Vor 80 Jahren - Wie Kriegskinder das Bombardement in Cottbus erlebten

Sa 15.02.25 | 11:59 Uhr | Von Rocco Thiede
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Ein aufgeschlagenes Familienfotoalbum der Familie Koalick.(Quelle:privat)
Bild: Rocco Thiede

Die Stadt Cottbus wurde am 15. Februar 1945 beinahe in Schutt und Asche gelegt. Die Familie von Rocco Thiede gehörte damals zu den Betroffenen. Sein Vater und seine Tante schildern 80 Jahre später ihre Erlebnisse.

Der alliierte Luftangriff im Zweiten Weltkrieg am 15. Februar 1945 mit mehr als 400 amerikanischen Flugzeugen legte große Teile von Cottbus in Schutt und Asche. Erlebt haben ihn auch mein Vater Manfred, seine jüngere Schwester Elke und ihre Mutter. Alle drei wurden in Cottbus geboren. Meine Großmutter noch vor dem 1. Weltkrieg 1910, mein Vater 1939 kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges und zwei Jahre später meine Tante Elke. Großmutter Lotte ist seit vielen Jahren tot. Aber mein Vater und seine Schwester sind historische Zeitzeugen und sprechen mit mir über ihre Erinnerungen und die Kriegskinder in Cottbus.

Zeitzeugen des Cottbuser Bombardements am 15. Feb. 1945. (Quelle: Rocco Thiede)
Bild: Rocco Thiede

Etwa 1.000 Cottbuser und viele Flüchtlinge aus Schlesien kamen beim Bombenangriff in der brandenburgischen Stadt ums Leben, ungefähr 2.500 Menschen wurden verletzt und mehr als 13.000 Einwohner waren nach dem Angriff obdachlos. Zu ihnen gehörten auch meine Großmutter, mein Vater und seine Schwester.

Ihr Haus in der Räschener Straße 29 wurde damals komplett zerstört, heute steht dort ein Neubau. Alle drei überlebten mit Glück in einem Luftschutzkeller, geblieben ist ihnen ein Koffer mit wenigen Habseligkeiten - darunter ein Fotoalbum mit Brandflecken, "was Oma Lotte aus den Trümmern geholt hat", erzählt mein Vater. Meine Tante Elke kann sich noch an ein besonderes Spielzeug erinnern: "Unser Schaukelpferd, leider ist es auch verbrannt".

Überall Feuer, Staub und Schreie

Durch die alten Fotos kommen bei ihnen Erinnerungen wieder hoch: "Der Luftschutzkeller wurde noch mit Säulen, einer Zwischendecke, und Schalungsbrettern verstärkt, sonst hätten wir vermutlich nicht überlebt".

Sowohl mein Vater als auch seine Schwester können sich trotz ihres damaligen Alters - er war noch keine sechs und sie fast vier Jahre alt - sehr genau an diesen Tag erinnern. Es war ein kalter Februartag, die Sonne schien, der Himmel war blau und dann passierte die Katastrophe. "Einige Nachbarn hatten Luftschutzgräben ausgehoben, weil sie dachten, dort sind sie sicherer, aber keiner hat überlebt. Als wir aus dem Luftschutzkeller kamen, blendete uns der Schnee. Durch die Phosphorbomben brannte es überall", berichtet mein Vater. Der Zugang zum Haus war verschüttet. "Da sind wir nicht rausgekommen. Wir konnten nur aus einer kleinen Luke klettern, dort gab es zusätzlich ein Gitter, einen Splitterschutz."

Uropa Max mit Uroma und den Kindern Alfred und Lotte sind auf einer Fotografie abgebildet. (Quelle: Rocco Thiede)
Bild: Rocco Thiede

Als Kind sah mein Vater hier erstmals tote Menschen, die es nicht mehr rechtzeitig in den Luftschutzbunker geschafft hatten. Später folgten weitere erschreckende Entdeckungen: "In einem ausgebrannten Haus habe ich oben am Ofen eine Leiche stehen sehen."

Tante Elke schildert ihre Eindrücke: "Ich sehe jetzt noch diesen Staub, der bei der Detonation vom Mauerwerk abgefallen ist. Und ein Baby gerade mal ein Vierteljahr alt, das nur geschrien hat." Mit Tränen in den Augen und leicht zitternder Stimme wiederholt sie: "Das schreiende Kind und die heulenden Sirenen: Das höre ich bis heute, und dann dieser Staub überall. Ich habe damals kaum Luft bekommen."

"Mama, die schießen ja immer noch"

Als sie sich aus dem Luftschutzkeller befreiten "kamen uns schon die Großeltern entgegen, die vorn an der Finsterwalder Straße ihr Haus mit einem Kolonialwaren-Laden hatten". Es überstand, wie durch ein Wunder das Bombardement. Vater kennt den Grund: „Die Scheiben vom Geschäft waren durch die Druckwellen kaputt. Unser Opa hat mit seinen Händen, die Brandbomben rausgeschmissen, sonst wäre das alles abgefackelt, wäre auch Opas Haus, genau wie das gegenüber ausgebrannt.“

Wie sollte es für meine Oma, meinen Vater und meine Tante weitergehen nach dem Bombardement und dem Verlust der Wohnung? Wohin konnte die Familie nach dieser Katastrophe, die sie nur knapp überlebten? Nach einer Zwischenstation in Klein Gaglow (Spree-Neiße) ging es weiter in Richtung Süden. Kleinbauern nahmen meine Oma und ihre Kinder kurzfristig auf. "Ich kann mich noch an die erste Nacht erinnern, wo wir zu dritt im Bett lagen: unsere Mutter und wir beide. Und ich habe immer nur geschrien: "Mama, die schießen ja immer noch", erzählt Tante Elke.

Zwei Tage später organisierten die Bauern ihnen ein Pferdefuhrwerk für die weitere Reise. Von Priestewitz in der Nähe von Meißen fuhr ein Zug nach Thüringen. In Goldisthal/Masserberg kamen die Flüchtlinge für einige Monate privat unter.

Mit einem Koffer auf der Flucht

Die Erlebnisse der Heimat- und Obdachlosigkeit, des häufigen Wohnortwechsel - später innerhalb der Stadt Cottbus - sind Teil ihrer Geschichte. Krieg, Tod, Flucht und Vertreibung gehören für die Menschen in Europa auch heute wieder zu ihrem Alltag - die Ukraine ist nicht weit.

Meine Tante erzählt weiter: "Wir hatten nur einen Koffer auf unserer Flucht. Aus dem Bombentrichter unseres Hauses konnte Mutter ein Tischtuch und ein Handtuch retten. An anderen Sachen haben sich die Nachbarn bedient. Und dann hat der Ami uns später im Thüringer Wald auch noch Omas Uhr weggenommen."

Um vom Familienerbe einiges zu retten, versteckten meine Urgoßeltern einiges im Garten ihres Hauses: "Silberbesteck, ein Porzellanservice und Münzen, aber das fanden später die Sowjetsoldaten", die zu Kriegsende dort einzogen. Mein Vater weiß noch: "Die Russen haben alle Jalousien und Zimmertüren verfeuert und dort eine Schlachterei betrieben."

Theologe Christoph Polster. (Quelle: Rocco Thiede)
Bild: Rocco Thiede

Erinnerungen nicht anderen überlassen

Mein Vater und meine Tante besuchen seit einigen Jahren im Februar Gedenkveranstaltungen in Cottbus. Zum Beispiel in der Martin-Luther-Kirche, wo sie getauft und konfirmiert und beide auch kirchlich getraut wurden. Auch die Lutherkirche wurde damals schwer von Bomben getroffen. Jährlich erinnert die Gemeinde um 11:55 Uhr mit einer Andacht, Gebeten und Liedern an den 15. Februar 1945.

Christoph Polster, der ehemalige Pfarrer der Oberkirche in Cottbus erklärt: "Um die Erinnerung nicht denen zu überlassen, die in geschichtsverkennender Weise und in antiamerikanischer Interpretation die Geschichte mit neonazistischen Ideologien umdeuten und damit die Leute verrückt machen."

Das Drama, um die Bombardierung von Cottbus einzuordnen ist auch dem Historiker und ehemaligen Direktor des Cottbuser Stadtmuseums, Steffen Krestin, wichtig: "Wir müssen diesen wirklich schlimmen Bombenangriff auf die Stadt mit seinen Folgen in einen Zusammenhang stellen. Es hat viele Städte in Deutschland getroffen und es ist schlimm, dass viele, viele Menschen zu Tode gekommen sind. Aber die Ursache ist im Angriffskrieg Deutschlands zu suchen. In der Politik, die in Deutschland seit 1933 mit den Nazis einsetzte mit Verfolgungen, Ermordungen, dem Zerstören und Ausradieren von Biografien."

Beitrag von Rocco Thiede

8 Kommentare

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  1. 8.

    Klarstellung: Selbstverständlich ist es der richtige Weg sich zu wehren, das wird ja auch aus dem Text darüber sehr deutlich. Zugleich, ich gebe es zu: das habe ich im letzten Satz nicht gut ausgedrückt.

  2. 7.

    Das Problem der aktuellen deutschen Politik ist doch aber auch, dass man der Ukraine gerade immer so wenig hilft, dass es Putin nicht zu sehr verärgert. Letztlich, und da bin ich bei BSW und AfD, muss es endlich Verhandlungen geben, um das Leiden in der Ukraine zu beenden. Denn dort leidet man unter dem täglichen Bomben- und Raketenterror, so wie es damals die deutsche Zivilbevölkerung täglich traf. Aber, und da bin ich entschieden gegen die Auffassung von BSW und AfD, die Waffenlieferungen einzustellen, würde das Leiden noch weiter vergrößern. Denn das hieße, Putin die Ukraine zum Fraß vorzuwerfen. Die dann folgenden Menschenrechtsverletzungen sah man schon in Tschetschenien. Man muss der Ukraine endlich die Waffen liefern, die Putin so weh tun, dass er an den Verhandlungstisch gezwungen wird. Freiwillig wird er nicht verhandeln. Aber trauen sich unsere Politiker das wirklich?

  3. 6.

    Sich zu wehren ist nicht die Strategie, einen Krieg zu beenden?

    Wieso beziehen Sie das auf die Ukraine?

    Ich sehe das so, Hitler hat andere überfallen. Putin hat die Ukraine überfallen. Gegen Hitler hat man sich gewehrt. Aber die Ukraine soll sich nicht gegen Putin wehren? Wieso schreiben Sie das?

  4. 5.

    Also Sie meinen, die Ukrainer sollten sich nicht wehren? Steht im letzten Satz von Ihnen. Ich bin entsetzt über das, was ich lese und niemand schaut hin. Wie ist das möglich, dass Sie hier offen schreiben, dass die Ukraine sich nicht wehren soll?

  5. 4.

    Ja, das kann ich zumindest gedanklich nachvollziehen. Zugleich, um das in den geschichtlichen Kontext zu setzen: dieser Angriff auf die Stadt erfolgte, weil andere Länder sich gegen den Aggressor Hitler gewehrt haben und so den Krieg beendeten. Man kann sich nur mit Grauen ausmalen, wie es gekommen wäre, wenn niemand den Diktator aufgehalten hätte, es wären wohl zig Tausende weitere Opfer geworden. Parallelen zu der Situation mit Putin halte ich nicht für einen Zufall, ebenso wenig, dass zu wehren die richtige Strategie ist um den Krieg zu beenden.

  6. 3.

    Meine Oma hat bei Auslösung Luftalarm ihre Schneiderei in der Nähe des Bahnhofs verlassen..... Volltreffer , sie wäre tot gewesen. Unser Haus in der Nähe des heutigen Südstadions hat nichts abbekommen. Aber ist dann dem Plattenbauwahn 1974 zum Opfer gefallen.

  7. 2.

    Das bestätigt meine Erfahrung es gibt Erlebnisse die man nie vergisst dazu gehört die Erfahrung das der Schutzraum in Folge von Beschuss wackelt , das sollten alle wissen die so leichtfertig von waffen und Krieg sprechen

  8. 1.

    Dieser Artikel will deutlich machen, was es bedeutet in einer Kriegssituation zu sein und wie sehr man dann auf Menschen angewiesen ist, die nicht wegschauen sondern helfen.
    Gleichzeitig stimmt Brandenburg im Bundesrat so ab, dass es wegschaut und nicht hilft - das ist schon unfassbar. Zu meinen, wenn ich Waffenlieferungen nicht zustimme, dass dann das Leid aufhört kann nur ein Resultat von Dummheit und Egoismus sein. Selber einfach nur die Ruhe haben wollen kann eine Form von Mittäterschaft sein!

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