Notrufzentrale Berlin - "Wir stopfen ein Loch und reißen ein anderes auf"

Fr 09.12.22 | 20:54 Uhr | Von Kerstin Breinig
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Notrufannahmeplätze in der Leitstelle der Berliner Feuerwehr (Quelle: imago images)
Video: rbb24 Abendschau | 09.12.2022 | Kerstin Breinig | Bild: imago images

Mehr als 300 Mal hat die Berliner Feuerwehr dieses Jahr den Ausnahmezustand ausgerufen, weil zu viele Notrufe auf zu wenige Rettungswagen treffen. Was macht das mit denen, bei denen diese Anrufe eingehen? Ein Besuch in der Notrufzentrale. Von Kerstin Breinig

"Atmet die Frau?" "Gab es einen massiven Aufprall?" "Hatte Ihr Mann schon einmal einen Schlaganfall?" - Es ist ein Stimmengewirr zwischen den einzelnen Notrufannahmeplätzen in der Leitstelle in Berlin-Charlottenburg. Dazwischen zählt Maximilian Leonhard von eins bis vier. Immer wieder. Er leitet eine Wiederbelebung an. "Immer so weiterdrücken. Bis die Kollegen eintreffen, nicht aufhören."

Die Kollegen sind zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg – Rettungswagen und Notarzt. Es ist noch früh am Morgen. Doch schon um kurz nach acht sind für ganz Berlin nur 15, manchmal auch 20 Rettungswagen verfügbar. Die Auslastung liegt bei knapp 80 Prozent, auch die Hälfte der verfügbaren Notärzte ist im Einsatz. Der Tag, das wissen alle in der Leitstelle, wird hart.

Um 9:22 Uhr dann: Ausnahmezustand. Löschfahrzeugbesatzungen müssen auf Rettungswagen umsteigen, Löschfahrzeuge werden zu Rettungseinsätzen geschickt. Weniger als 15 Rettungswagen sind frei, in manchen Bezirken ist kein einziger mehr verfügbar. Bis Patienten Hilfe bekommen, kann viel Zeit vergehen. Solange bleibt nur die Stimme am Telefon. "Das ist sehr schwierig, vor allem auch bei Kindern, wenn man da ein aufgeregtes Elternteil am Telefon hat, das Kind läuft blau an beim Fieberkrampf", erzählt Maximilian Leonhard. Und dann sei niemand vor Ort, der helfen könnte. Er muss dann den Menschen erklären, dass es dauert, dass jemand auf dem Weg ist.

Das, was die Mitarbeiter hier leisten, ist übermenschlich.

Markus Wiezorek, Referat Leitstelle, Berliner Feuerwehr

"Wir sind derzeit ausgelastet" steht auf einem der Monitore an der Wand. Überlastet würde es vermutlich besser treffen. Auch der Leiter des Referats Leitstelle, Markus Wiezorek, sieht die andauernde Not in der Notrufzentrale. "Das, was die Mitarbeiter hier leisten, ist übermenschlich." Die psychische Belastung sei ohnehin hoch. Immer nur die Menschen zu vertrösten, statt helfen zu können, mache den Druck noch größer.

Die Maßnahmen zur Entlastung bringen da nur wenig Linderung. An die Kassenärztliche Vereinigung werden täglich 200, 220 Einsätze pro Tag abgegeben, deutlich mehr als noch zu Jahresbeginn. Doch die Mehrbelastung kann das nicht abfangen. Denn die Zahl der Anrufe und Rettungswageneinsätze steigt deutlich stärker. Und so versuchen sie in der Leitstelle die Löcher zu stopfen. Das bedeutet auch, dass nicht lebensbedrohliche Einsätze zurückgestellt werden. "Der Rückenschmerz muss warten", formuliert es André Spitzner. Sein Dispo-Kollege Kenneth Braun versucht derweil einen Rettungswagen in Brandenburg zu finden, für einen Einsatz in Steglitz. In Schönefeld wird er dann fündig.

Brand in Wilmersdorf - Anfahrt aus Wittenau

Die Anfahrt dauert 26 Minuten. Der nächste Notfall – das gleiche Problem. Kenneth Braun und André Spitzner jonglieren mit Rettungswagen, Löschfahrzeugen, Notarztwagen und müssen entscheiden, wer zuerst Hilfe bekommt. Verfügbar haben sie am späten Vormittag mal keinen, mal fünf Rettungswagen. Verteilt über die ganze Stadt. Wie schnell dann jemand kommt, Glückssache.

Der nächste Patient hat Glück. Der Notarzt ist nur drei Minuten von der Einsatzstelle entfernt. Zum gemeldeten Brand in Wilmersdorf hingegen fährt ein Löschzug aus Wittenau. 18 Minuten dauert das. "Wir stopfen ein Loch und reißen ein anderes auf", sagt Wachabteilungsleiter Mirco Lüdemann. Es ist ein Teufelskreis: Wenn es keine Rettungsmittel gibt, werden Brandbekämpfer zur Notfallrettung geschickt. Wenn es dann brennt, ist keiner mehr in der Nähe.

Und eine kurzfristige Lösung ist nicht in Sicht. Auf Einladung der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey haben sich Innensenatorin Iris Spranger (beide SPD) und Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Freitag getroffen. Ohne Ergebnis. Sie seien aber auf einem sehr guten Weg, teilte die Innensenatorin mit. Spranger will zur Entlastung auch geringer qualifizierte Rettungssanitäter in den Notarztwagen einsetzen. Das lehnen die Grünen als Verschlechterung der medizinischen Versorgung ab. Sie wollen nur Notfallsanitäter und Notärzte zusammen einsetzen.

Löschfahrzeug statt Notarzt zur Wiederbelebung

Bleibt nur Mangelverwaltung und Kopfschütteln: Mittags sind alle Notärzte im Einsatz, genauso wie die Rettungswagenbesatzungen und ein paar Löschfahrzeuge. "Wir haben 207 offene Einsätze, 20 unbeschickte, die mit den nächstmöglichen Kräften disponiert werden", sagt Wachabteilungsleiter Mirco Lüdemann. Und bei zehn Einsätzen sei nur ein Teil der nötigen Fahrzeuge und Menschen vor Ort. Zu einer Wiederbelebung wird dann ein Löschfahrzeug geschickt. Das braucht nur zehn Minuten, der Notarzt 22.

So lange zählt wieder jemand in der Leitstelle von eins bis vier. Man hört: "Sie sagen mir Bescheid, wenn die Rettungskräfte dann direkt bei Ihnen sind." Bis dahin muss die Mutter ihrem Sohn selbst helfen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 09.12.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Kerstin Breinig

17 Kommentare

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  1. 17.

    Meine Damen und Herren

    Die grundlegenen Diskussion um Fahrzeuge oder Qualfizierungen ist hier überflüssig! Wichtig ist Rechtssicherheit für Kollegen in der Leitstelle zu schaffen. Also jeder der hier Rettungsdienst fährt weiß doch was zwischen Alarmfax und Situation vor Ort für Welten liegen. Es werden Alarme beschickt die oft schon auf dem Alarmzettel zum Haare raufen sind. ,,Fliege im Auge" , ,,Bauchschmerzen 5 Tage, 24 Jahre alt" , ,,Grippeähnliche Symptome" also Hallo ?! Geht's noch?

    1. Ist es schon peinlich ,dass die Bürger anrufen und
    2. Bekommen die einen ,,Rettungswagen" als Bestätigung oben drauf !

    Die Anruferzahlen sind nicht viel höher geworden, die Kollegen in der Leitstelle haben keine Rechtssicherheit vieles am Telefon abzulehnen, dass ist der Kern ! Das sogenannte SNAP System unterscheidet nicht ob Schmerz 3 Stunden, 3 Tage, 3 Wochen

    Schmerzen sind Schmerzen also ein Notfall !

  2. 16.

    Ich hoffe unsere Politiker werden endlich mal wach....Ich erlebe es im engsten Kreis wie Fertig der einzigste traumjob macht...Ich bin selbst den ganzen Tag auf Berlins Straßen unterwegs. Und sehe nur noch Blaulicht quer durch die stadt rasen.tut endlich was ,damit dieser Job wieder lohnenswert wird..das beste Gehalt nützt nichts,wenn man davon nichts hat..weil man zu k.o ist...mir schwillt der Hals

  3. 15.

    Die AFD ist echt das letzte, was ich wählen würde - falsch, ich würde sie niemals wählen, nicht mal als letztes.

  4. 14.

    Die AfD ist ja mal als "Alternative für Deutschland" angetreten, um zu der "alternativlosen Politik" Frau Merkels eine Alternative zu bieten.
    Mit den - nicht rechtsextremen - kritischeren Einstellungen gegenüber Europa und dem unbegrenztem Zuwanderungswahn wurde die AfD solange von den etablierten "demokratischen" Parteien in die rechte Ecke gestellt, bis die anfangs vorhandenen liberalen Kräfte niedergebrüllt und vertrieben waren.

    Wenn SIE keiner Partei mehr vertrauen können, gründen SIE doch eine neue "Alternative"!

  5. 13.

    Ich bin seit 27 Jahren Rettungssanitäter, ich bin auch schon in Berlin Rettung gefahren, würde es aber nie wieder machen. Warum? Das Benehmen der Berliner gegenüber den Rettungskräften lässt zu wünschen übrig, die Anspruchshaltung, natürlich auch die Ausstattung der Rettungsfahrzeuge. Warum soll ich nicht den Notarzt fahren? Fahren ist nicht Teil der Ausbildung. Geräte anreichen und Medikamente aufziehen habe ich gelernt. Organisatorisches kann ich, war nicht Teil der Ausbildung. In anderen Bundesländern ist es erlaubt, da ist die medizinische Versorgung nicht schlechter.

  6. 12.

    Es ist eine Schande für Berlin mit 4 Millionen Einwohnern. Die Rettungskäfte verdienen unsere Hochachtung. Die Politiker, in ihrer Blase,sollen sich schämen. Aber das ist wohl ein Fremdwort für sie.

  7. 11.

    Nein, ich weiß nicht mehr was ich noch wählen soll, weil es keine Oartei gibt, der ich noch vertraue, dass sie es besser macht. Alle sind von Lobbyismus geprägt. Und ich werde garantiert keine rechte Partei wählen. Das ist es doch, was Sie mit Ihrer Aufforderung bezwecken wollen, gell?

  8. 10.

    Hallo Jan. Über deine Forderung werden sich die NotSan riesig freuen. Kannst Du Dir vorstellen wie anstrengend eine Schicht auf dem RTW ist? Anscheinend nicht! Der Einsatz auf einem Löschfahrzeug ist für die Kollegen, wenn auch immer seltener, eine kleine Verschnaufpause. Weiterhin fahren vielen RS schon auf dem NEF. Aus diesem Gelämmer führt leider kein Weg heraus. Mehr Geld senkt nicht die Einsatzzahlen, mehr ausbilden kann die Feuerwehr nicht. Die Regierungen der letzten Jahre haben dies alles Gewußt und den Karren so richtig in den Dreck gefahren, wo er jetzt feststeckt. Übrigens dies Personalproblem ist im gesamten öffentlichen Dienst.

  9. 9.

    Die grüninnen sond wieder fernab jeder Realität. Die Feuerwehr sagt es doch selbst. Sehr viele Einsätze sond überflüssig. Ich selbst als Notsan sage das zu 80% der Einsätze ein KTW mit 2 Rettungssanitätern reicht. Gerade Berlin hat doch bis vor kurzem genau diesen noch als Transportführer RTW eingesetzt. Hies RS 2000. Ein Rettsan mit 2000 Stunden praktischer Erfahrung. Genau das geht jetzt nicht mehr? Durch das Anspruchdenken der Bevölkerung würde sogar oftmals eine Schubkarre mit 2 Hiwis reichen!

  10. 8.

    Na, Leute dann wisst ihr wie ihr wählen müsst, es ist eine zweite Chance es noch gut zu machen. Mal sehen was daraus kommt! Anstatt meckern- tut was! Geht wählen!

  11. 7.

    "Was macht das mit denen, bei denen diese Anrufe eingehen?" - diese Frage bleibt unbeantwortet. Und ich weiss gar nicht, ob der Bevölkerung klar ist, dass Feuerwehr nicht nur die mit dem Schlauch am Wagen sind... Der gefühlt größte Teil des Jobs ist Lebensrettung. Die 112 ist wie selbstverständlich die Nummer bei Gesundheitskummer. Brände gibt es sehr wenig im Vergleich.

    Das Problem hat viele viele Ursachen. Fängt bei der Ausbildung an: wieso muss ich ein Handwerk lernen, um Leben zu retten? Und geht weiter bei der typischen arm-aber-sexy-Mangelwirtschaft in Berlin (66 RTW und 1000 MA fehlen), bei der eher mangelnden Organisation und dem Kompetenzgerangel.

    Wenn man da liegt, ist es einem übrigens schnurz, ob es ein Rettungs- oder ein Notfallsanitäter ist, Hauptsache, er hilft. Eine Schande übrigens, dass der Rettungssanitäter seine Ausbildung mit 2000 Euro selber zahlen muss!

    Was macht dieser Job mit dir? Vermutlich bist du der nächste, der einen RTW braucht...

  12. 6.

    Rettungssanitäter (RS) auf das Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) zu packen ergibt keinen Sinn:

    Gehen alle Notfallsanitäter (NotSan) vom NEF auf einen RTW, dann könnten diese NotSan theoretisch und bestenfalls, 25 weitere RTW besetzen. Für das NEF braucht man nun 25 RS und weitere 25 RS als Maschinist auf dem RTW.
    Damit verschlechtere ich die fachliche Qualität auf dem NEF erheblich und die NotSans, die bisher zu großen Teilen NEF und RTW gefahren sind, fahren nur noch RTW.

    Was offenbar der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, dass viele NotSans weiterhin zu bedeutenden Anteilen auf dem Löschfahrzeug (LHF) eingesetzt werden. Jede Schicht und jeden Tag.
    Mit diesen Kolleg_innen könnte man jede Schicht mit Sicherheit genauso viele RTWs stellen. Damit bräuchte man keine RS auf dem NEF.
    Am Ende bleibt nur ein Problem: dass nun diese NotSans fast ausschließlich auf dem RTW eingesetzt werden würden.

    So oder so. Wir Mitarbeiter müssen es ausbaden!

  13. 5.

    ich schäme mich immer mehr für meine einst geliebte Heimatstadt. Alles verkommt, wichtige Bereiche verlottern, verwahrlosen, dafür wird ideologischer Kram an erste Stelle gesetzt. Sicherheit, Sauberkeit, Bildung, Gesundheit und funktionierende Apparate sind wichtiger als Radwege, autofreie Zonen, umbenannte Straßen und Plätze und Gendern ohne Ende.

  14. 4.

    Ich selbst bin Notfallsanitäter und meiner Meinung nach muss ein Notarztwagen nicht zwingend mit einem Notfallsanitäter besetzt sein. Denn die höher qualifizierte Einsatzkraft ist der die Notarzt/in . Nicht zu vergessen das ein RTW zusätzlich an der Einsatzstelle eintrifft um den Patienten zu versorgen.

  15. 3.

    Was die FDP im Bund ist, sind die Grünen in Berlin. Querlegen
    um jeden Preis. Das geht auf die Nerven.

  16. 2.

    Da haben sie recht. Zumal es geht nicht darum die Patienten ins KH zu fahren, sondern den Notarzt zum Patienten.
    Es soll ja auch keine Dauerlösung sein, sondern nur ein Notbehelf.
    Aber leider blockieren die Grünen auch hier einfach mal wieder, weil sie es können.

  17. 1.

    Als ich heute Mittag ins Gesundbrunnen-Center ging, lag da ein Mann mit Kopfverletzung auf dem Boden, von Passanten umringt, die ihm ihre Jacken und Schals zum Wärmen umlegten. Als ich eine halbe Stunde später wieder raus ging, lag er immer noch da, ich konnte es nicht fassen. Mittlerweile war auch Polizei da und er hatte diese Goldfolie umgelegt. Dass die Rettung lange braucht, wusste ich, aber dass es eine halbe Stunde ist, macht mir Angst.
    Ich kann das Argument der Grünen verstehen, aber zur kurzfristigen Entlastung, oder um Menschen einfach ins Krankenhaus zu fahren, ist eine nicht so gut ausgebildete Besatzung wohl besser als gar keine Hilfe, oder?

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