Interview - Verkehrsrechtler über das Verhüllungsverbot im Straßenverkehr - und seine Grenzen

Mo 27.01.25 | 06:36 Uhr
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Eine Frau sitzt am Steuer eines Autos mit einem Gesichtsschleier (Quelle: dpa/Rolf Kremming)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.01.2025 | Daehler, Helena | Bild: dpa/Rolf Kremming

Aus religiösen Gründen möchte eine Frau in Berlin mit Gesichtsschleier Autofahren. Doch das verstößt gegen das Verhüllungsverbot. Sie klagt. Für den Verkehrsanwalt Christian Demuth ist die rechtliche Lage eindeutig, wie er im Interview erzählt.

rbb: Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von der Klage wegen des Tragens eines Niqabs oder Gesichtsschleiers beim Autofahren gehört haben?

Christian Demuth: Ich habe mir gedacht: Schon wieder. Denn es ist nicht das erste Mal, dass eine Muslima mit diesem Anliegen vor Gericht erscheint, hier eine Ausnahme vom Grundsatz der Straßenverkehrsordnung zu bekommen, dass man nicht mit einem verhüllten Gesicht als Verkehrsteilnehmer Auto fahren darf.

Zur Person

Porträtaufnahme in schwarz-weiß von Verkehrsanwalt Christian Demuth (Quelle: cd-anwaltskanzlei.de).
cd-anwaltskanzlei.de

Christian Demuth ist Fachanwalt für Strafrecht in Düsseldorf und Spezialist für Verkehrsstraf- und Bußgeldrecht.

Es ist nicht die erste Klage bei einem solchen Fall?

Es gab schon in ähnlichen Sachverhalten Urteile, zum Beispiel vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Da wurde gesagt: Der Eingriff in die Religionsfreiheit ist verhältnismäßig geringfügig, und demgegenüber steht die Verkehrssicherheit. Die Straßenverkehrsordnung kennt ein Verhüllungsverbot, sodass es mich nicht überrascht hat, dass die Klägerin mit ihrem Anliegen gescheitert ist.

Warum gibt es denn dieses Verhüllungsverbot?

In erster Linie aus zwei Gründen: Zum einen soll die Verkehrssicherheit damit geschützt werden. Denn natürlich sind Einschränkungen des Sichtfeldes eine Gefahr, wenn man ein Auto im Straßenverkehr führt. Zum anderen soll damit gewährleistet werden, dass bei Blitzern die Erkennbarkeit des Kraftfahrzeugführenden gegeben ist. Bei der automatisierten Verkehrsüberwachung ist es notwendig, dem Fahrer oder der Fahrerin nachzuweisen, dass sie das Fahrzeug geführt hat, weil es keine Halterhaftung gibt. Deswegen sieht der Bußgeldkatalog ein Bußgeld von 60 Euro vor, wenn man das Gesicht so weit verhüllt, dass die Erkennbarkeit auf einem Blitzerfoto nicht mehr gegeben wäre.

Haben in anderen Fällen die klagenden Frauen Alternativen benannt oder Vorschläge gemacht, wie man dieses Problem eventuell umgehen könnte?

Ja, tatsächlich. Es wurde argumentiert, dass auch die Möglichkeit bestünde, ein Fahrtenbuch zu führen. Über das Fahrtenbuch sei dann zuordenbar, dass die Person das Fahrzeug bei einem Verkehrsverstoß geführt hat. Da haben die Verwaltungsgerichte bisher gesagt, das reicht nicht aus, denn ein Fahrtenbuch ist immer nur an ein Fahrzeug gebunden. Das heißt, wenn sich die Person ein anderes Fahrzeug nimmt, dann wäre das schon wieder hinfällig. Außerdem sei ein Fahrtenbuch generell nicht geeignet, mit der erforderlichen Sicherheit den Beweis zu erbringen, dass eine bestimmte Person ein Fahrzeug geführt hat, denn es kann theoretisch nicht stimmen, was dort drinsteht.

Nun gab es eine Zeit, in der manche von uns mit Masken Auto gefahren sind.

Während der Pandemie wurde von den Behörden ein Auge zugedrückt. Der Grundsatz der Straßenverkehrsordnung, dass das Gesichtsfeld erkennbar sein muss, ist damit nicht außer Kraft gesetzt worden. Aber man sah von der Verfolgung solcher vermeintlichen Verstöße ab. Das gilt übrigens auch zu Karneval: Es gibt Gebiete in Deutschland - Köln, Düsseldorf oder Mainz -, wo sich die Leute gerne verkleiden. Und aus Gründen der Brauchtumspflege drücken dann die Bußgeldstellen manchmal ein Auge zu. Aber grundsätzlich ist dieses Verbot, dass der Kraftfahrzeugführende sich nicht verhüllen darf, sprich das Gesicht erkennbar sein muss, immer gegeben.

Gibt es noch andere Ausnahmen?

Eine bekannte Ausnahme ist die Helmpflicht bei Motorrädern oder Motorrollern. Da ist notwendigerweise das Gesicht verhüllt beziehungsweise nicht erkennbar. Aber wenn man sagt, aus Gründen einer Maskenpflicht bei einer Pandemie oder zur Karnevalszeit werden solche Verstöße nicht verfolgt, dann ist das eine reine Ermessensentscheidung und beruht nicht auf einem gesetzlichen Ausnahmegrund.

Wenn ich mit dem Motorrad unterwegs bin und geblitzt wurde, kann ich also sagen: Ich war das gar nicht?

Wenn Motorradfahrende keine Angaben machen, wer gefahren ist, haben sie gute Chancen auf eine Einstellung des Bußgeldverfahrens, weil man den Verstoß tatsächlich nicht nachweisen kann. Wenn das öfter vorkommt, kann dem Motorradfahrer oder der Motorradfahrerin allerdings ein Fahrtenbuch auferlegt werden. Übrigens: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat auch darauf hingewiesen, dass eine Person, die aus Gründen der Religion das Gesicht verhüllen möchte, die Möglichkeit hat, mit einem Motorroller von A nach B zu kommen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Gibt es auch ähnliche Regeln bei Männern und ihrer Religionsausübung?

Wenn ein Mann einen Turban trägt und sagt, er kann keinen Helm anziehen beim Motorradfahren, dann würden die Gerichte wahrscheinlich genauso entscheiden und sagen, dass aus Gründen der Verkehrssicherheit eben diese Einschränkung hinzunehmen sei, diese Person auf das Fahren mit einem Motorrad verzichten und sich dann auf andere Verkehrsmittel konzentrieren müsse, etwa das Auto.

Gehen Sie davon aus, dass auch bei dem Fall in Berlin das Gericht keine Ausnahme zulässt?

Ja. Alles andere würde mich schon sehr überraschen, weil das dann auch einen Wertungswiderspruch zu den Regeln der Straßenverkehrsordnung bedeuten würde. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass hier in Berlin anders entschieden wird als bei den bisherigen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten.

Mit Christian Demuth sprach Helena Daehler.

Sendung: Inforadio, 27.01.2024, 10:08 Uhr

12 Kommentare

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  1. 12.

    Schulterblick möglich??
    Der ist verpflichtend beim Führen eines Fahrzeuges.
    Im Heimatland solcher Bekleidungsstücke dürfen dort Frauen Auto fahren??
    >>Augen auf beim.... <<

  2. 11.

    Auch irgendwelche Spielchen mit Fahrtenbüchern hätte das Urteil nicht geändert. Denn der Hauptgrund für die Ablehnung mit einem Nigap Auto zu fahren war das mit dieser Kleidung eingeschränkte Gesichtsfeld. Dadurch geht von der Fahrerin eine Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer aus. Und hier wurde die körperliche Unversehrtheit höher bewertet als die freie Religionsausübung.
    Ein Urteil welches das höherwertige Rechtsgut, nämlich die körperliche Unversehrtheit herausstellt ist ein Urteil zum Schutze der Menschen. Dahinter müssen die Eitelkeiten religiöser Fanatiker selbstverständlich zurückstehen.

  3. 10.

    Die Klägerin argumentiert, sie wolle "Auto fahren wie jeder andere auch". Ja klar, dann muss sie sich eben genauso an das Straßenverkehrsrecht halten "wie jeder andere auch". Das Gericht hat das auch so gesehen.

    Was erhofft sie sich jetzt von einer Berufung? Wenn zwei Grundrechte miteinander kollidieren, hat das Gericht eine Abwägung der Rechtsgüter, also der einander gegenüberstehenden Grundrechte, vorzunehmen. Hier muss eben die individuelle Religionsausübung der Klägerin im Ergebnis zugunsten der Interessen der Allgemeinheit zurückstehen.

  4. 8.

    Die Klagende ist freiwillig konvertiert , die Religionsfreiheit ist Ihr zugestanden und erfüllt worden. Sie hat sich entschieden mit allen Vor- und Nachteilen. Das Autofahren mit Vollvermummung gehört nicht dazu. Dessen müsste Sie sich klar gewesen sein , da Sie ja alt genug ist. Sich jetzt auf die Religionsfreiheit zu berufen ist billig. Das keine Ausnahme gemacht wird ist nur rechtens.

  5. 7.

    Vorsicht. Solche Aussagen sind schon gefährlich hier. Obwohl die Brisanz immens ist, gibt es immer noch zu viele, die die Gefahr unterschätzen. Man müsste sich mal damit beschäftigen. Stattdessen wird abgelenkt, relativiert und Kritik im Keim erstickt. Im Grunde wider besseren Wissens, da man ja bei der eigenen Bevölkerung einige Themen betreffend weitaus großzügiger agiert. Verstehe ich bis heute nicht.

    Ansonsten war der Ausgang der Klage vorhersehbar und somit Zeitverschwendung. Die Gründe sind eigentlich für jeden erkennbar gewesen. Obwohl man ja in Berlin nicht sicher sein kann, wie schon erwähnt.

  6. 6.

    ...unser Land unsere Regeln, Feierabend

  7. 5.

    Das würde sich legen, wenn es eine Verantwortung für die KfZ-Besitzenden geben würde, bei der jederzeit nachweisbar sein muss, wer wann das Fahrzeug führt!

  8. 4.

    Wenn man es ernst meint mit dem Spruch: " Der Islam gehört zu Deutschland" dann sollte man die Forderungen der Muslime stattgeben. Dazu gehört dann auch die Sharia. Für mich ist der Islam eine rückwärts gewandte Religion. Ich will vorwärts und nicht rückwärts.

  9. 3.

    Tja, wenn die Frau nicht für sich selbst persönlich eine universelle Ausnahmegenehmigung erstreiten hätte wollen. Sondern für ihren eigenen, auf sie persönlich zugelassenen und ausschließlich durch sie genutzten und nur für sie versicherten Wagen und unter der Bereitschaft ein digitales (odb2+fingerabdruck+gps) geführtes Fahrtenbuch zu führen, dann hätte sie da vermutlich durchaus gute Karten gehabt, das gerichtlich zu erreichen..ich weiß nicht was sich die Menschen immer über die persönliche wahl von Kleidung oder auch vollverschleierung aufregen.... es ist noch nicht so lange her das unsere berühmte Hildegard von Bingen ihren Mitschwestern bei ihrer Ausgründung ins eigene Kloster den Vollgesichtsschleier verordnet hat...
    Keinem würde als Europäer-in einfallen in Afrika unter den Ureinwohnern dann barbüstig ohne BH und Shirt oder im Lendenshurz mit schwingenden Genitalien rum zu laufen, aber wenn hier wer was anderes trägt als uns Ureinwohner genehm ist, machen wir ne show draus....

  10. 2.

    In Berlin würde es mich nicht wundern.. Wen es positiv beschieden würde.
    Aber ich hoffe das die StVO hier über einem religiösen Argumentation steht.
    Was soll eine solche Diskussion überhaupt die Freiheit in diesem Land zu leben, hat auch Pflichten und in Gottes Namen daran sollten sich auch Muslime halten, unsere Politik lässt eh schon viel zu viel Dinge hier zu es wird Zeit das man diese Menschen aufzeigt das hier nicht alles Möglich ist und man sich an Deutsches Recht hält bin kein AFD Freund.

  11. 1.

    Im Grunde genommen können sich spezielle Kleidungsvorschriften religiöser oder sonstwelcher Art ja nur auf zu Fuß gehende Menschen beziehen, die kein technisches Gerät handhaben und/oder bewegen. Das betrifft Armringe, Kreuze auf der Brust bei vorgenommenen Operationen oder am Fließband genau so, wie eine technische Einrichtung wie das Auto zu fahren oder sich mit Sicherheitsschuhen und Helmen über Baustellen oder unter Tage zu bewegen, anstelle einzufordern, dass bspw. Kopf und Füße weitestgehend frei zu bleiben hätten.

    Alle gehandhabten Mittel sind somit zusätzlich; religiöse Vorschriften und sonst sichtbar getragene Überzeugungen sind daher m. E. erst einmal "mittellos". Ich glaube, dass diese Gesellschaft Vieles verkennt, indem sie zusätzliches Mittel und Zweck quasi vertauscht.

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