Interview | Safer Internet Day - "Für jedes Kind besteht im Netz das Risiko, mit Sexualtätern oder -täterinnen konfrontiert zu werden"

Di 07.02.23 | 10:46 Uhr
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Symbolbild: Ein Mädchen sitzt auf der Couch und guckt in das Tablet ihrer Eltern. (Quelle: dpa/Annette Riedl)
Audio: Antenne Brandenburg | 07.02.2023 | Hallo Brandenburg | Bild: dpa/Annette Riedl

Kinder sind immer früher online aktiv. Immer häufiger werden sie beim Surfen im Netz auch von Sexualtäterinnen und -tätern kontaktiert. Medienkompetenz kann helfen - auch bei den Erwachsenen, sagt der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger im Interview.

rbb: Herr Rüdiger, der Safer Internet Day richtet sich in den vergangenen Jahren immer stärker an jugendliche Nutzer. Sie fordern mehr Medienkompetenz. Denn wenn man es genau betrachtet, haben sich besonders zwei dramatische Entwicklungen eingestellt.

Thomas-Gabriel Rüdiger: Ja, tatsächlich, das muss man so sagen. Das eine ist, dass sich die Konfrontation von Kindern mit Sexualtätern und Sexualtäterinnen im Netz noch mehr verstärkt hat. Der zweite Trend, der in diesem Zusammenhang total relevant ist, ist die sogenannte Peer Gewalt.

Safer Internet Day

Am zweiten Tag der zweiten Woche des zweiten Monats ist Safer Internet Day. Der weltweite Aktionstag soll Kinder und Jugendliche für mehr Online-Sicherheit und für ein besseres Internet sensibilisieren. Denn es fehlt an Medienkompetenz und Cybergrooming wird ein immer größeres Problem.

Bleiben wir zunächst beim ersten Punkt, Cybergrooming. Erklären Sie den Begriff und warum Kindern dafür noch mehr sensibilisiert werden müssen.

Unter Cybergrooming kann man verstehen, dass Sexualtäter und Sexualtäterinnen über digitale Medien auf Kinder einwirken, mit der Vorstellung dadurch einen sexuellen Kindesmissbrauch erst möglich zu machen. Eine Studie der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen [Webseite zur Studie] hat ergeben, dass sich die Anzahl der Acht- bis Neunjährigen, die zwischen 2021 und 2022 von Erwachsenen über das Netz kontaktiert wurden, um Treffen zu organisieren, von acht Prozent auf 20 Prozent gesteigert hat. Also jedes fünfte Kind, im Alter zwischen acht und neun Jahren berichtet von Anbahnungsversuchen, von Sexualtätern und -täterinnen im Netz. Das ist Cybergrooming und es ist ein Riesenphänomen. Ich selber gehe davon aus, dass vermutlich mittlerweile für jedes Kind, das im Netz aufwächst, das Risiko besteht mit Sexualtätern oder Sexualtäterinnen konfrontiert zu werden. Cybergrooming ist leider eine Art Normalität für Minderjährige im digitalen Raum.

Wie kann Cybergrooming entgegengewirkt werden?

Wir müssen da mit Medienkompetenz ran. Wir müssen die Kinder darauf vorbereiten, was das bedeutet und wie sie reagieren. Und gleichzeitig müssen wir auch als Sicherheitsbehörden viel verstärkter diese Täter und Täterinnen im Netz verunsichern, dass sie Angst davor haben, anstatt mit einem Kind zu kommunizieren, mit Sicherheitsbehörden zu kommunizieren. Dazu gehört aber auch, dass wir für Kinder im digitalen Raum Möglichkeiten schaffen sollten unkompliziert und kindgerecht mit den Sicherheitsbehörden Kontakt aufzunehmen, also die Hemmschwelle für eine Anzeige niedrig zu gestalten. Beispielhaft über eine Art Kinderonlinewache, die explizit auf die Kommunikationsfähigkeiten von Kindern ausgelegt ist.

Infobox: Zur Person

Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg (Quelle: imago/Future Image)
imago/Future Image

Thomas-Gabriel Rüdiger ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er ist Experte für verschiedene Aspekte von Internetrisiken, u.a. Cybergrooming und digitale Hasskriminalität, aber auch für digitale Polizeiarbeit. Er klärt auf über Aspekte des Kinder- und Jugendmedienschutzes, sowie spezielle Risiken im Umgang mit Sozialen Medien und Onlinespielen.

Sie haben noch ein zweites Problem in diesem Kontext ausgemacht – Peer Gewalt. Was kann dagegen gemacht werden, und wieso ist Peer Gewalt auch für Kinder ein durchaus juristisches Problem?

In der polizeilichen Kriminalstatistik 2021 bildeten Kinder und Jugendliche erstmals selbst die Mehrheit aller Tatverdächtigen bei der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten über das Tatmittel Internet. Das waren nicht die Erwachsenen, das waren die Kinder und Jugendlichen. Genau genommen waren es 54 Prozent auf Bundesebene. Das ist ein Riesenproblem, wo wir mit Medienkompetenz gegensteuern müssen und nicht per se mit Strafrecht.

Können Sie den Sachverhalt genauer erklären? Warum sind so viele Kinder und Jugendliche tatverdächtig?

Stellen Sie sich vor, ein Kind ist in einem Klassen-Chat. Und in dieser Chatgruppe kommt irgendjemand auf den Gedanken, ein Bild, ein Video oder einen Sticker mit kinderpornografischem Inhalt zu posten, weil er oder sie es lustig findet. Dann ist es so, dass diese Bilder meistens in die Smartphone-Galerien heruntergeladen werden, und je nach Einstellung erfolgt das automatisch. Und in diesem Moment, wo das heruntergeladen wird und nicht sofort gelöscht wird, besitzt der oder diejenige Person kinderpornografische Inhalte. Dazu kommt noch, dass mittlerweile auch Kinder selbst im Rahmen des sogenannten Sextings von sich Nacktbilder machen und sich auch zusenden. Das löst bereits einen Anfangsverdacht einer Straftat aus, und das gilt prinzipiell auch für Minderjährige und selbst Kinder. Und da muss dann zum Beispiel die Polizei aufgrund des sogenannten Legalitätsprinzips selbst ermitteln.

Wenn ich als Elternteil mitbekomme, dass sich solche Inhalte auf dem Smartphone meines Kindes befinden, soll ich einen Screenshot machen und es den Behörden melden?

Wenn Sie so etwas sehen, niemals ohne Rücksprache mit der Polizei selbst einen Screenshot anfertigen oder sich die Bilder zusenden, sie vervielfältigen damit nämlich das kinderpornografische Medium - auch nicht als vermeintliches Beweismittel. Damit kann auch gegen Sie ein Anfangsverdacht einer Strafbarkeit entstehen.

Die Jugendlichen merken also gar nicht, dass sie sich strafbar machen, es ist ihnen nicht bewusst, oder?

Vermutlich nicht. Aber die Rechtslage sagt, wenn du ein Bild nicht im ersten Moment, in dem es in eine Galerie heruntergeladen wird, löschst, dann besitzt du streng genommen kinderpornografische Inhalte. Wenn es zu so einer Nachricht in einem Gruppen-Chat kommt, in die Gruppe kommunizieren, dass man das nicht möchte, Inhalte vom Smartphone löschen und aus dieser Gruppe austreten. Aber das ist nun mal vermutlich nicht die Realität.

Weil wir nicht Medienkompetenz ab der ersten Klasse unterrichten, bleiben nur die Eltern, das muss man so klar sagen.

Sie fordern mehr Medienkompetenz, gerade für die Jüngsten, weil eben auch die Nutzer immer jünger werden. Was können Eltern denn tun, um zu verhindern, dass ihre Kinder in eine solche Situation geraten?

Wenn es ihnen unangenehm ist, mit ihrem Kind über solche Themen zu sprechen – beispielsweise, dass es Sexualtäter und -täterinnen gibt, die Nacktbilder von einem Kind möchten oder dass es passieren kann, dass ihr Kind in einer Schulklassen-WhatsApp-Gruppe solche Inhalte sieht – dann ist das Kind vermutlich auch zu jung für ein Smartphone und für den Zugang zu solchen Klassengruppen.

Eltern müssen sich selber mit diesem digitalen Raum auseinandersetzen und dieses Wissen erlangen, um überhaupt authentische Ansprechpartner für ihre Kinder zu sein, damit sie die Kinder auf solche Risiken und Verhaltensweisen vorbereiten können. Das passiert bei vielen aber nicht. Eine Studie spricht davon, dass viele Eltern dazu neigen, zu sagen, die Risiken sind so kompliziert, ich beschäftige mich damit nicht, es wird schon gut gehen. Die Studie nennt das eine Verantwortungs-Verschieberei von den Eltern auf die Kinder. Und das geht nicht. Weil wir nicht Medienkompetenz ab der ersten Klasse an jeder Schule in ganz Deutschland verpflichtend unterrichten, bleiben nur die Eltern, das muss man so klar sagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jürgen Haenig für Antenne Brandenburg. Der Text ist eine redigierte Version des Interviews.

Sendung: "Hallo Brandenburg", Antenne Brandenburg, 07.02.2023, 10 Uhr

7 Kommentare

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  1. 7.

    Es sind nur dann alle gleich, wie Sie erkannt haben, wenn man den richtigen Plural verwendet und falsches biologisierendes Gendern vermeidet. Gerade bei Straftaten und sexuellen Delikten können sehr unschöne Bilder im Kopf von Kindern entstehen, die nicht mehr verschwinden wollen: "Sexualtäter:innen" oder "Mörder:innen" usw.
    Gerade in Kitas und Schulen wrd richtig gelehrt. Nicht nur aus vorgenannten Gründen, nein auch, weil man nur gewinnend sprechen kann, wenn man nicht gendert. Ansonsten wird es sehr einsam am Kaffeetisch. Das hat seinen Grund.

  2. 6.

    "Also jedes fünfte Kind, im Alter zwischen acht und neun Jahren berichtet von Anbahnungsversuchen."
    Wer lässt denn sein acht- oder neunjähriges Kind einfach so allein ins Netz?
    Mein Kind kann von so etwas nicht berichten, weil es dort natürlich nicht allein unterwegs ist.

  3. 5.

    Instagramm bzw. Tiktok ab13 Jahren. Whatsapp ab16 Jahren. Die jüngeren schummeln dann bei Eingabe des Geburtsdatums? Frage an die Erziehungsberechtigten: Wieso können dann Acht bis Neunjährige dann auf diesen Plattformen sein.

  4. 4.

    An der Grundschule hier müssen die Kinder einen "Internetführerschein" machen bevor sie Zugang bekommen. Angeblich lernen sie dort sich sicher im Internet zu verhalten. Aber jetzt frage ich nochmal genauer nach. @rbb Danke für die Anregung mich auch damit zu beschäftigen.

  5. 3.

    Ich würde das erweitern auf weitere Problemgruppen, welche durch Kontakte/Gruppen im Netz bzw. durch ungeeignete/unaufbereitete Informationen im Netz auftreten können, die z.Bsp. zu diversen psychischen Störungen bis zum Selbstmord führen können oder auch Suchtproblemen, von der Abkopplung von der realen Umwelt mal nicht extra zu sprechen.

  6. 2.

    Vielen Dank für Ihre kritische Anmerkung. Da Verständnis und Klarheit für uns immer Vorrang haben, gendern wir in unseren Beiträgen nicht immer durchgängig. Weitere Informationen zum Thema Geschlechtergerechte Sprache beim rbb finden Sie hier: https://www.rbb24.de/politik/hintergrund/gender-rbb24-sprache-redaktion-gendern.html

  7. 1.

    @RBB
    Im Titel des Artikels verwenden Sie das Gender-Gap und machen damit eindeutig klar das jegliche folgende Verwendung des Maskulinums explizit nur Männer bezeichnen wird. Doch schon im Klappentext sprechen sie dann von „Sexualtätern“, also nicht mehr jedem unabhängig vom Geschlecht. Das ist statistisch sogar völlig korrekt und inhaltlich finde ich den Artikel auch gut, doch warum formulieren sie erst geschlechtersensibel um dann sofort nur noch von männlichen Tätern und Nutzern zu sprechen?
    Für mich zeigt es einmal wieder das beim RBB nicht gegendert wird weil die Autoren wirklich dahinter stehen und wissen was sie tun, sondern nur weil man es muss, oder es einfach nur in Mode ist.
    Verzichten Sie einfach auf das Gender-Gap und verwenden, wie in den Antworten des Interviews, konsequent Doppelnennungen, oder bleiben sie komplett beim Generischen Maskulinum, dann bezeichnet „Täter“ auch potentiell jeden und transportiert keine Meinung. Beides zusammen funktioniert nicht.

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