Interview - Verkehrsrechtler über das Verhüllungsverbot im Straßenverkehr - und seine Grenzen

Aus religiösen Gründen möchte eine Frau in Berlin mit Gesichtsschleier Autofahren. Doch das verstößt gegen das Verhüllungsverbot. Sie klagt. Für den Verkehrsanwalt Christian Demuth ist die rechtliche Lage eindeutig, wie er im Interview erzählt.
rbb: Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal von der Klage wegen des Tragens eines Niqabs oder Gesichtsschleiers beim Autofahren gehört haben?
Christian Demuth: Ich habe mir gedacht: Schon wieder. Denn es ist nicht das erste Mal, dass eine Muslima mit diesem Anliegen vor Gericht erscheint, hier eine Ausnahme vom Grundsatz der Straßenverkehrsordnung zu bekommen, dass man nicht mit einem verhüllten Gesicht als Verkehrsteilnehmer Auto fahren darf.
Es ist nicht die erste Klage bei einem solchen Fall?
Es gab schon in ähnlichen Sachverhalten Urteile, zum Beispiel vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Da wurde gesagt: Der Eingriff in die Religionsfreiheit ist verhältnismäßig geringfügig, und demgegenüber steht die Verkehrssicherheit. Die Straßenverkehrsordnung kennt ein Verhüllungsverbot, sodass es mich nicht überrascht hat, dass die Klägerin mit ihrem Anliegen gescheitert ist.
Warum gibt es denn dieses Verhüllungsverbot?
In erster Linie aus zwei Gründen: Zum einen soll die Verkehrssicherheit damit geschützt werden. Denn natürlich sind Einschränkungen des Sichtfeldes eine Gefahr, wenn man ein Auto im Straßenverkehr führt. Zum anderen soll damit gewährleistet werden, dass bei Blitzern die Erkennbarkeit des Kraftfahrzeugführenden gegeben ist. Bei der automatisierten Verkehrsüberwachung ist es notwendig, dem Fahrer oder der Fahrerin nachzuweisen, dass sie das Fahrzeug geführt hat, weil es keine Halterhaftung gibt. Deswegen sieht der Bußgeldkatalog ein Bußgeld von 60 Euro vor, wenn man das Gesicht so weit verhüllt, dass die Erkennbarkeit auf einem Blitzerfoto nicht mehr gegeben wäre.
Haben in anderen Fällen die klagenden Frauen Alternativen benannt oder Vorschläge gemacht, wie man dieses Problem eventuell umgehen könnte?
Ja, tatsächlich. Es wurde argumentiert, dass auch die Möglichkeit bestünde, ein Fahrtenbuch zu führen. Über das Fahrtenbuch sei dann zuordenbar, dass die Person das Fahrzeug bei einem Verkehrsverstoß geführt hat. Da haben die Verwaltungsgerichte bisher gesagt, das reicht nicht aus, denn ein Fahrtenbuch ist immer nur an ein Fahrzeug gebunden. Das heißt, wenn sich die Person ein anderes Fahrzeug nimmt, dann wäre das schon wieder hinfällig. Außerdem sei ein Fahrtenbuch generell nicht geeignet, mit der erforderlichen Sicherheit den Beweis zu erbringen, dass eine bestimmte Person ein Fahrzeug geführt hat, denn es kann theoretisch nicht stimmen, was dort drinsteht.
Nun gab es eine Zeit, in der manche von uns mit Masken Auto gefahren sind.
Während der Pandemie wurde von den Behörden ein Auge zugedrückt. Der Grundsatz der Straßenverkehrsordnung, dass das Gesichtsfeld erkennbar sein muss, ist damit nicht außer Kraft gesetzt worden. Aber man sah von der Verfolgung solcher vermeintlichen Verstöße ab. Das gilt übrigens auch zu Karneval: Es gibt Gebiete in Deutschland - Köln, Düsseldorf oder Mainz -, wo sich die Leute gerne verkleiden. Und aus Gründen der Brauchtumspflege drücken dann die Bußgeldstellen manchmal ein Auge zu. Aber grundsätzlich ist dieses Verbot, dass der Kraftfahrzeugführende sich nicht verhüllen darf, sprich das Gesicht erkennbar sein muss, immer gegeben.
Gibt es noch andere Ausnahmen?
Eine bekannte Ausnahme ist die Helmpflicht bei Motorrädern oder Motorrollern. Da ist notwendigerweise das Gesicht verhüllt beziehungsweise nicht erkennbar. Aber wenn man sagt, aus Gründen einer Maskenpflicht bei einer Pandemie oder zur Karnevalszeit werden solche Verstöße nicht verfolgt, dann ist das eine reine Ermessensentscheidung und beruht nicht auf einem gesetzlichen Ausnahmegrund.
Wenn ich mit dem Motorrad unterwegs bin und geblitzt wurde, kann ich also sagen: Ich war das gar nicht?
Wenn Motorradfahrende keine Angaben machen, wer gefahren ist, haben sie gute Chancen auf eine Einstellung des Bußgeldverfahrens, weil man den Verstoß tatsächlich nicht nachweisen kann. Wenn das öfter vorkommt, kann dem Motorradfahrer oder der Motorradfahrerin allerdings ein Fahrtenbuch auferlegt werden. Übrigens: Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat auch darauf hingewiesen, dass eine Person, die aus Gründen der Religion das Gesicht verhüllen möchte, die Möglichkeit hat, mit einem Motorroller von A nach B zu kommen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Gibt es auch ähnliche Regeln bei Männern und ihrer Religionsausübung?
Wenn ein Mann einen Turban trägt und sagt, er kann keinen Helm anziehen beim Motorradfahren, dann würden die Gerichte wahrscheinlich genauso entscheiden und sagen, dass aus Gründen der Verkehrssicherheit eben diese Einschränkung hinzunehmen sei, diese Person auf das Fahren mit einem Motorrad verzichten und sich dann auf andere Verkehrsmittel konzentrieren müsse, etwa das Auto.
Gehen Sie davon aus, dass auch bei dem Fall in Berlin das Gericht keine Ausnahme zulässt?
Ja. Alles andere würde mich schon sehr überraschen, weil das dann auch einen Wertungswiderspruch zu den Regeln der Straßenverkehrsordnung bedeuten würde. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass hier in Berlin anders entschieden wird als bei den bisherigen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten.
Mit Christian Demuth sprach Helena Daehler.
Sendung: Inforadio, 27.01.2024, 10:08 Uhr