Viadrina-Universität - Ist eine Universität ohne Vorlesungen denkbar?

Fr 07.02.25 | 14:33 Uhr
  10
Archivbild: Blick in ein Hörsaalgebäude der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). (Quelle: dpa/Pleul)
Audio: Antenne Brandenburg | 12.02.2025 | Sabine Tzitschke | Bild: dpa/Pleul

Sollten die Universitäten des 21. Jahrhunderts weiterhin auf Vorlesungen als Lehrformat setzen, oder sind sie überholt? An der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) nehmen solche Überlegungen bereits Form an.

Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) könnte vor einem Umbruch stehen: In den Führungskreisen der Universität wird offenbar über die Abschaffung von Vorlesungen nachgedacht. Der Viadrina-Präsident und Historiker Eduard Mühle stellte sich vergangene Woche bei einer öffentlichen Veranstaltung die Frage, ob Vorlesungen noch zeitgemäß seien, wie die "Märkische Oderzeitung" [Bezahlinhalt] berichtete. Die Idee findet bereits erste Unterstützer.

Staatssekretär: Idee "außerordentlich klug"

"Das ist eine tolle Idee. Zum einen, weil ich glaube, dass Universitäten Wissenschafts-, Zukunfts- und Experimentallabore sein müssen. Und ich finde es naheliegend, auch mal bei den eigenen Usancen anzufangen", sagte Tobias Dünow (SPD), Staatssekretär im Wissenschaftsministerium und Mitglied des Stiftungsrates der Viadrina, dem rbb. Es sei eine gute Sache, wenn eine Universität sich überlege, ob es nicht "angemessenere, partizipativere und freudvollere Formen der Zusammenarbeit" zwischen Dozierenden und Studierenden gebe, so Dünow.

Eine Universität mit niedrigen Studierendenzahlen wie die Viadrina könnte auf kleinere Lern- und Lehrgruppen setzen. Als erste Universität in Deutschland komplett auf Vorlesungen zu verzichten, sei in diesem Fall "außerordentlich klug", so Dünow weiter. Konkretere Pläne, wann die Idee umgesetzt werden könnte, gibt es jedoch nicht.

Vorlesungen gibt es so lange wie die Universitäten selbst

"Ja, abschaffen, ganz klar", sagte eine Viadrina-Studentin dem rbb. In ihrem Studiengang Soziokulturelle Studien gebe es bereits vor allem Seminare, was sie besser als Vorlesungen finde. "In der Corona-Pandemie habe ich gelernt, wie wichtig mir der Austausch ist", sagte eine andere Studentin. "Ich könnte mir nicht vorstellen, wie ein anderes Angebot aussehen sollte." Und manche befürworten die Abschaffung aus sehr pragmatischen Gründen: "Ich gehe nicht zu Vorlesungen, da ich in Berlin wohne. Die Folien gibt es auch online", so eine dritte Studentin.

Vorlesungen gibt es so lange wie die Universitäten selbst - seit dem Mittelalter. Diese Form des Frontalunterrichts entstand in einer Zeit, in der Bücher noch nicht gedruckt und damit sehr kostbar waren. Damals lasen Dozenten den Studierenden eigene oder fremde Werke vor und kommentierten diese. Heute erklären Dozenten den Lernstoff mithilfe eines Skripts und werden in einem Hörsaal von bis zu mehreren Hundert Studierenden gehört – zumindest in der Theorie.

Studentenzahlen an der Viadrina gesunken

Die Debatte über die Abschaffung von Vorlesungen wurde während der Corona-Pandemie wiederbelebt, doch im englischsprachigen Raum gibt es sie schon länger. Eine Meta-Analyse US-amerikanischer Wissenschaftler kam vor zehn Jahren zu dem Ergebnis, dass aktive Lehrveranstaltungen in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu wesentlich mehr Lernerfolg beitragen als traditionelle Vorlesungen.

Die Viadrina befindet sich in einem Reformprozess. Seit Jahren sinken die Studierendenzahlen kontinuierlich, zuletzt auf knapp unter 4.000. Vor zehn Jahren waren es noch rund 6.500. Uni-Präsident Mühle hat die konkreten Veränderungen noch nicht öffentlich gemacht, die Beteiligungsprozesse an der Universität laufen noch.

Sendung: Antenne Brandenburg, 07.02.2025, 14:40 Uhr

Mit Material von Sabine Tzitschke und Marissa Boll

10 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 10.

    Ich frag mich jetzt echt, was die unter "Vorlesungen" verstehen. In den Naturwissenschaften sind "Vorlesungen" vorallem bei kleineren Anzahlen von Teilnehmern wie zb 30 eher sowas wie "Frontalunterricht", also man kann vorallem auch Fragen stellen.

  2. 9.

    Gar nicht so neu - an Hochschulen gibt es keine Vorlesungen. Also ist die Vadriana her eine Hochschule?

  3. 8.

    Vorlesungen sind, wie ein kluges Buch, auch wahnsinnig interessant. Z.B. in der Philosophie einer vortragenden Person einmal über 90 Minuten (mit Unterbrechungen durch Nachfragen etc.) zuzuhören, ist wie ein gutes, mündliches Buch. Ich habe Vorlesungen, neben Seminaren - wo sich meist die Extrovertierten mit Wortmeldungen vordrängen, immer als ein spannenden Teil des Studiums empfunden. Sollte man beibehalten, wo es passt. Allen Fächern pauschale Konzepte überstülpen zu wollen, ist meist keine gute Idee.

  4. 7.

    Interessant wäre, zu fragen warum der Viadrina immer weniger Studenten hat. Wenn es so weiter geht, was dann?

    Ich würde dort viel lieber studieren als in Berlin!

  5. 6.

    Aber auch die großen Unis haben längst moocs – kostenfreie Bildung für alle, rund um die Welt, als Vorlesungsaufzeichnung.

  6. 5.

    Hans Giebenrath klatscht aus dem Grabe Beifall, eformpädagogen jubilieren: Endlich!

  7. 4.

    Danke für Ihre Frage. Habe gerade bei Harvard online geschaut, wie dort gelehrt wird. Tatsächlich ist es eine Mischung aus Vorlesung und Interaktion. Reine Vorlesung ist halt doch 19. Jahrhundert. Nichts hat mich im Studium mehr gelangweilt und weniger gebracht.

  8. 3.

    Problematisch finde ich dabei, dass Vorlesungen in der Regel öffentlich sind, Seminare hingegen meistens nicht. Seminare mit Gruppenarbeiten haben eine begrenzte Platzkapazität, die meistens nur für die Studierenden eines Studiengangs ausreicht (was selbst bei Studierenden aus anderen Fächern, die Seminare als Wahlkurse belegen möchten, schon schwierig werden kann). Ich selbst besuche, wenn es die Zeit zulässt, auch als Alumni noch ab und zu Vorlesungen und schätze dies als ein Bildungsangebot, das wir uns als Gesellschaft leisten.

  9. 2.

    "...komplett auf Vorlesungen zu verzichten, sei in diesem Fall "außerordentlich klug", so Dünow" Wenn er das für außerordentlich klug hält, dann war er länger nicht mehr in einer Uni. Reine Vorlesungen, also ohne jegliche Beteiligung der Studieren gibt es ja eh kaum noch und könnten als mögliches Backup aoch per Video zur Verfügung gestellt werden. “Lernen ist Erfahrung, alles andere ist nur Information” sagte schon Einstein und hier liegt die eigentliche Aufgabe: die (individuelle) Umwandlung von Informationen in Wissen! Dafür gibt es bereits sehr gute Konzepte und Erfahrungen, insbesondere unter dem Begriff der Kompetenzentwicklung.
    Also - nicht wirklich was Neues und insbesondere nicht "außerordentlich klug"!

  10. 1.
    Antwort auf [Gustav] vom 07.02.2025 um 16:56

    »So lernt heute kein Mensch mehr.«

    Ihnen ist hoffentlich bewusst, dass es, außerhalb Deutschlands, weitere Universitäten gibt, die von sogenannten Menschen besucht werden die angeblich Vorlesungen besuchen sollen? Harvard, Yale, Princeton, Stanford, MIT, Brown, die sehen das genauso?

Nächster Artikel