Studie zum Hinweisgeberschutzgesetz - Whistleblowing bleibt ein Tabu bei der Polizei

Mi 12.03.25 | 17:04 Uhr
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Polizist mit Weste mit Aufschrift "Polizei"
Audio: rbb24 Inforadio | 12.03.2025 | Jenny Barke | Bild: dpa/Thomas Baur

Am Frauentag ging ein Video viral: Es zeigt, wie Polizeibeamte in Berlin auf einer Demonstration Schläge austeilen. Solche Vorfälle werfen Fragen zur internen Aufarbeitung von Polizeigewalt auf. Eine Studie zeigt: Die Hürden bleiben trotz Whistleblower-Gesetz groß. Von Jenny Barke

Wer seine Vorgesetzten über Fehlverhalten im Kollegenkreis informiert, muss von seinem Arbeitgeber in besonderer Weise geschützt werden. So sieht es das Hinweisgeberschutzgesetz seit Juli 2023 vor. Es gilt für Unternehmen der freien Wirtschaft genauso wie für den öffentlichen Dienst. Wird es bei der Polizei umgesetzt?

Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte - kurz GFF. 19 Interviews hat sie in Berlin und Schleswig-Holstein geführt. Eine kleine Auswahl, weil es nicht leicht sei, bei den Behörden Auskunftswillige zu finden, sagt Juristin und Projektkoordinatorin Laura Kuttler: "Die Personen, die da bereit waren, mit uns zu sprechen und zu unterstützen, sind diejenigen, die auch schon versuchen, Änderungen herbeizurufen."

Diejenigen also, die sich für eine transparentere und bürgernahere Polizeiarbeit einsetzen, zum Beispiel Polizeibeauftragte und Interessenvertretungen.

Wenige wagen Schritte gegen Polizeifamilie

Doch in der Forschung bleibe die Polizei in vielen Bereichen eine Blackbox. Viele Anfragen zu Studieninterviews blieben von Behörden unbeantwortet. Nur in Schleswig-Holstein und Berlin hatte die GFF Erfolg. Das zeige: Die Bereitschaft sei gering, über das Thema Whistleblowing - also dem Melden von internen Misstständen - zu sprechen, so Kuttler.

"Polizist:innen sind Beamt:innen, die stehen in einem völlig anderen Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber als Menschen in der freien Wirtschaft. Die stellen sich damit gegen das eigene System, oder zumindest wird es von ihnen so empfunden, wenn sie intern Kritik äußern."

So würden sie sich nur ganz selten gegen ihre "Polizeifamilie" stellen. "Das ist ein sehr harter Schritt, den nur ganz, ganz wenige wagen, und auch dann nur, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sehen."

interne und externe Konflikte

Dabei gibt es immer noch häufig Konflikte innerhalb der Polizeibehörden, zeigt die GFF-Studie. Die Interviewten nannten als Beispiele rassistische oder sexistische Bemerkungen, Mobbing und körperliche Disziplinierungsmaßnahmen in bestimmten Einheiten. Auch strafbare Handlungen wie Volksverhetzung, Beleidigung und Körperverletzung wurden genannt. "Zudem berichten die Befragten von sexueller Belästigung durch Vorgesetzte und strukturellem Machtmissbrauch gegenüber Frauen in der Polizei", so die GFF-Studie weiter.

Auch Polizeigewalt hätten die Befragten genannt, vor allem eine unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt bei Demonstrationen und Personenkontrollen.

Hürden für Hinweisgeber

Trotz des Whistleblowing-Gesetzes gebe es viele Hürden für Polizisten, solche Konflikte zu melden, sagt Studienautorin und Polizeiforscherin Daniela Hunold von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht: "Manche Verhaltensweisen werden überhaupt nicht als Fehlverhalten erkannt, beispielsweise Sexismus, sexistische Äußerungen werden vor allem von männlichen Vorgesetzten nicht unbedingt als problematisch angesehen."

Zudem wüssten viele Polizeibeamte gar nicht, an wen sie sich mit ihren Hinweisen und Beschwerden wenden könnten und welche Verfahren existieren. In Berlin sei dafür ein Vertrauensanwalt des Landes eingebunden worden.

Folgen für Whistleblower und für die Polizeiarbeit

Das Problem: Es habe die Transparenz gefehlt, die Beschäftigten darüber zu informieren. "In der Regel gibt es nur einen Hinweis im Intranet dazu, darüber werden die Beschäftigten nicht ausreichend erreicht."

Hinzu kommen weitere Hürden, wie zum Beispiel die Angst, sich selbst der Strafvereitelung im Amt verdächtig zu machen, weil man zum Beispiel einen Missstand zu spät gemeldet haben könnte. Und die Sorge sei groß, intern von den Kollegen als "Nestbeschmutzer" stigmatisiert zu werden.

Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend, sagt Kuttler: "Sie passen sich dem System an, resignieren, sind frustriert, machen Dienst nach Vorschrift oder verlassen die Polizei komplett."

Logik der Strafverfolgung verhindert innere Fehlerkultur

Das sei nicht nur für die Betroffenen ein Problem, betont Studienautor Roman Thurn. Er beschreibt, dass auch bei der Polizei intern die Logik der äußeren Strafverfolgung zeige. "Polizist:innen sehen sich entweder selbst als Täter, denen also eine Strafverfolgung droht oder als Opfer." Aus dieser Logik heraus leite die Struktur der Polizei ab, dass dann ein Disziplinarverfahren folgen müsse. Es sei relativ schwierig zu implementieren, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, wie Mediationsprozesse. "Das ist ein organisatorisches und institutionelles Problem bei der Polizei." Damit vergebe sich die Behörde selbst die Chance, eine neue Fehlerkultur zu etablieren und aus Fehlern zu lernen.

Um das Whistleblowing zu erleichtern, empfiehlt die GFF, dass die Polizeibeamten besser über das Hinweisgeberschutzgesetz informiert werden, mit klaren Kommunikationsstrategien und der persönlichen Vorstellung von Ansprechpersonen in Aus- und Fortbildungen. Es sollte künftig außerdem einfacher und anonym möglich sein, Hinweise zu geben. Dafür müssten die Zuständigkeiten klarer benannt und die Führungshierarchien klar strukturell getrennt werden.

Kulturwandel bei Jüngeren

Die Informanten müssten besser geschützt werden - mit externen Aufsichtsstellen und anwaltlicher Unterstützung.

Doch es gebe auch einen positiven Ausblick, sagen die Studienautoren am Ende. Bei jüngeren Polizistinnen und Polizisten greife das Hinweisgeberschutzgesetz schon besser. Sie setzten sich stärker für Gleichstellung und bessere Arbeitsbedingungen ein. "Es gibt einen sehr leichten, feststellbaren Kulturwandel in der Polizei. Jüngere Polizisten legen sehr viel mehr Wert auf so etwas wie eine Work-Life-Balance oder legen mehr Wert darauf, dass Rassismus und Sexismus offen kritisiert wird", sagt Roman Thurn. Eine "beamtenmäßige" Identifikation mit dem Staat, mit der Behörde bröckle bei diesen jüngeren Polizeibeamten - und der Wille, Hinweise zu geben, um die Struktur zu verbessern, nehme zu.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.03.2025, 17:07 Uhr

15 Kommentare

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  1. 14.

    Ein unautorisierter Artikel! Beim ersten Satz hörte ich auf mit dem Lesen.

  2. 13.

    offensichtlich ja nicht, sonst hätten wir keine polizeigewalt, keine Korruption in der regierung, kein ausnutzen von Schlupflöchern in der Wirtschaft. ich kann nicht mal ihrer Argumentation folgen "sollte es nicht so sein dass.." JA, aber IST ES NICHT. Das hier ist kein Wunschkonzert, das nennt sich Realität

  3. 12.

    Ich deute den Beitrag, dass für einige fest steht, wer etwas falsch gemacht hat. Aussagen der Polizei, dass es sich um polizeiliches Handeln auf Grund bestimmtem Handelns einiger Aufzugteilnehmer handelte, spielt keine Rolle.

  4. 11.

    Sie können gerne die Realität verweigern und einfach G20, was ebenfalls totales Polizeiversagen war, als Grund dafür nennen, aber Polizeigewalt wird kaum aufgearbeitet, ebenso nimmt Repression europaweit gegen Demonstrierende zu, auch in Deutschland laut Amnesty uvm.

  5. 10.

    Ich sehe dieses Whistleblowing sehr skeptisch, nicht erst seit heute und nicht nur bei der Polizei. "Ortskräfte" der Bundeswehr sitzen seit 4 Jshren in Pakistan fest und warten auf den Flieger nach Deutschland. Tausende!
    Stasi-IMs nahmen sich das Leben, andere wurden aus den Rathauses entfernt, aber nur wenn sie zugegeben haben, dass sie für die Stasi aktiv waren. Die Lügner konnten bleiben und wurden oft erst enttarnt, wenn Bürger ihre Stasiakten anforderten und die Klarnamen wissen wollten. Bärbel Bohley sagte es kommt wieder, subtiler, aber es kommt wieder. Hatte sie Recht? Wozu braucht es Whistleblower im öffentlichen Dienst und in einer Demokratie? Ist der Demokrat nicht mehr fähig, seinem Kollegen persönlich mitzuteilen, dass sein Verhalten in der Sache X Mist war? Wohin geht die Reise, wenn der Whistleblower geschützt werden muss und wer kontrolliert den Wahrheitsgehalt? Ich möchte kein System zurück, das Denunzianten Tür und Tor öffnet.

  6. 9.

    Sehr gut, weil genau richtig. Lieber den eigenen Angestellten/Beamtin zum Fraß vorwerfen, als Gegafahr zu laufen, kritisiert zu werden.
    Wo bleibt die von der Angestellten/dem Beamten erwartete Loyalität bei deren Arbeitgebern!?

  7. 8.

    Ich kann diesen Artikel so nicht bestätigen. Sobald Vorwürfe gegen Beamte bekannt oder Vorgetragen werden reagiert "die Behörde" mit dem Holzhammer, was nicht gerade zum Vertrauen in übergeordnete Dienststellen beiträgt und man daher kein Vertrauen in diese Systene hat. Bereits mehrfach selber erlebt. Vorwürfe lösen sich in Luft auf oder platzen vor Gericht und die Kollegen werden nicht rehabilitiert. Weder durch die Behörde und erst recht nicht durch die Presse, die vorher natürlich ausführlich berichtet hat, von den bösen Polizisten. Traurig aber wahr. Sind dann "Einzelschicksale". Vorwürfe sind schnell erhoben und die Kollegen "abgeschossen". Fakten sind dann nebensächlich. Wie in der Politik und das Dank politischer Polizeiführung.
    PS: Mal sehen ob der Kommentar wieder nicht veröffentlicht wird.

  8. 6.

    Ungeachtet des Berichtes. Wer als Polizist auf eine Work-Life-Balance aus ist, hat den falschen Beruf gewählt. Die GFF kannte ich bisher nicht. Die Zusammensetzung und die Zusammenarbeit mit anderen NGOs halte ich für fragwürdig und vor diesem Hintergrund auch das Zurverfügungstellen jeglicher Informationen an diese Organisationen.

  9. 4.

    Sie sprechen der überflüssigen fewalt gegen Menschen durch den Staat das Wort? Auch dies ist zu verurteilen.

  10. 3.

    Ich teile die Sicht auf die Polizei in diesem Artikel nicht. Im Gegenteil, ich stelle eine zunehmende Entmenschlichung in gewissen gesellschaftlichen Milieus gegenüber Polizisten fest. Man vermittelt hier den Eindruck, als ob die Polizisten Raufbolde sind und die Gewalt bei Demonstrationen von ihnen ausgeht. Das Gegenteil dürfte wohl eher zutreffen. Man erinnere sich nur an die verstörenden Bilder beim G20- Gipfel in Hamburg. Wie sieht es denn mit Selbstreflexion in diesen Kreisen aus? Immer nur die Opferrolle einnehmen und die provozierenden Aktionen gegenüber der Polizei im Vorfeld ausblenden verfängt nicht mehr. Frauen nehmen in diesen Szenen oft einen radikalen, gewaltbereiten Part ein. Weshalb sollte man sie dann mit Samthandschuhen anfassen?

  11. 2.

    Jetzt bleiben wir aber bei der Polizei! Diese Kameradschaft und Geheimhaltung nervt!

  12. 1.

    Ein wichtiges Thema... Ich würde es auch interessant finden zu erfahren, wie es auch bei anderen Behörden mit dem Hinweisgeberschutz steht...

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