontexten denken können.

  15. 116.

    "...zusätzlich zu dessen lebenslangem Anspruch auf ein jährliches Ruhegeld von mehr als 100.000 Euro und seiner gesetzlichen Rente ..." - Um Helge Schneider zu zitieren: "...Niederstes Gewenz!..." Absolut widerlich!!

    Navan

  16. 115.

    Wenn ich das so höre , kann ich nur sagen den RBB ausschalten. Da sind so tolle unterbezahlten Leute wie Volker, Zarah ,
    Eva-Maria uvm sie bekommen bestimmt in einen anderen Sender einen Job . Das fiese Grinsen vom Chefredakteur ist ein Hohn. Das Programm ist jetzt schon das letzte, wo soll da noch gespart werden?

  17. 114.

    Herr Heil soll gegen Ausbeutung vorgehen statt gönnerhaft fremdes Geld verteilen. Z.B. Die Ausnutzung des Subunternehmertums und der prekärenBeschäftigungsverhältnisse und befristete Verträge bekämpfen. Wissen Sie eigentlich wie freie Mitarbeiter beim rbb behandelt werden? Oder wie die Linken mit den eigenen Leuten beim ND umgehen? Dagegen ist der Kapitalismus der 60iger Wellnes der Work-Life-Ballance.

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