Invasive Art - Fleischer macht Wurst, Hack und Soljanka aus Waschbären

Mo 16.09.24 | 18:41 Uhr | Von Jennifer Lichnau und Philipp Rother
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Jäger und Fleischer Michael Reiß aus Kade jagt Waschbären und macht aus ihnen Fleisch. (Quelle: rbb)
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Video: rbb|24 | 17.09.2024 | Jennifer Lichnau | Bild: rbb

Bisher wurden die rund 200.000 jährlich in Deutschland erlegten Waschbären entsorgt und zu Hundefutter verarbeitet. "Eine riesige Verschwendung", sagt Michael Reiß. Er verarbeitet die Tiere für den menschlichen Verzehr. Von J. Lichnau und P. Rother

Geduldig zupft Michael Reiß in seiner Fleischerei in Kade (Sachsen-Anhalt) einen Schweinedarm in die richtige Position. Dann verknotet er das eine Ende der dünnen Haut und startet die Wurstmaschine. Innerhalb kürzester Zeit purzelt eine Vielzahl an Bratwürsten auf den Tisch vor dem Fleischer.

Im Trichter der Maschine ist aber nicht durchgedrehtes Rind- oder Schweinefleisch wie in anderen Metzgereien. Reiß arbeitet mit Fleisch von Waschbären. Aus 15 Tieren macht er ungefähr 300 Bratwürste. Er verarbeitet die Allesfresser aber auch zu Soljanka, Knacker, Hackbällchen und Frühstücksfleisch.

Jäger und Fleischer Michael Reiß aus Kade jagt Waschbären und macht aus ihnen Fleisch. (Quelle: rbb)
Jäger und Fleischer Michael Reiß bereitet Bratwürste vor | Bild: rbb

Start auf der Grünen Woche, Berichte in Japan

Reiß ist gelernter Kfz-Mechaniker, lange betrieb er eine eigene Werkstatt. Nebenher jagte der 45-Jährige. Seine Reviere befinden sich um Wusterwitz, in Herrenhölzer (beide Potsdam-Mittelmark) und bei Zollchow (Havelland) im Westen Brandenburgs. Weil er seine geschossenen Rehe, Hirsche und Wildschweine selbst verarbeiten wollte, hat sich Reiß zum Metzger ausbilden lassen und eine eigene Wildfleischerei samt Hofladen eröffnet, die Wildererhütte Kade.

Seine Freundin dokumentierte alles im Internet. Schnell kamen 20.000 Follower bei Instagram zusammen. Das Jerichower Land wurde so auf Reiß aufmerksam, und fragte nach, ob er den Landkreis bei der Grünen Woche 2023 vertreten wolle.

Reiß sagte zu, wollte aber nicht mit seinen normalen Wildprodukten nach Berlin fahren. "Ich wollte etwas Besonderes machen", berichtet der 45-Jährige. Schnell kam ihm die Idee, Waschbären zu verarbeiten. Auf der Agrarmesse präsentierte der Sachsen-Anhalter dann erstmals seine Waschbärbällchen. Die Reaktionen seien unterschiedlich, aber positiv ausgefallen, sagt Reiß.

Seitdem hat der zweifache Vater sein Sortiment sukzessive erweitert und steht damit deutschlandweit im Fokus – auch in Japan wurde über seine Produkte und seine Wildererhütte schon berichtet: "Es ist ein richtiger Hype entstanden – die Menschen kommen aus Potsdam, aus Bad Freienwalde und Leipzig in meinen Hofladen", sagt Reiß. Auch einen Onlineshop hat er daher schon eingerichtet.

Grundstückseigentümer dürfen Waschbären fangen, aber nicht töten

Im Jahr 1934 wurden zwei Waschbärenpaare am hessischen Edersee ausgesetzt. Von dort aus breiteten sich die Tiere über die Jahrzehnte in ganz Deutschland aus. Sie vermehren sich stark und haben keine natürlichen Feinde. Zudem bedrohen sie heimische Tierarten wie Wasservögel und Jungwild. Trotz intensiver Bejagung wächst die Population stetig. Mittlerweile werden die Waschbären als problematische invasive Art und somit als "Plage" betrachtet. "Für ein erlegtes Tier, rücken zwei nach", erklärt der Mann aus dem Jerichower Land.

Waschbären unterliegen dem Jagdrecht. Das bedeutet, dass nur ein Jäger die Tiere einfangen oder gar töten darf. Grundstückseigentümer dürfen sie in befriedeten Bezirken (Gärten, Gebäude) nur in bestimmten Fällen fangen. An dieser Stelle kommt Reiß ins Spiel: "Die Leute bringen die lebenden Tiere zu mir, kommen extra aus Falkensee und Berlin-Spandau, fahren fast 100 Kilometer – es ist verrückt", berichtet der 45-Jährige. Auch andere Jäger bringen ihm mittlerweile Waschbären: "Die sind froh, dass sie die erlegten Tiere nicht mehr selbst entsorgen müssen." Zehn Euro zahlt Reiß pro Tier. Der Jäger aus Kade stellt in seinen Revieren aber auch selbst Lebendfallen auf. Waschbären lieben die vielen Tümpel und Schilfgürtel in dem rund 2.000 Hektar großen Gebiet.

Jäger und Fleischer Michael Reiß aus Kade jagt Waschbären und macht aus ihnen Fleisch. (Quelle: rbb)Wildfleischer Michael Reiß zerlegt die Waschbären

Fleisch wird vor Weiterverarbeitung auf Parasiten untersucht

Im Jagdjahr 2022/23 wurden nach Angaben des Landesjagdverbandes Brandenburg allein in Brandenburg rund 30.000 Waschbären erlegt, fast zehn Prozent mehr als im Jagdjahr zuvor. "Die Waschbären sollten nicht umsonst getötet werden. Die sollen nicht weggeworfen, sondern verwertet werden. Von der Idee habe ich, glaube ich, einige Menschen überzeugen können", sagt Reiß mit Stolz.

Bisher wurden die rund 200.000 jährlich in Deutschland erlegten Waschbären entsorgt und zu Hundefutter verarbeitet. "Eine riesige Verschwendung von völlig unbedenklichem und schmackhaftem Fleisch", sagt der Mann aus Kade.

Rund zehn Waschbären pro Woche erlegt und verarbeitet Reiß. Das Fleisch der Tiere wird vor der Weiterverarbeitung amtlich untersucht. Zudem werden Proben im Labor auf Parasiten wie Trichinen untersucht. Auch Wildschweinfleisch muss diese Schleife durchlaufen.

"Mein Waschbärfleisch wird intensiver kontrolliert als viele andere Lebensmittel", erklärt Reiß: "Es ist vollkommen unbedenklich." Der Geschmack ist eher intensiv, wie bei Wild üblich. Es ist aber weicher als das Fleisch vom Wildschwein oder Hirsch.

1,5 bis 2,5 Kilo Fleisch pro Waschbär

Andere Fleischer haben die Idee aber offenbar noch nicht übernommen. "Ich kenne niemanden, bei mir hat sich auch niemand gemeldet", sagt der Metzger. "Vermutlich ist das aus kommerzieller Sicht auch eher abschreckend", vermutet Reiß. Die Parasitenuntersuchung koste pro Tier fast 14 Euro, auch für die Fleischbeschau müsse gezahlt werden.

"Wenn ich den Waschbär nicht selbst gefangen habe, sind wir schon bei mehr als 25 Euro Fixkosten ohne die Arbeitszeit pro Tier. Und ein Tier bringt nur 1,5 bis 2,5 Kilo Fleisch", so der 45-Jährige. Die Gewinnmarge sei nicht die größte. Dennoch lohne sich das Geschäft: "Die Kunden kaufen gleichzeitig ja auch andere Produkte."

Waschbären kommen ursprünglich aus Nordamerika. Dort werden die Tiere schon länger auch gegessen. In Europa wurde bisher fast ausschließlich das Fell verarbeitet. Das hat Reiß geändert. Und er hat weitere Pläne: In den kommenden Monaten wird er Waschbären für die Doktorarbeit einer Tierärztin zur Verfügung stellen. Sie will am Institut für Lebensmittelsicherheit und -hygiene der Freien Universität Berlin die Verbraucherakzeptanz von Waschbärenfleisch als Lebensmittel erforschen. Schon jetzt läuft dazu eine Umfrage [limesurvey.net]. Zudem hält Reiß mehr und mehr Vorträge über seine Waschbärwurst-Produktion.

Beitrag von Jennifer Lichnau und Philipp Rother

44 Kommentare

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  1. 44.

    Ich schliesse mich Ihnen an. Das Verhalten gegenüber Tieren, es ist einfach monströs. Ein Auswuchs des Anthropozän.

  2. 43.

    Apropos Italien:
    hat nix mit Waschbären zu tun, aber als ich in den 70ern das erste Mal in Italien war, gab es - achtung: beim Italiener - als Zwischenmahlzeit gebratene Singvögel. Welche es waren, weiß ich nicht mehr. Sie haben jedenfalls gut geschmeckt...
    Heute denke ich auch: igittigitt. Sowas wirds in der heutigen Zeit nicht mehr geben.
    Oder weiß jemand was anderes?

  3. 42.

    Och, das dachten Freunde der italienischen Kochkunst auch und dann stand ein Pferd auf dem Flur...äähm lag in der Lasagne.
    Was dem ahnungslosen Käufer sonst noch so wurmt, im wahrsten Sinne des Wortes, will der gar nicht wissen.

  4. 41.

    Der Wolf kann Waschbären nur erfolgreich jagen, wenn die sich nicht auf Bäume, Gebäude oder Masten retten können. Fliegen kann der Wolf nicht. Dass sich der Wolf mit einem durchaus wehrhaften Waschbären anlegt, wird wohl nur so sein, wenn nichts anderes da ist und der Hunger groß.

  5. 40.

    Anderes Thema, aber: ich war vor 40 Jahren an der Trasse, Krementschuk u.a. Da wurden uns Hundefellmützen zum Kauf von den Einheimischen angeboten. Die Frage, was denn aus den Hundefellmützen-Spendern geworden sei, bekamen wir nur unklare Antworten...
    Will sagen, man kann alles essen, ob invasiv oder nicht.

  6. 39.

    "Iss deine Feinde" halte ich für eine gute Devise bei invasiven Arten. Das selbe gilt für den Amerikanischen Flusskrebs. Lecker zubereiten und so die heimischen autochthonen Arten retten. Das nenne ich Win-Win.

    Die in meinen Augen einfältigen Menschen, die Waschbären bei uns für possierliche Tierchen halten, die haben offenbar wenig Ahnung von Naturschutz und Artenschutz.

  7. 38.

    Würd ich nie esssen!

  8. 36.

    Hääää???? Kann Ihnen nicht ganz folgen. Bin aber absolut bei Kommentator Jammas, zu DDR-ZEITEN haben wir Nutria für unseren Hund gekauft und gekocht und ich hab immer gerne davon genascht, lecker! Waschbär hab ich in Kanada gegessen und fand es durchaus interessant und schmackhaft. Also warum nicht auch hier essen? Es gibt mittlerweile mehr als genug davon, so niedlich sie auch aussehen, aber sie richten immensen Schaden und sind durchaus aggressiv, selbst erlebt, als selbst die Feuerwehr erheblich Mühe hatte, das Tier aus einem Kellerlichtschacht zu bergen.

  9. 35.

    Da gibt es eine wissenschaftliche Erkenntnis. Kürzlich gelesen. Aber weiß nicht wo.
    Wenn eine Art stark bejagd oder gerissen wird, wird die Art alles daran setzen, die eigene Art wieder zu erstarken. Quasi ein Bummerang.
    Am besten gar nicht bejagen, ausser vom Wolf eventuell, dann gibt es nicht zu viele. Befürchte aber, durch den Jäger /Fleischer werden viele Nachkommen gezeugt. Vielleicht weiß der Jäger es ja. Arbeitslos wird er also nicht.

  10. 34.

    Die Zähne weisen den Menschen als Allesfresser aus
    Die Natur hat den Menschen nicht als Vegetarier konstruiert. Das zeigt bereits ein Blick auf seine Anatomie. Die Zähne weisen ihn als Allesfresser aus. Vergleicht man die Abmessungen des Verdauungstrakts von Mensch und Tier, reiht sich Homo sapiens zwischen den reinen Fleisch- und Pflanzenfressern ein.
    Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, jagen Buschschweine und kleinere Affen. Die ersten Vormenschen lebten als Aasfresser in der Savanne. Nur auf Grund des Fleischkonsums, so die Hypothese von Paläontologen, konnte es sich der Mensch leisten, ein Energie fressendes Organ wie sein Großhirn zu entwickeln.

  11. 33.

    Wenn Sie jetzt noch nicht verstanden haben, warum der Mensch schlachtet, dann geben Sie auf, es verstehen zu wollen.
    Nach heutigem Kenntnisstand des Verlaufs der Hominisation ist der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) demnach „von Natur aus“ weder ein reiner Fleischfresser (Carnivore) noch ein reiner Pflanzenfresser (Herbivore), sondern ein Allesfresser (Omnivore).

  12. 31.

    Ich würde sagen, die Massentierhaltung ist das Problem (Einhergehend mit unserem Konsumverhalten). Ob nu' Waschbär, Kuh, Schwein, Huhn...

  13. 30.

    Wenn das Fleisch durchgegart ist, ist auch die Trichine tot. Gefährlich wäre nur der Verzehr von rohem Fleisch, also Waschbärenhackepeter.

  14. 29.
    Antwort auf [Karl] vom 16.09.2024 um 17:09

    Wie recht Sie doch haben mit Ihrem Kommentar. Wieso muss der Mensch immer alles schlachten? Kein Lebewesen ist vor dem Monster Mensch sicher. Einfach nur ekelhaft die Menschheit.

  15. 28.

    Grad heute habe ich mit meinem Mann drüber gesprochen, ob man Waschbären eigentlich essen kann. Eine sehr gute Idee von Herrn Reiß! Wer selbst schon einmal vor einer von Waschbären vernichteten Obsternte stand, wünschte den Tieren mit Sicherheit noch was ganz anderes als einen schnellen Tod durch eine Kugel.

  16. 27.

    Da kann man doch nur noch Vegetarier werden!
    Manchen fressen aber auch alles!

  17. 25.

    ....mmmmmmh... Wachbärhack... am liebsten mit viel Zwiebeln

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