Gewalt gegen LGBTIQ-Personen - Berliner Opferberatungsstelle registriert zunehmend Angriffe auf queere Einrichtungen

Mi 10.05.23 | 18:51 Uhr
Zwei Frauen tragen eine Regenbogenfahne am Christopher Street Day. (Quelle: dpa/Marcel Ibold)
Bild: dpa/Marcel Ibold

In Berlin haben LGBTIQ-Personen im Jahr 2022 erneut hunderte queerfeindliche Vorfälle gemeldet. Die Taten richteten sich zunehmend gegen Bars, Jugendtreffs und andere Einrichtungen, in denen sich queere Menschen bislang sicher fühlten.

An einem Freitag im Oktober sitzt Samira Bekkadour-Hotz mit zehn Jugendlichen im queeren Jugendtreff Q*ube in der Neuköllner Schönstedtstraße, als es an der Tür klopft. Drei Männer stehen auf dem Gehweg und fragen die Jugendsozialarbeiterin, um welche Einrichtung es sich bei dem Jugendtreff handle. "Ich habe schon eine leicht aggressive Grundstimmung mitbekommen und wollte nicht sagen, dass wir ein queerer Jugendklub sind", sagt Bekkadour-Hotz im Gespräch mit rbb|24. "Dann standen aber schon Jugendliche hinter mir, die total fröhlich waren und gesagt haben, dass hier Lesben und Schwule sind."

Daraufhin hätten die Männer die Jugendlichen beschimpft. "Ich wollte die Türe gerade schließen, da kam die Bedrohung 'wir haben euch gesehen, spätestens Silvester wird euer Laden sowieso brennen'."

Mehr Angriffe auf Einrichtungen

Vorfälle wie dieser haben sich in Berlin im vergangenen Jahr auffällig gehäuft, wie Bastian Finke von der queeren Beratungsstelle Maneo rbb24 sagt. Im Jahr 2022 hatte die Anlaufstelle 44 Übergriffe gegen Bars, Cafés, Initiativen, Projekte sowie auch religiöse Einrichtungen, die die Regenbogenfahne zeigten, gezählt. "Wir haben sehr deutlich und erstmalig Übergriffe gegen LSBTQI-Einrichtungen wahrgenommen, aber auch gegen Einrichtungen, die sich mit queeren Menschen solidarisieren."

Ein Beispiel sind etwa die Drohungen gegen Verantwortliche der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit. Diese hatten im Juli eine Regenbogenflagge gehisst, als Zeichen der Solidarität mit queeren Menschen. In den Tagen danach hatten sich Hass und Drohungen in sozialen Netzwerken entladen.

Bereits im Februar 2022 meldete das Schwule Museum in Tiergarten einen Angriff mit Schusswaffen. In einer Nacht hatten Unbekannte auf das Gebäude gefeuert und zwei Fensterscheiben, den Leuchtschriftzug und ein Kunstwerk vor der Eingangstür beschädigt. Auch Bars und Cafes wurden im vergangenen Jahr mehrfach Zielscheiben queerfeindlicher Angriffe.

Im Fall des Jugendtreffs Q*ube in Neukölln sei es bei einer Drohung geblieben, sagt Samira Bekkadour-Hotz. "Trotzdem waren alle hier erschrocken. Wir hatten das Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein, an dem so etwas nicht passiert."

Queerfeindliche Vorfälle nur selten gemeldet

Ob Berlin für queere Menschen insgesamt gefährlicher wird, lässt sich allein anhand der bekannt gewordenen Fälle und der Zahl der Meldungen kaum einschätzen.

Einerseits haben etwa Mitarbeitende bei Maneo im vergangenen Jahr 760 Fälle und Hinweise auf Übergriffe gegen schwule, lesbische und transsexuelle Menschen registriert. 557 der Fälle enthielten eindeutige queerfeindliche Bezüge, im Jahr 2021 waren es noch 527 gewesen.

Der Staatsschutz im Berliner Landeskriminalamt registrierte im vergangenen Jahr 542 Fälle im sogenannten Phänomenbereich "sexuile Orientierung", ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt bewegen sich die Zahlen auf einem ähnlichen Niveau wie 2019, vor der Corona-Pandemie.

Andererseits ist unklar, wie viele Betroffene Beleidigungen, Drohungen oder Körperverletzungen anzeigen. Wie Bastian Finke erklärt, wurde nur jeder zweite der von Maneo erfassten Fälle der Polizei gemeldet. Insgesamt sei der Anteil der nicht offiziell angezeigten Delikte weiterhin sehr hoch einzuschätzen, sagt Maneo-Leiter Bastian Finke. "Das Dunkelfeld liegt unserer Einschätzung nach bei 80 bis 90 Prozent. Deshalb ist es schwer zu sagen, ob es faktisch mehr queerfeindliche Straftaten gibt."

Probleme nicht nur auf der Straße

Wie aus dem Jahresbericht 2022 von Maneo hervorgeht, ging es bei großen Teilen der gemeldeten Fälle um Beleidigungen (42 Prozent), Körperverletzungen (29 Prozent) sowie Nötigung und Bedrohung (24 Prozent). Der Großteil der Übergriffe passierte auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln (46 Prozent) sowie im Internet und in den Sozialen Medien (18 Prozent).

"Auf der Straße in Berlin laufen zum Beispiel LGBTIQ-Personen immer wieder Gefahr, angefeindet, beschimpft und angegriffen zu werden, allein schon wenn sie sich zu erkennen geben", sagt Finke. "Wir haben auch Gewalt und Bedrohungen innerhalb von Familien, wenn sich einzelne Personen outen. Queerfeindliche Vorfälle spielen sich aber nach wie vor auch im Sport ab oder am Arbeitsplatz." Maneo fordert deshalb eine zuständige Ansprechperson in einer Berliner Senatsverwaltung, mehr Prävention und Unterstützung.

Der Jugendtreff Q*ube in Neukölln versucht, das Sicherheitsgefühlt der Jugendlichen auch durch neue Ansätze zu stärken. "Wir haben für uns ein paar Regeln aufgestellt und ein Schutzkonzept erarbeitet, zum Beispiel, wenn Jugendliche hier vor der Tür rauchen wollen, dass immer jemand von den Betreuern dabei ist." Nach dem Vorfall im Oktober hatte der Jugendtreff einen Bericht des Vorfalls auf Instagram geteilt. "Der Support und die positive Rückmeldung von Leuten in der Nachbarschaft war großartig, die Leute haben uns geschrieben, dass sie für uns mit einstehen wollen und solidarisch sind. Das hat uns das gute Gefühl wieder zurückgegeben."

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.05.2023, 18:10 Uhr

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