Interview | Mieterverein - "Es gibt wahnsinnig viel vorgetäuschten Eigenbedarf"

Mo 10.02.25 | 14:30 Uhr
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Eine Frau zieht in Berlin Vorhänge zu (Quelle: dpa/Zacharie Scheurer)
Audio: Radioeins | 10.02.2025 | Interview mit Sebastian Bartels | Bild: dpa/Zacharie Scheurer

En neues Beratungsprojekt richtet sich an Berliner Mieter, denen die Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt wird. Vier Bezirke arbeiten dafür mit dem Mieterverein zusammen. Was hinter dem Projekt steckt, erzählt Geschäftsführer Sebastian Bartels.

rbb: Herr Bartels, wie oft wird in Berlin Eigenbedarf angemeldet?

Sebastian Bartels: Man muss unterscheiden zwischen den Kündigungen, die statistisch nicht erfasst werden, und den Klagen. Es gibt aber viel mehr Kündigungen als Klagen. Das spiegelt unsere Beratungsstatistik [Anm. d. Red.: des Berliner Mietervereins] mit 4.000 bis 6.000 Kündigungen wider. Viele Menschen ziehen dann aus, sind frustriert und meinen, sie könnten nichts dagegen machen. Dann gibt es auch keine Räumungsklagen der Vermieter.

Aber wir haben immerhin eine Statistik über Räumungsklagen, wobei die nicht zwischen Eigenbedarf und sonstigen verhaltensbedingten Kündigungen unterscheiden. Wenn man zum Beispiel den Hausmeister beleidigt, bekommt man eine verhaltensbedingte Kündigung.

Aber wir können ungefähre Zahlen ermitteln. Es sind ungefähr 2.000 Klagen, die im Jahr 2023 in Berlin eingelegt wurden, die nicht zahlungsbedingt waren, zum Beispiel wegen Mietschulden.

Auch Umwandlungen sind nach Meinung Ihres Vereins ein Problem. Also wenn ein Mietshaus quasi komplett gekauft wird und in Eigentumswohnungen umgewandelt wird. Da gilt auch in Berlin eine Kündigungssperrfrist von zehn Jahren.

Ja, das ist richtig. Aber in vielen Fällen ist die ausgelaufen. Das ist im Grunde eine rollende Lawine, die immer in Bewegung gesetzt wird, wenn diese lange Frist ausläuft. Wir haben seit Jahrzehnten eine Umwandlungswelle. Das wird oft vergessen.

Man denkt, das ist eine Sache der letzten Jahre. Nein, denn es wurde schon in den 1990er Jahren, sowie in den Nuller- als auch in den Zehnerjahren massiv umgewandelt in der Stadt. Wir haben es jetzt im Grunde mit Altfällen zu tun.

Seit 2021 haben wir eine relativ scharfe Umwandlungs-, fast eine Verbotsgesetzgebung. Das heißt, man darf nur noch Häuser aufteilen in Eigentumswohnungen, wenn zwei Drittel der dort lebenden Mieter sich bereit erklärt, diese Wohnung theoretisch zu kaufen.

Zwei Drittel erreichen Sie nie. Sie haben vielleicht eine Handvoll Mieter überhaupt in einem Bezirk, die im Grunde eine Wohnung kaufen könnten. Das heißt, es ist eine scharfe Hürde - zum Glück. Und wir hoffen, dass sie auch aufrechterhalten bleibt, denn sie läuft ja in diesem Jahr aus. Insofern kann man nur hoffen, dass eine neue Bundeskoalition das auch verlängert. Aber wir haben es, wie gesagt, mit Altfällen zu tun. Das ist die Dramatik.

Sie starten am Montag zusammen mit vier Berliner Bezirksämtern - Pankow, Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, das Projekt "Wohnungsnot stoppen - gegen Eigenbedarf und Umwandlung". Was bedeutet das genau? Gibt es doch Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren?

Wir möchten natürlich die Menschen informieren, die in diesen Häusern leben, wo die Sozialbindungen übrigens auch auslaufen. Dann ist natürlich die Gefahr von Eigenbedarfskündigungen sehr hoch.

Vorher ist das ja nicht erlaubt gewesen. Jetzt kann man natürlich sagen, die Menschen können sich beraten lassen. Aber wir müssen natürlich das Beratungsangebot massiv auch auf die Bezirke ausweiten.

Wir müssen die Menschen in Mieterversammlungen sprechfähig machen, mit Flugblättern und in Versammlungen informieren. Wir müssen auch im Rahmen dieses Projekts quartiersbezogene Erhebungen oder Gutachten machen, ob das zum Beispiel bestimmte Eigentümer, bestimmte Objekte sind. Da gibt es auch viel Forschungsbedarf noch.

Wir wollen aber auch, das ist das Ziel dieses Projekts, eben auf die Bundespolitik einwirken. Denn Berlin hat ja eine Funktion. Berlin ist im Grunde ein Brennglas aller Probleme, die wir in großen deutschen Ballungsräumen haben.

Was mache ich denn, wenn ich eine Eigenbedarfskündigung bekomme?

Auf jeden Fall kämpfen, in die Beratungen gehen. Natürlich nicht klein beigeben.

Und klagen?

Der Vermieter muss ja auf Räumung klagen und es gibt eine relativ lange Frist. In der Regel sind das knapp zwölf Monate und dann kann ich mich wehren.

Ich kann die Kündigung untersuchen, ob die überhaupt richtig ist. Es gibt wahnsinnig viel vorgetäuschten Eigenbedarf, der vor den Amtsgerichten aufgedeckt werden kann. Die Gerichte sind sehr kritisch geworden. Zum Glück, das ist ja die positive Seite. Früher hat man jede Eigenbedarfskündigung durchgewinkt. Jetzt geht das in der Regel zum Landgericht, wenn Berufung eingelegt wird. Und da wird ganz kritisch nachgeschaut und oft wird auch eine Sperre gesetzt.

Das heißt, wenn der Mieter keine Ersatzwohnung findet und damit der Härtegrund des Mieters gegeben ist, kann das Landgericht - im Grunde muss es das auch - ermitteln, dass der Mieter in der Wohnung bleibt. Obwohl die Kündigung vielleicht berechtigt ist, bleibt der Mieter da, weil er keine Ersatzwohnung findet.

Aber dann kann sich ja nie wieder jemand eine Wohnung kaufen in Berlin, oder? Wenn das alles so durchgeht, wie Sie sich das vorstellen?

Wir fordern, dass jeder, der sich eine Wohnung kauft, nicht kündigen darf, weil die Wohnung bewohnt ist. Dass man sagt: Nach zehn Jahren darf ein Erwerber Eigenbedarf nur in extremen Ausnahmefällen geltend machen. Damit wären die Mieter wirklich umfassend geschützt. Man kann ja auch leere Eigentumswohnungen kaufen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Sebastian Bartels führten Julia Menger und Kerstin Hermes für Radioeins.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 10.02.2025, 08:40 Uhr

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59 Kommentare

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  1. 59.

    "Dort, wo man nicht leben kann und möchte"
    Naja, über die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt in ländlichen Regionen. So schlimm scheint es also nicht zu sein. Machen Sie doch am WE mal einen Ausflug nach außerhalb von A und lassen sich inspirieren :)

  2. 58.

    Bald kommt ja die Bürger-ID mit Digitalisierung. Warum dann nicht – wie Direkt-Abzüge bei Arbeitnehmern – alles gleich übers ID-Konto? Bürger bekommt nur noch ausgezahlt, was die Politik, Vermieter, Versicherungen usw. ihm noch zugestehen.

  3. 57.

    Nee, hat er nicht. Der Mieterverein will doch Mieter nur gegen Vermieter aufsetzen. Das ginge nicht, wenn er selbst Vermieter wäre. Er will ja nicht die Ursachen lösen, dann würde er sich selbst abschaffen.

  4. 54.

    Sie meinten Vermieter - dann wird ein Schuh draus. Es wird Zeit, das Mietrecht grundsätzlich zu vereinfachen. Es ist absolut unmöglich gerade.

  5. 53.

    Das Recht auf Eigentum ist dem Typen wohl voll egal. Mich nervet auch das alle Eigentümer sofort kollektiv schuldig gesprochen werden. Vlt sollte die Politik mal dran arbeiten das auch Menschen mit mittleren Einkommen sich Eigentum leisten können, damit wir nich für immer und ewig in dieser Mietkultur leben, un vlt in 20-30 vlt wir nicht mehr ein Verhältnis von 80/20 Mieter vs. Eigentümer in Deutschland haben. Aber der Politik ist das egal. Diese Not wird eher politisch gewollt. "Haltet die Armen arm und die Reichen reich"

  6. 52.

    Viele Rentnerinnen sind arm, sobald die 1. Rente ansteht. Heißt das dann in Ihrer Denkart, ab und raus aus Berlin aufs Land ohne Arzt? Sozial heißt ja Gesellschaft, welche alten Leute brauchen schon Gesellschaft?!

    Und wer braucht schon eine auskömmliche Rente, um die immer steigenden Mieteinnahmen der Besitzenden zu befriedigen?

  7. 51.

    kann nicht gleichzeitig das Recht auf einen bestimmten Wohnort beinhalten, wenn der Sozialstaat die Leistung erbringen soll. Steuergelder sind endlich, ebenso der bebaubare Raum.

  8. 50.

    Die leerstehenden Wohnungen existieren hauptsächlich in dörflichen Gegenden ohne ÖPNV, Arzt, Internet und Handyempfang. Dort, wo man nicht leben kann und möchte.

  9. 49.

    Wohnen ist eine zwingende Lebensnotwendigkeit. Wohnung als Markt- und Renditeobjekt untergräbt das Grundrecht auf Wohnen, Wohnung.

    Unklar, dass D EMRK und EU-Sozialpakt befürwortet, im eigenen Land den eigenen Bürgern aber das Anrecht auf Wohnung vorenthält.

  10. 48.

    Das ganze Wohnungs,-und Mietensystem in Deutschland ist krank! Und da helfen auch keine Eigentumswohnungen. Van Aken hat schon recht, wenn er den deutschlandweiten Mietendeckel für 6 Jahre ab sofort und eine Mietobergrenze festlegt. Dann Schulden aufnehmen, Deutschland ist am niedrigsten verschuldet in Europe/Übersee!, und massiv 400000 bezahlbare Wohnungen bauen, auch in Brandenburg!

  11. 46.

    Wer zumindest einen Teil der Miete durch eigene Arbeit mitträgt, soll nicht umziehen, sondern, im Gegenteil, vom dann entspannteren Wohnungsmarkt profitieren.

  12. 45.

    Viele ältere Mitbürger leben in riesigen Wohnungen ein Umzug ist anstrengend und Teuer. Eine 2 bis 3 Zimmerwohnung mit Neuvertrag nicht billiger, vielleicht ist es eine eigene Eigentumswohnung. Da kann viel "geschraubt" werden. Vollservice und Geförderte Wohnung ohne Einkommensprüfung, dafür große Familienwohnung frei oder ein paar Untermieter mit Pflegefunktion. Na ja wird wegen Kapital und Steuerinteressen wohl nicht mal angedacht und irgendwer müßte das Organisieren.

  13. 44.

    Wer weiß, ob diese leerstehenden Wohnungen überhaupt nutzbar sind ...

    Vermutung meinerseits: höchstens ein Drittel der Wohnungen kann überhaupt - ohne Sanierung - bezogen werden. Die Wohnungen/Häuser ,gammeln' einfach jahrelang vor sich hin.

    Siehe z.B. Burgsdorfstraße im Wedding - jahrzehntelanger Leerstand - jetzt Abriss

  14. 43.

    Aber diese Wohnungen sind wahrscheinlich weit entfernt von den Arbeitsplätzen der Mieter-innen. Also geht das nur für Leute, die zumindest partiell im Homeoffice arbeiten können. Und es braucht zu den Orten, wo diese Wohnungen liegen, einen guten ÖPNV. Denn parken kann man in den Städten, in denen die Arbeitsplätze sind, ja meistens nicht mehr. Berlin ist ja jetzt schon dicht vor Autos. Siehe heute ganz besonders.

  15. 42.

    Muß natürlich heißen: "... 100 Mrd. Steuerzuschuss an die" SOZIALVERSICHERUNGEN "sind dann auch nicht mehr nötig."

  16. 41.

    Zuerst wäre die Belegung der 2 Millionen leerstehenden Wohnungen anzugehen. Damit könnten die Wohnungsmärkte in Ballungsräumen entlastet werden.
    Die so gesparten Transfergelder könnten anschließend in Neubau fließen.

  17. 40.

    Erstmal Sozialversicherung von allen erheben senkt die Beitragssätze und durch Erbschafts - und Vermögenssteuer finanziert ein vorab Guthaben, daß die Beiträge bis zum Existensminimum ausgleicht löst einige Probleme. Z.B. brauchen dann viel weniger entwürdigende Sozialleistungen beantragen. Ein über 100 Mrd. Steuerzuschuss an die sind dann auch nicht mehr nötig. Da ist die Gegenfinanzierung mit drin. Alle bekommen einen festen Betrag. Also normale Einkommen werden im Betrag genauso entlastet wie Großverdiener. Alles schon existierende Modelle im doch so tollen "Ausland". Wird aber nicht so kommen, weil Lobby auch mit solcher Bangemacherei arbeitet.

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