Baulärm in Berlin - "Wenn Wände durchbrochen wurden, haben auch keine Ohrstöpsel mehr geholfen"

Di 27.12.22 | 09:10 Uhr | Von Chiara Kempers
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Handwerker arbeiten auf der Baustelle im 31. Stockwerk des Edge East Side Berlin vor dem Richtfest. (Quelle: dpa/Carsten Koall)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.12.2022 | Nachrichten | Chiara Kempers | Bild: dpa/Carsten Koall

Jannik ist mit seinem Sohn vor einem Jahr direkt neben einer Baustelle eingezogen, wie sehr ihn der Baulärm belasten wird, hat er unterschätzt. Doch Abhilfe gibt es für Betroffene in der Großstadt kaum. Von Chiara Kempers

Berlin ist eine Großbaustelle. Bis 2030 sollen laut dem Berliner Senat 200.000 neue Wohnungen gebaut werden - neuer Wohnraum, den alle Berlinerinnen und Berliner dringend brauchen, der aber oft auch mit jahrelangem Baulärm verbunden ist.

Jannik wohnt mit seinem Sohn in einer WG in Berlin-Wedding. Vor einem Jahr sind die beiden dort eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt wurde im Hinterhof schon an einem neuen Haus gebaut. Rückblickend sagt Jannik: "Wir haben es unterschätzt, wir haben die Lautstärke unterschätzt und wir haben die Dauer dieser Baustelle unterschätzt." Der Lärm belastet ihn und seine WG oft so, dass sie überlegt haben auszuziehen, aber eine wirkliche Alternative sehen sie auf dem angespannten Wohnungsmarkt aktuell nicht.

Lärm macht krank

"Zuerst einmal muss man sagen, dass Lärm krank macht", sagt Jördis Wothge. Sie arbeitet als Umweltpsychologin beim Umweltbundesamt. Lärm könne nicht nur unser Gehör schädigen, sondern wirkt sich auf den ganzen Körper aus: Herz- Kreislauferkrankungen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und kognitive Beeinträchtigungen - und das insbesondere bei Kindern, sagt sie.

Dass zu viel Lärm schlecht für Körper und Psyche ist, ist schon länger bekannt. Deswegen gibt es strikte Vorgaben für Lärm und auch speziell für Baulärm in Berlin. In reinen Wohngebieten dürfen die Maschinen nur zwischen 7 und 20 Uhr laufen und ein Geräuschpegel von maximal 50 Dezibel herrschen - das entspricht etwa der Lautstärke eines Staubsaugers. Das Problem: der Baulärm ist nur eine Geräuschquelle, die sich oft mit anderen überlagert. 2018 hat der Berliner Senat sogenannte Lärmkarten herausgegeben, in denen man sehen kann, dass die Lärmbelastung in Berlin an vielen Stellen schon ohne Baustellen weit über 65 Dezibel liegt.

Lärm kostet jährlich eine Million gesunde Lebensjahre

In den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden 2019 Lärmrichtlinien herausgegeben. In denen steht, dass beim Straßenverkehr eine Dauerbelastung von 53 und bei Fluglärm von 45 Dezibel nicht überschritten werden sollte, damit es nicht zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen kommt. Die Realität sieht in vielen Städten anders aus. Eine Studie der WHO hat außerdem ergeben, dass der Umgebungslärm in westeuropäischen Städten jährlich insgesamt mehr als eine Million gesunde Lebensjahre kostet.

Wenn Jannik sich an die Zeit im vergangenen Sommer zurückerinnert, als der Baustellenlärm besonders stark war, sagt er: "Ich glaube, am schlimmsten ist es immer die Male gewesen, wenn auf der Baustelle Wände durchbrochen wurden. Da kann man auch nicht mal mehr Ohropax tragen oder irgendwelche Kopfhörer, die Noisecancelling haben."

Auch die Umweltpsychologin Jördis Wothge betont, dass Baulärm einen entscheidenden Faktor hat, der besonders schädlich für die Gesundheit sein kann. Baulärm ist extrem unvorhersehbar, während unser Körper sich an das Rauschen einer viel befahrenen Straße mit der Zeit gewöhnt. "Ich weiß nicht: was kommt als nächstes für ein Geräusch? Wie laut ist das, wie leise ist das? Oder was für einen Impuls hat das?" Sie geht davon aus, dass diese Faktoren Baulärm besonders störend und belastend für Anwohnerinnen und Anwohner machen.

Was können Mieter und Mieterinnen tun?

Als Jannik und seine WG festgestellt haben, wie sehr die Baustelle und der damit verbundene Lärm sie Zuhause belastet, haben sie versucht, eine Mietminderung zu bekommen. Das ist aber gar nicht so leicht, wenn sich die Lärmquelle auf dem Nachbargrundstück befindet, denn für den Lärm dort kann der eigene Vermieter nicht verantwortlich gemacht werden. "Ich würde erstmal versuchen, mich mit dem Vermieter auf eine einvernehmliche Lösung zu einigen. Vielleicht weiß auch der Vermieter, dass er sich ein Verfahren der Schadenersatzansprüche gegen einen Grundstücksnachbarn ersparen kann, wenn er mir entgegenkommt und eine angemessene Mietminderungsquote gewährt", sagt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein.

Wenn der Vermieter nicht mit sich reden lässt, gibt es noch eine andere Option für Mieter und Mieterinnen. Mit einem aufwändigen Lärmprotokoll müssen sie nachweisen, dass der Lärm regelmäßig Lärmvorschriften überschreitet und dann gegen den Grundstücksnachbarn klagen. Die Chancen, dass das Erfolg hat, schätzt Wibke Werner aber als sehr gering ein. Der Senat hat auch eine Beschwerde-Website und Hotline eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können und Baulärm mit Audioaufnahmen, Video und Foto dokumentieren können. Inwieweit das Betroffenen aber helfen kann, ist dort nicht angegeben.

Umziehen nur für wenige eine Lösung

Umziehen in einen ruhigen Kiez oder in den ruhigen Speckgürtel Berlins kann für einige wenige eine Lösung sein. Die Umweltpsychologin Jördis Wothge sieht es aber als eine wichtige Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Städte so zu verändern, dass Menschen in ihnen gesund leben können. Ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern in Städten sei beispielsweise eine Empfehlung des Umweltbundesamts. Damit würde nicht nur der Lärm, sondern auch die Schadstoffbelastung sinken. Bei Baulärm sei es nicht ganz so einfach, aber auch dort gebe es Möglichkeiten, lärmschonender zu arbeiten oder Anwohner und Anwohnerinnen zu entlasten. Wenn man lärmintensive Arbeiten durch gute Planung zusammenlegen und moderne geräuscharme Werkzeuge benutzen würde und wenn längere Ruhephasen eingehalten werden könnten, dann würden sich die großen Neubauprojekte in Berlin in den nächsten Jahren bestimmt für Anwohner und Anwohnerinnen besser aushalten lassen, sagt sie.

Jannik und seine WG haben es nicht geschafft, eine Mietminderung durchzusetzen. Sie hoffen, dass die Baustelle in ihrem Hinterhof im nächsten Jahr endlich fertig wird.

Die Video-Reportage zum Text gibt es auf dem Youtube-Kanal von rbb|24

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.12.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Chiara Kempers

33 Kommentare

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  1. 32.

    Wenn der politische Wille fehlt, vorrangig für Mieter mit eher niedrigen Einkommen zu bauen, da wundert es nicht, wenn Investoren für gutverdienende Wohnungssuchende bauen, immerhin werden nach Einzug deren Wohnungen zur Neuvermietung frei.

  2. 31.

    Normal = Normalverdienende. Das sind sicher nicht die, die ein paar 100 000 € für eine Wohnung haben.

  3. 30.

    Das war eine rhetorische Frage. Sie bezog sich auf die m.E. überheblichen Beiträge einiger Foristen zum geschilderten Problem. Ich kenne meine Rechte und Möglichkeiten. Wollte nur beschreiben, was nicht gerade eine Ausnahme ist.

  4. 29.

    Ich glaube, in den Gründerjahren haben hier, wo ich wohne nicht viele Menschen gewohnt, und ich glaube auch, dass die Bauarbeiten damals nicht so laut waren, wegen fehlender Maschinen. ;-)

  5. 28.

    Jeder der in einer Wohnung wohnt und jetzt durch Baulärm belästigt wird sollte mal überlegen das als seine Wohnung gebaut wurde andere durch Baulärm belästigt wurden

  6. 27.

    Warum soll der Bauherr von nebenan plötzlich mit dem Bauen aufhören oder ruhiger bauen, wenn beim Nachbarn die Miete gemindert wird ?

    Verstehe Ihren konstruierten Zusammenhang nicht ganz.

  7. 26.

    Ich beziehe eine Wohnung neben einer Baustelle und merke dann, dass es von dort laut wird. Das ist wie in eine Anflugzone eines Flughafens zu ziehen ubd dann gegen dsn Flughafen ubd dessen Lärm zu klagen. Schön blöd. Mitleid? Nö.
    Aber wir wissen ja, wem das Berliner Clubsterben zu verdanken ist und lassen immer mehr von solchen Pfosten hierher. Dit is Berlin.

  8. 24.

    "... haben sie versucht, eine Mietminderung zu bekommen." - und wenn dann bekommen, schwupp ist der (Bau-) Lärm wie von Geisterhand verschwunden bzw. erträglicher.
    Geld kann zuweilen Milde stimmen.

  9. 23.

    "die den normalen Wohnungssuchenden wenig nützen"

    Mein normaler Freund sucht solch eine Wohnung in Berlin.

    Sind Sie normaler/gleicher als mein Freund ?

  10. 22.

    Berlin braucht dringend Neubau, viele Wohnungen sind nicht altersgerecht. Aber Dank Milieuschutz, Mietwrverein etc. geht es nur sehr langsam in der Stadt voran. Mir ging es aber eher um das bestehende Missverhältnis, dass da jemand etwas baut und der Vermieter das Thema dann an der Backe hat, obwohl er nichts dafür kann. Hier müssen die Gesetze dringend gemäß dem Verursachungsgrundsatz überarbeitet werden. Soll der Mieter doch gegen den Bauträger bzw. Bauherren klagen statt auf den Vermieter losgehen zu dürfen, der ja nichts dafür kann. Es muss wieder mehr Gleichgewicht zwischen Mietern und Vermietern bestehen.

  11. 21.

    Tipp zu Ihrer Situationsschilderung

    Bekannt ist ja auch, überwiegend landeseigene Firmen bauen in Berlin, natürlich sind das Spekulationsobjekte.

    Tipp s. o.

    § 536b
    Kenntnis des Mieters vom Mangel bei Vertragsschluss oder Annahme

    „1Kennt der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536a nicht zu. 2Ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat. 3Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536a nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält.“

    https://dejure.org/gesetze/BGB/536b.html

  12. 20.

    Bzgl. der Lärmkarten habe ich mal auf den Seiten von Berlin.de nachgesehen. Der Stand ist von 2017. Selbst die interaktive Lärmkarte bei der Morgenpost aus 2018 basiert auf diesen Daten. Zur Zeit der Kartenerstellung war noch TXL in Betrieb. In einem Zeitraum von fünf Jahren sollte es den Verantwortlichen doch möglich sein die bestehende Datenbasis zu aktualisieren. In der verfügbaren Form ist das Blick in die Vergangenheit und hilft aktuell eher nicht weiter.

    Zu den im Bericht betroffenen WG-Bewohnern fällt mir nichts mehr ein, außer das es ein schlechtes Beispiel ist. Ich ziehe neben ein Baustelle, das es laut werden kann ist ebenso logisch wie nasse Füße im Schwimmbad.

  13. 19.

    Fragen Sie den Mieterschutzbund, nicht den Vermieter oder unwissende Foristen.

    Es ist hinlänglich bekannt, dass durch Baustellen regelmäßig Nachbarhäuser zusammenbrechen.

  14. 18.

    Alles Quatsch! Wegziehen aus Berlin ist die einzige Lösung, die etwas bringt...

  15. 17.

    Und was macht man, wenn man schon über 20 Jahre in seiner Wohnung wohnt und dann auf beiden Seiten (vorne und hinten heraus)bestehende Häuser abgerissen werden und neu gebaut wird? Und man selbst im Sommer bei Hitze nicht mal die Fenster öffnen kann, geschweige denn den Balkon benutzen? Die Baggerarbeiten fühlten sich wie ein kleines Erdbeben an, bei anderen Mietern kam der Deckenputz herunter. Und gebaut werden natürlich Eigentumswohnungen, mit riesigen Terrassen, die den normalen Wohnungssuchenden wenig nützen. Spekulationsobjekte?

  16. 16.

    Der Rechtsweg ist leider schon korrekt. Der Mangel an der Mietsache tritt automatisch ein, einhergehen der Minderungsanspruch.

    Kann der Vermieter den Mangel nicht abstellen, so besteht gegenüber dem Verursacher (Nachbar) der Schadenersatzanspruch.

    Der Anspruch zwischen Mieter und Vermieter muss natürlich rechtlich bestehen und korrekt ermittelt sein.

    Im Verhältnis Vermieter und Nachbar könnten überhöht gewährte Mietminderungen regelmäßig nicht zum Schadenersatz führen.

    Ein Klageverfahren zwischen Mieter und Vermieter bringt sodann Sicherheit über die Minderungsquote.

    Der Mieterverein agiert regelmäßig nicht im Sinne des Vermieters, logisch.

    Nicht selten aber auch nicht im Interesse des Mieters, weil Weitsicht fehlt.

    Der Mieter könnte ja einen günstigen Mietzins zahlen, der vom Vermieter problemlos erhöht werden könnte.

    Mit Mietminderungen weckt man oft schlafende Hunde, drauf zahlt dann der Mieter.

    Drauf zahlt nicht der Mieterschutzbund.

  17. 15.

    Fraglich ist immer wieder die Qualität der Mieterberatung durch den Mieterschutzbund in Berlin, Basics sitzen dort nicht immer.

    § 536b
    Kenntnis des Mieters vom Mangel bei Vertragsschluss oder Annahme

    „1Kennt der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536a nicht zu. 2Ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat. 3Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536a nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält.“

    https://dejure.org/gesetze/BGB/536b.html

  18. 14.

    Habe auch neben einer Bahnstrecke in Moabit gewohnt und bin dann weggezogen, unerträglich die DB. Völlig unterschätzt bei der Besichtigung. Da helfen auch keine teuren ANC Kopfhörer oder Gehörschutz in der Nacht ( auf Dauer ). Baulärm wäre mir da lieber gewesen , bzw. gab es zusätzlich eh. Lichtsmog war auch ein Thema wenn die Scheiben vom ICE reflektieren und dann Stroboparty in der Wohnung.

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