A100-Ausbau vs. Clubkultur - "Ein Innenstadtbereich ohne Clubs, das ist Berlin-unwürdig"
Sollte die Berliner Stadtautobahn A100 bis zur Storkower Straße verlängert werden, würden dem Ausbau zahlreiche Clubs rund um das Ostkreuz weichen müssen. Gegen den drohenden Kahlschlag richtet sich am Samstag eine Tanzdemo.
Viele Clubs, soziale Einrichtungen und eine Schule für Körper- und Lernbehinderte könnten in Friedrichshain verschwinden, wenn der Bauabschnitt 17 der Stadtautobahn zwischen Elsenbrücke und Storkower Straße wirklich gebaut werden sollte.
Am Samstag (6. Mai) zieht die Tanzdemo Wem gehört die Stadt? wieder durch Berlin und fordert ein Recht auf Stadt für alle. Es geht um Vergesellschaftung, faire Mieten, aber auch darum, Freiräume zu schützen und zu erhalten.
Linke-Politiker sieht bis zu 30 Einrichtungen bedroht
"Dass Leute aus ihren Kiezen und Wohnungen verdrängt werden oder Clubs schließen müssen, ist kein Naturgesetz", sagt Maximilian Schirmer. Er ist Mitveranstalter der Tanzdemo und sozialpolitischer Sprecher der Linken. "Das ist alles Politik und die kann man ändern. Politik kann auch Spaß machen. Und das wollen wir mit der Tanzdemo zeigen, dass Protest verbindet und auch tanzbar ist."
Schirmer sagt weiter: "Wir gehen davon aus, dass zwischen 20 und 30 Kultureinrichtungen und Clubs schließen könnten oder müssten."
Hotspot zwischen Elsenbrücke und Ostkreuz
Jens Schwan, Betreiber von The Clubmap und Mitveranstalter vom Zug der Liebe ergänzt: "Zwischen Elsenbrücke und Ostkreuz hat sich mehr und mehr angesiedelt. Else, Renate, das M01, das About:Blank und Richtung Wiesenweg ist das Oxi neu dazugekommen. Das Void hat sich erweitert. Das ist einiges. Und das ist alles auf diesen Vorhalteflächen entstanden". (Vorhalteflächen sind Bereiche, die für den Bau der Stadtautobahn vorgesehen sind und nicht anderweitig bebaut werden., Anm. d. Redaktion)
Viel Geld wurde bereits in den Weiterbau der A100 gesteckt - der im Bau befindliche Abschnitt 16 wird etwa 700 Millionen Euro kosten. Weitere 800 Millionen Euro könnte der geplante Abschnitt 17 kosten. Könnte, denn laut der letzten Schätzung haben sich die Kosten gegenüber der aus dem Jahr 2013 bereits verdoppelt. Experten gehen sogar von einer Milliarde Euro aus.
"Aus unserer Perspektive ist es dramatisch, dass für den 16. und 17. Bauabschnitt insgesamt wahrscheinlich 1,5 Milliarden Euro ausgegeben werden würde. Geld, was wir dringend nicht nur für den Erhalt der Clubs bräuchten, sondern auch für marode Schulen oder unsere Krankenhäuser - aus unserer Perspektive ist das ein verantwortungsloser Umgang mit Steuergeldern", so Schirmer weiter.
Schwebezustand steht Planungssicherheit im Weg
Seitens der Politik gibt es bisher keine konkrete Aussage, ob der Weiterbau der Stadtautobahn bis zur Storkower Straße wirklich angegangen und umgesetzt wird. Dieser Schwebezustand verbessert die Situation keineswegs, das Gegenteil ist der Fall, sagt Maximilian Schirmer: "Es ist relativ eindeutig, dass die Clubs und eigentlich auch alle anderen Leute hier im Kiez endlich Planungssicherheit brauchen, um zu wissen, was tatsächlich passiert. Alle stehen so ein bisschen in der Schwebe und wissen nicht, kommt der 17. Bauabschnitt, kommt er nicht. Was machen wir jetzt? Wie lange können wir uns noch erhalten? Das ist eine wahnsinnig schwierige Situation für eine längere Planung von ganz vielen verschiedenen Menschen hier."
CDU, FDP und AfD befürworten das umstrittene Bauprojekt, ebenso Franziska Giffey und der damalige Stadtenwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD). Grüne, Linke und die SPD-Basis lehnen den Ausbau ab. Ob die Verlängerung kommt, entscheidet letztlich das Bundesverkehrsministerium, denn Autobahnen sind Bundessache. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist der 17. Bauabschnitt eingeplant, muss aber noch ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen, ehe wirklich die Bagger anrücken dürften.
Planungen aus den 1950er Jahren
Kritiker:innen des Weiterbaus, wie Jens Schwan, fordern ein Umdenken: "Das funktioniert heutzutage nicht mehr, weil wir eine andere Mobilität für die Stadt brauchen – mit weniger Autos. Das Konzept ist einfach alt, und das muss geändert werden. Eine Priorisierung für Verkehr ist heutzutage eine ganz andere als vor 80 Jahren. Wir müssen den Verkehr aus der Stadt kriegen und nicht irgendwo durch Wohngebiete schicken. Ansonsten können wir keine nachhaltige grüne Stadt haben, die lebenswert ist."
Die Pläne zum Ausbau der A100 gehen zurück in die 1950er Jahre. Vorgesehen war ein Stadtring, der durch die Teilung der Stadt nicht umgesetzt werden konnte. Nach der Wende wurde der Weiterbau 1992 in den Verkehrswegeplan aufgenommen. Umweltschützer:innen und Anwohner:innen protestieren seit vielen Jahren gegen den Weiterbau dieser "Schneise des Lärms".
Clubkultur ist touristisches Zugpferd
Damit Berlin eine lebenswerte Stadt bleibe, müsse es neben bezahlbarem Wohnraum auch Freizeit- und Kulturangebote geben. Und dazu zählten auch die Clubs, sagt Maximilian Schirmer: "Clubs haben in Berlin einen wahnsinnig großen Stellenwert. Nicht für alle Berlinerinnen und Berliner. Aber für viele Menschen in Berlin ist es Freiraum, wo sie einfach mal sie selbst sein können. Clubs gehören einfach zur DNA von Berlin. Dafür sind sie auch weltweit bekannt". Das schätzt Jens Schwan ähnlich ein: "Das ist Berlin-unwürdig, ein Innenstadtbereich ohne Clubs. Die Stadt wirbt damit. Neben den Start-Ups ist die Berliner Clubkultur das wichtigste Zugpferd gerade für junge Touristen, was auch unglaublich viel Geld in die Kassen spült. Und es ist auch ein Wahrzeichen Berlins".
Zum alten Berliner Kultursenat gab es einen guten Kontakt und einen Lärmschutzfonds, der Clubs ermöglichte, Lärmschutzmaßnahmen umzusetzen. Wie das Verhältnis zum neuen Berliner Senat wird, ist ungewiss. Laut Maximilian Schirmer sind "die Verbindungen ein bisschen abgerissen". Einen Wunsch hat er aber an den neuen Senat: "Kultur soll in seiner gesamten Bandbreite erfasst werden. Das bedeutet, Clubs gehören neben vielen anderen Kultureinrichtungen einfach dazu. Wenn wir es nicht schaffen, diese Clubs zu erhalten und das auch als politische Priorität zu betrachten, dann fallen die einfach weg, wie Parks oder Seen wegfallen, wenn wir sie nicht erhalten. All das sind schützenswerte Dinge. Wenn wir nicht aufpassen, verliert Berlin seinen Charakter. Und dagegen stellen wir uns und gehen auf die Straße."
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.05.2023, 19:30 Uhr