Razzia bei Generalstaatsanwaltschaft - Ermittlungen gegen Staatsanwalt: Lebt die "Hitlerjugend" weiter?

Sa 01.03.25 | 10:02 Uhr | Von Silvio Duwe, Henrike Reintjes, Maria Caroline Wölfle
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Symbolbild: Schild Staatsanwaltschaft Berlin am Kriminalgericht in Moabit am 11.09.2019. (Quelle: IMAGO/Sascha Steinach )
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Video: Kontraste | 20.02.2025 | Silvio Duwe, Henrike Reintjes, Maria Caroline Wölfle | Bild: IMAGO/Sascha Steinach

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen einen Juristen der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg. Dem Mann wird nach Recherchen von "Kontraste" und "Zeit" vorgeworfen, die seit 2010 verbotene rechtsextreme HDJ weiterzuführen. Von S. Duwe, H. Reintjes und M.Wölfle

Es ist Ende Januar, als die Berliner Polizei am Stadtrand eine ungewöhnliche Razzia durchführt. Das Landeskriminalamt Berlin ermittelt gegen einen Staatsanwalt aus Brandenburg. Auch sein Arbeitsplatz bei der Generalstaatsanwaltschaft in Brandenburg an der Havel wird durchsucht. Einer der Vorwürfe: Der Staatsanwalt soll nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Kontraste" und der Wochenzeitung "Die Zeit" im Verdacht stehen, die verbotene rechtsextreme "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) als Mitglied oder Unterstützer fortgeführt zu haben.

Die HDJ zählte bis zu ihrem rechtskräftigen Verbot im Jahr 2010 zu den radikalsten Neonazi-Gruppen in Deutschland. Nun liegen dem Landeskriminalamt Berlin Hinweise darüber vor, dass es eine Nachfolgeorganisation der HDJ geben könnte. Die Ehefrau des Staatsanwalts hatte ihn bei der Polizei angezeigt, sie lebt mittlerweile von ihm getrennt. Ob sich die Vorwürfe am Ende erhärten, ist derzeit unklar.

Eine neue "Heimattreue Deutsche Jugend"?

Die 1990 gegründete HDJ trat wie eine Pfadfindergruppe auf, veranstaltete scheinbar harmlose Ferienfahrten - auf denen Kinder beispielsweise das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 aus Holz sägten. Familien, die ihre Kinder zur HDJ schickten, hatten einen völkisch elitären Anspruch und das Ziel, ihren fanatischen Rassismus und Antisemitismus an Kinder und Jugendliche weiterzugeben.

Im Jahr 2009 wurde die HDJ vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verboten, 2010 wurde das Verbot rechtskräftig. Laut der damaligen Verbotsverfügung bestehe eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, sie stehe in der Tradition der früheren Hitlerjugend, habe deren Sprachgebrauch, Liedgut und Symbolik übernommen. Laut Verbotsverfügung ist auch eine Nachfolgeorganisation der HDJ automatisch verboten.

Dass eine solche Nachfolgeorganisation dennoch existieren könnte, darauf deuten auch zahlreiche Fotos, Flyer, handschriftliche Aufzeichnungen sowie Kalender mit Adlersymbolen hin, die in der Familie und Verwandtschaft des Staatsanwalts kursieren. Diese wurden der "Zeit" zugespielt und zusammen mit "Kontraste" ausgewertet. Das Material stammt mutmaßlich aus dem Inneren der Organisation, die sich möglicherweise "Jungadler" nennt.

Aus den Unterlagen geht hervor, dass die Gruppe mindestens im Zeitraum von 2018 bis 2024 bundesweit Fahrten, Zeltlager und Feiern organisiert hat. Sie reiste unter anderem offenbar in den Harz, den Taunus, das Allgäu oder ins norwegische Narvik. Die Spuren führen zu ehemaligen HDJ-Familien aus Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen oder Berlin. Das Material zeigt auch, dass die Gruppe sehr aktiv zu sein scheint, allein für das "Fahrtenjahr 2020" dokumentiert ein abfotografierter Terminplan 13 Veranstaltungen. Und das alles offenbar unbemerkt von den Sicherheitsbehörden.

Expertin: "Verbot der HDJ wurde offenbar ignoriert"

Der Name "Jungadler" erinnert an den NS-Film "Junge Adler" von 1944, den Propagandaminister Goebbels für besonders wertvoll hielt. Die Gruppe, die sich heute mutmaßlich so nennt, ist offenbar straff organisiert und in einzelne so genannte "Horten" aufgeteilt. In den Unterlagen finden sich Anweisungen für Fahnenappelle und Einladungen zu sogenannten "Führerschulen", in denen die Nachwuchselite der Gruppe ausgebildet wird. Wie auch bei der HDJ wird dabei NS-Kulturgut tradiert.

"Für mich sieht es so aus, als wenn das Verbot der 'Heimattreuen Deutsch Jugen'd wirklich ignoriert würde", sagt die Journalistin Andrea Röpke. Sie recherchiert seit Jahrzehnten zur rechtsextremen Szene, immer wieder hat sie auch Treffen der HDJ dokumentiert. "Es sind einfach ganz klar Parallelen zu erkennen in der Durchführung der Lager, der Durchführung der Schulungen. Sie haben einfach nur ein bisschen die Fahnen geändert, sie haben ein bisschen die Uniformen geändert und dann haben sie das Ganze dezentraler einfach weitergeführt, so muss es uns erscheinen."

Video zeigt Staatsanwalt mit Hitlergruß

Der Staatsanwalt, zu dem ermittelt wird, ist bislang nicht politisch als extremistisch aufgefallen. Frühere Kollegen sagen, er sei unauffällig gewesen, zurückhaltend. In seinem engeren Umfeld befinden sich dagegen ehemalige Funktionäre der HDJ, darunter auch Angehörige.

Und ein Teil der Dokumente, die "Kontraste" und "Zeit" vorliegen, wirft zumindest Fragen nach der Gesinnung des Staatsanwaltes auf. Ein Foto zeigt ihn im Haus seiner Mutter vor einer Bücherwand mit einschlägiger NS-Literatur, darunter auch Hitlers "Mein Kampf". In einem Video erklärt er Kindern, wie man den Hitlergruß macht. In einem anderen rät er wiederum den Kindern davon ab, den Hitlergruß in der Schule zu machen und sagt: "Wenn du das in der Schule machst, haben wir voll die Probleme."

"Zeit" und "Kontraste" haben dem Staatsanwalt einen Fragenkatalog zu den Vorwürfen geschickt. Bislang hat er darauf allerdings nicht geantwortet.

Für die Justiz ein heikler Fall

Die Staatsanwaltschaft Berlin will "Kontraste" und "Zeit" gegenüber offiziell weder bestätigen noch dementieren, dass sie gegen den Staatsanwalt ermittelt. Der Fall ist heikel für die Justiz: Könnte ausgerechnet bei der Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg, der obersten Justizbehörde des Bundeslandes, ein Staatsanwalt gearbeitet haben, der mit einer Neonazi-Gruppe sympathisiert - und der früher sogar im Justizministerium in einem Referat gearbeitet hat, das unter anderem für Rechtsextremismus zuständig war?

Bislang ist es nur ein Verdacht gegen den Staatsanwalt, es gilt die Unschuldsvermutung. Doch auch falls sich herausstellt, dass die Vorwürfe unzutreffend sind, hat der Staatsanwalt vielleicht trotzdem ein Problem, das meint zumindest die Bundestagsabgeordnete Martina Renner von der Linken. Und zwar dann, wenn er von der Existenz einer verbotenen Organisation gewusst haben sollte. "Er hat eine Pflicht als Beamter, als Staatsanwalt, insbesondere natürlich Straftaten zu melden, und es geht hier um eine Straftat", so Renner zu "Kontraste".

Die Ermittlungen obliegen der Staatsanwaltschaft. Ob eine Schuld vorliegt, kann nur ein Gericht entscheiden.

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Sendung: Kontraste, 20.02.2025, 23:30 Uhr

Beitrag von Silvio Duwe, Henrike Reintjes, Maria Caroline Wölfle

47 Kommentare

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  1. 47.

    Das ist ja immer die Tragik, das Unvorstellbare kann man sich immer schwer vorstellen, bis es dann über uns hereinbricht.

  2. 46.

    Na erstmal müssen die die 750 km von Brest bis Frankfurt/O überwinden. Das muss auf der Straße passieren, es sei denn die PKP wird als erstes Übernommen (Breitspur/Normalspur). Na gut, mit Raketen und Marschflugkörper, das ist dann eine andere Nummer.
    Aber was will der eigentlich von uns? Rohstoffe haben wir keine, Industrie und Landwirtschaft sind auch nicht mehr erste Sahne und dann unsere Bürokratie, wo jetzt schon alle die Hände über den Kopf zusammen schlagen? Also ich glaube daran nicht und hoffe das ich mich nicht irre.

  3. 45.

    Steht alles in den Kommentaren, aufmerksam lesen und Sie finden die Lösung. Ausgeblutete ländliche Regionen, abgeschottet, nur ein paar alte Leute, die nach und nach weggeekelt werden. Da ist man braun vollkommen ungestört.

  4. 44.

    "Von einer allgemeinen Verlagerung des Rechtsextremismus von West- nach Ostdeutschland lässt sich in dieser Pauschalität nicht sprechen." aus: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/25426/die-entwicklung-des-rechtsextremismus-in-ost-und-westdeutschland/
    Sie wollen hier mit vielen Kommentaren Glaube machen, dass der Osten bei dem Thema Rechtsextremismus insbesondere das "Opfer" ist. Vielleicht gibt Ihnen dieser Gedanke Sicherheit und das Gefühl "auf der richtigen Seite" zu stehen. Aber etwas mehr Differenzierungsvermögen und die Bereitschaft Fakten anzuerkennen wären hilfreich um das ganze Bild zu erfassen.

  5. 43.

    Wir leben jetzt! Schauen Sie aktuell, wie sich die Rechtsextremisten um Trump und Putin vereinen, um Europa zu vernichten, das ist Die Bedrohung. Und der angepeilte Angriff, laut Nato von russischen Truppen 2029, könnte auch schon früher erfolgen. Das ist Überrumplungstaktig Trumps/Putins.

  6. 41.

    Joachim Wagner hat ein sehr interessantes Buch geschrieben

    „Rechte Richter“

    AfD-Schöffen, AfD-Staatsanwälte, AfD-Richter: Eine Gefahr für den Rechtsstaat?

  7. 39.

    Schutz der Justiz vor Rechtsextremen. Jens Maier, Richter aus Dresden durfte nicht auf seinen Richterposten zurückgreifen.
    Grund: Er stehe nicht mehr auf dem Boden des GG.

    Er gehört zur AfD

    Rechtsextreme haben im Justizsystem nichts verloren.

  8. 38.

    Dort stecken in dünn besiedelten Gegenden Zettel der Reichsbürger in den Briefkästen, die wollen sich einkaufen. Meine Verwandten haben regelrecht Angst vor dem Zustrom.

  9. 37.

    Lesen Sie mal den Kommentar 34 durch. Es geht nicht darum, dem Osten zu beweisen, dass er an allem Schuld zu sein hat und „Baba“ist, für alles verantwortlich und immer ein guter Fußabtreter für jene, die nicht reflektieren wollen.
    Sie reflektieren nicht. Aber dann wundern, wenn die Leute trotzig AfD wählen. Hausgemacht. Nichts dazu gelernt, nichts verstanden.

    Im Beitrag geht es um eine Person, Sie bashen den ganzen Osten.

  10. 34.

    Ähnlich Michael Brück, ein westdeutscher Neonazi, der für einen Chemnitzer Anwalt, rechtsextrem, Kohlmann, arbeitet.
    Brück kommt aus der Dortmunder Rechten Szene. Er sozialisierte im Westen.

    Seit 2022 wandern immer mehr Rechtsextreme aus NRW nach Niedersachsen.

    Laut Verfassungsschutz suchen sich westdeutsche Nazis dünn besiedelte Gegenden im Osten, um sich dort niederzulassen. Viele kommen aus Bayern, Dortmund und ziehen nach Brandenburg.

    Völkische neurechte Siedler sind keine Ossis.

    Götz Kubitschek kommt ursprünglich aus Ravensburg, sozialisierte im Westen, heute Niedersachsen.

    Nein, wir wollen hier keine Nazis, Holt sie ab und behaltet sie im Westen.

  11. 33.

    Das ist alles bekannt und Geschichte, dann kam NSU, Hanau, Lübcke, Reichsbürger und diese AfD. Jetzt kommen neue Rechtsextreme in den Bundestag, u.a. Helferich+Krah, die Übelsten Kameraden! Diese ganze braune Brut, ist eine willfähriges Werkzeug von den russischen Oligarchen. Zusammen mit den neuen amerikanischen Oligarchen, Die Bedrohung Deutschlands und Europas schlechthin!

  12. 32.

    Das will man nur zu gerne glauben. Nazis in der DDR wurden totgeschwiegen aber Realität. Beim Überfall von Nazis auf die Zionskirche schaute man sogar absichtlich weg.

    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/staatsluge-und-rechte-offenbarung-3880231.html

    https://www.bpb.de/themen/deutsche-teilung/stasi/218421/vertuschte-gefahr-die-stasi-neonazis/

  13. 31.

    Die Hochburgen der Neofaschisten waren vor 1990 besonders in Süddeutschland. Von dort streckten sie nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch d.kompletten Systems der DDR ihre Arme in die neuen Bundesländer aus und fanden dort Jugendliche, die in einer Art Vakuum steckten. Alle Angebote für Jugendliche waren verschwunden, sowohl in den Schulen als auch in der Freizeit. Plötzlich gab es wieder jemanden, der sich scheinbar interessierte und den jungen Menschen Angebote machten. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an junge Horden mit Glatze und Springerstiefel, die Ausländer jagten und schlimmeres taten.
    Gesellschaftlich und politisch wurde es irgendwie hingenommen und nun wundert man sich?

  14. 30.

    Ihnen geht es um Kulturkampf gegen den Osten und das klappt ja bei älteren Leuten heute noch. Aber für mich jungen Menschen ist das derart engstirnig und gestrig und am Problem des Beitrags vorbei. Kämpfen Sie weiter gegen den Osten, wenn es Ihnen dabei besser geht, nur zu.

    Genau diese Art der Arroganz bestärkt die AfR, tatsächlich.

  15. 29.

    "Es gibt keine Neofaschisten im Bundestag."

    Nicht? Auch kein "freundliches Gesicht des NS"? Natürlich gibt es Neofaschisten im deutschen Bundestag. Wovon ich aber erst mal nicht gesprochen habe.

    Zur Erinnerung, ich hatte gefragt: Und warum sind dann die Neofaschisten in den neuen Bundesländern so stark?

  16. 28.

    Nur weil Menschen gebildet sind, heißt es ja nicht, dass sie intelligent sind. In meinen Augen geht die größte Gefahr von der Dummheit aus, denn die Dummheit ist schlimmer als Bösartigkeit und für mich ist alles, was mit dem NS zu tun hat und heute wieder in den Köpfen schwirrt, eine absolute und unverzeihliche Dummheit. Wenn diese Leute einen EQ hätten, kämen sie gar nicht in Versuchung, sich damit identifizieren zu wollen.

    Diesen Menschen empfehle ich, sich einfach mit der eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen. Das Bundesarchiv ist voller Beweise für die Schuld unserer Vorfahren.

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