Berufsintegration bei der BSR - Jugend ohne Abschluss - aber mit Anschluss
Jeder Kopf, jedes Paar Hände wird perspektivisch gebraucht auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Nachwuchs ist knapp. Und doch gibt es junge Leute, die nur schwer Ausbildung oder Arbeit finden. Aber auch für sie gibt es Möglichkeiten. Von Anna Corves
Mohamed, genannt Momo, 22 Jahre alt, und Ali, 17, arbeiten sich einen Bürgersteig in Hermsdorf entlang. Beide tragen die leuchtend orangefarbene Uniform der Berliner Stadtreinigung. Ali fegt mit dem Besen den Gehweg sauber, Momo sammelt Müll in der Handkarre.
Seit Ende August sind Ali und Momo in BSR-orange unterwegs, im Rahmen des Projekts: "Gemeinsam schaffen wir das" von BSR und der Gesellschaft für berufsbildende Maßnahmen. Es will Jugendlichen mit brüchigen Bildungsbiographien eine Jobchance bieten. Es gibt mehr Bewerber als Plätze, die besten 15 wurden ausgewählt.
Dass sie dazu gehörten, ist für Jungs wie Momo ein wichtiges Erfolgserlebnis. Momo hat keinen Schulabschluss - die falschen Freunde, erzählt er: "Die meinten immer: Komm raus, geh nicht in die Schule. Ich hab oft geschwänzt." Heute ärgert ihn das, er hätte mehr erreichen können, sagt er. Er jobbte in der Gastronomie, bis er von dem BSR-Projekt hörte.
Ziel: Jobgarantie bei der BSR
Ein Jahr lang lernt Momo jetzt die Arbeit des Straßen- und Grünflächenreinigers – von Thomas Nordbruch, den die Jugendlichen liebevoll Nordi nennen. Ein väterlicher, gleichzeitig junggebliebener Mann, der den Jungs zuliebe auch mal Gangstarap statt Klassikradio hört. "Ich bin nicht nur Chef, sondern auch Kollege, Lehrer, Ernährungsberater, Seelsorger."
Die größte Herausforderung ist für die meisten Teilnehmer das frühe Aufstehen: Um 6 Uhr morgens heißt es: Abfahrt vom Betriebshof. Der Wecker klingelt um 4, halb 5. Am Anfang war's hart, erzählt Momo. Aber dann hätte sich sein Körper daran gewöhnt. "Ich gehe jetzt immer um acht, spätestens um neun ins Bett – wenn ich diesen Schlafrhythmus schaffe, ist der Job top."
Wer das Jahr erfolgreich beendet, hat eine Vollzeitstelle bei der BSR sicher. Erst für ein Jahr, dann winkt die Entfristung nebst Gehalt nach TVöD. Dass dieses Ziel so greifbar ist, motiviert auch Ali, sich voll reinzuhängen. Er hat den Mittleren Schulabschluss MSA, aber keine Lust auf eine dreijährige Ausbildung. "Ich will rasch Geld verdienen, mich dann bei der BSR hocharbeiten."
Bei Schwierigkeiten wird schnell hingeschmissen
Nicht jeder hält im Projekt durch. Bei manchen Jugendlichen fehlt letztlich der Wille. Viele haben handfeste Probleme, weiß die pädagogische Betreuerin des Projekts, Judith Hochstein: "Wir haben Teilnehmer mit Lernbeeinträchtigungen, mit Gewalterfahrungen, Geflüchtete, Jugendliche aus sozial prekären Verhältnissen, mit Suchtproblemen." Hochstein begleitet sie zu Ämtern, vermittelt an Experten, Schuldnerberater. Sie übt mit den Jugendlichen notfalls den Tagesablauf, vom Klingeln des Weckers über den Arbeitsweg. "Ihr Haupthandlungsmuster bei Schwierigkeiten ist: Ich kann das nicht, ich schmeiße hin."
Im Schnitt erreichen 66 Prozent der Jugendlichen das Ziel: den Job. Eine sehr gute Quote, findet Judith Hochstein - und so sieht das auch die BSR, die das Projekt schon seit 19 Jahren anbietet. Unternehmenssprecher Thomas Klöckner findet: "Es ist die Mühe wert. Für die Jugendlichen selbst, die in die Lage versetzt werden, sich zu finanzieren, eine Berufskarriere aufzubauen. Es ist aber auch eine Entlastung für das Land, denn die Alternative hieße Sozialhilfe." Für die BSR wiederum ist es inzwischen auch eine gute Rekrutierungsmöglichkeit für Arbeitskräfte.
Tausende Jugendliche landen im Übergangssystem
Eine solch engmaschige Begleitung ist für kleinere Betriebe kaum zu leisten. Ohnehin beschweren sich die Kammern schon lange über die Qualität der Auszubildenden - und das sind meist die vermeintlich unproblematischen Jugendlichen mit Schulabschluss. 30 Prozent der Betriebe müssten ihren Azubis Nachhilfe in Grundfertigkeiten geben, hieß es jüngst von der Berliner Industrie- und Handelskammer. 40 Prozent würden mehr ausbilden, wäre die Ausbildungsfähigkeit höher.
Womöglich sind die Betriebe verwöhnt: Noch immer haben 38 Prozent der Berliner Azubis Abitur, obwohl für Ausbildungsberufe nicht mal ein MSA Pflicht ist. Womöglich kann man von den Betrieben mehr qualitatives und quantitatives Engagement verlangen. Schließlich geht in den nächsten zehn Jahren jeder fünfte Beschäftigte in Berlin in den Ruhestand. Aber: Die Integration von Jugendlichen mit besonders schwierigen Voraussetzungen verlangt Betrieben zu viel ab, sagt Siegfried Vogelsang. Er ist Präsident der GFBM Akademie, einer Beratungseinrichtung in Sachen berufliche Bildung. "Das schafft man nicht im normalen Betriebsalltag, dafür braucht man Profis."
Übergang ins Arbeitsleben oft zu unübersichtlich
2020 sind fast 6.500 junge Menschen im so genannten Übergangssystem gelandet, so Vogelsang. Das umfasst Maßnahmen, um einen Schulabschluss nachzuholen. Oder um Grundtugenden zu vermitteln, damit der Übergang in eine Ausbildung gelingen kann. Der Übergangssektor müsse Versäumnisse der Schulen nacharbeiten, so Vogelsang. Er kritisiert, dass viele Maßnahmen nicht effektiv seien.
Zusammen mit anderen Bildungspraktikern und Wissenschaftlern hat er die "Berliner Agenda Berufliche Bildung 2026" erarbeitet. Die entwickelt konkrete Reformvorschläge für den Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf. Den Übergangssektor auszumisten, gehört dazu. Er beinhalte ein unübersichtliches Angebot an Maßnahmen von verschiedenen Senatsverwaltungen, Arbeitsagentur, Jugendhilfe und anderen, die nicht aufeinander abgestimmt seien, so Vogelsang.
IBA soll es besser machen
Viele Maßnahmen vermittelten außerdem nicht zielgenau in Arbeit oder Ausbildung, sondern bedeuteten für die Jugendlichen nur eine Warteschleife. Die Senatsbildungsverwaltung verweist als Antwort auf die so genannte "Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung", IBA. Damit versuchen die Oberstufenzentren seit einigen Jahren, Jugendliche stringenter aufs Berufsleben vorzubereiten.
Die IBA-Schüler versuchen, binnen eines Jahres den MSA nachzuholen. Außerdem bekommen sie fachpraktischen und theoretischen Unterricht, absolvieren mehrere Praktika. Am OSZ Kommunikations-, Informations- und Medientechnik beispielsweise mit technischer Ausrichtung. Direktor Helmut Jäger findet die IBA-Konzeption gelungen. "Durch den hohen Praxisanteil wird den Schülern deutlich vermittelt, dass die Zeit in der Schule endet. Sie lernen das Leben in einem Betrieb kennen, können dort auch für sich werben."
"Je weiter weg vom normalen System, desto geringer die Chancen"
Jäger zeigt eine Tabelle, die zeigt, wie es für die Absolventen dieses Jahres weiterging: 27 Prozent gingen in eine berufliche Ausbildung, 38 Prozent wechselten in eine mehrjährige schulische Ausbildung. Bei ihnen hat es geklappt, sie über den Umweg IBA aufs Gleis zu einem Beruf zu bringen.
Eigentlich sollten sie sich das, was sie in IBA fachpraktisch gelernt haben, bei einer dazu passenden Ausbildung anrechnen lassen können, so die Ausbildungszeit verkürzen. Das war zumindest die Idee der Senatsbildungsverwaltung, wie sie auf Anfrage ausführt: Man habe "Ausbildungsbausteine" in IBA und andere Maßnahmen des Übergangssektors implementiert, die in einer Ausbildung anrechenbar sein sollten. Aber: "Für die jungen Berufseinsteiger wurde die Anrechenbarkeit von Kammern und Wirtschaftsbetrieben leider nicht akzeptiert."
Genau diese fehlende Integration der Maßnahmen des Übergangsbereichs in das System der Berufsausbildung kritisieren Experten wie Siegfried Vogelsang. In einigen Berufsfeldern gebe es Modelle, die beide Systeme verzahnen, Stichwort Berliner Ausbildungsmodell. Die müssten Politik und Wirtschaft massiv stärken und annehmen. Und jene Maßnahmen, die Jugendliche zwar im System und aus der Statistik halten, aber losgelöst vom echten Arbeitsmarkt agieren, aussortieren. Eins sei klar, so Vogelsang: "Je weiter die Jugendlichen von dem normalen System entfernt sind, desto höher wird der Aufwand und desto geringer sind die Erfolgschancen, um sie wieder einzufangen."
Sendung rbb24 Inforadio, 10.12.2022, 07:30 Uhr