Interview | Archäologe Peter Schöneburg - "In der Baggerschaufel war beim Anheben ein Soldatenstiefel zu sehen"

Di. 22.04.25 | 06:18 Uhr
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Erdhügel in verschiedenen Farben sind im Tagebau Welzow-Süd aufgeschichtet. (imago-images/Blickwinkel)
Audio: Antenne Brandenburg | 16.04.2025 | O-Ton Peter Schöneburg | Bild: imago-images/Blickwinkel

Archäologe Peter Schöneburg gräbt dort, wo später in Tagebauen Kohle abgebaggert wird. In Welzow-Süd suchte er vor rund 20 Jahren nach dem zerstörten Dorf Klein Görigk - und fand die Leichen von Soldaten des Zweiten Weltkriegs.

rbb: Herr Schöneburg, warum genau wollten Sie 2004 in Welzow-Süd graben? Was haben Sie erwartet und was haben Sie gefunden?

Peter Schöneburg: Wir haben dort die devastierten Dörfer archäologisch untersucht. Es sind kleine Anlagen, aber die haben auch ihre eigene Entwicklung. Das ist sehr spannend, wann sie gegründet wurden mit einem Einzelhof und so weiter. Es ging uns in erster Linie um dieses Dorf. Wir wussten überhaupt nicht, dass dort auch Kriegstote zu erwarten sind. Das Dorf ist Kleingörig in der Niederlausitz, im Tagebau Welzow-Süd gelegen, inzwischen devastiert und überbaggert. Da ist nur noch ein großes Loch beziehungsweise der Tagebau schon wieder aufgefüllt.

Zur Person

Peter Schöneburg.(Quelle:rbb/S.Schiller)
rbb/S.Schiller

Peter Schöneburg ist verantwortlicher Archäologe der Arbeitsstelle Weißwasser des Landesamts für Archäologie Sachsen. Er organisiert die verschiedenen Ausgrabungsaktivitäten im Tagebauvorfeld und ist Kontaktperson des Energiekonzerns Leag, der die Tagebaue in der Lausitz betreibt.

Was haben Sie gehofft zu finden?

Wir haben gehofft, diese Struktur des Dorfes zu finden. Mit einem Dorfgraben, der dann zugeschüttet wurde, wie sich das Dorf weiterentwickelt hat, wie viele Einwohner und so weiter.

Und stattdessen sind Sie auf Überreste der berühmten Schlacht im "Kessel von Kausche" gestoßen.

Sie müssen sich vorstellen, im Prinzip haben Sie so ein Dorf, da ist aber sozusagen nur eine gerade Fläche. Dann macht man Prospektionsschnitte [schmale Gräben um archäologische Schichten sichtbar zu machen, Anm. d. Red.], um die Ausdehnung dieses Dorfes herauszubekommen. Und ich kann mich, als ob es gestern war, daran erinnern, wie der Bagger einen Schnitt aufgezogen hat und in der Baggerschaufel beim Anheben ein Soldatenstiefel zu sehen war, aus dem die Unterbeinknochen herausragten. Da haben wir natürlich sofort gestoppt und haben dann geguckt, wo kommen die Beine her, und haben dabei einen Schützengraben gefunden mit fünf toten Soldaten.

Wenn Sie als Archäologe dorthin gehen, nach etwas völlig anderem suchen und dann so etwas entdecken: Was geht da in Ihnen vor?

Das ist natürlich sehr berührend, weil man ja auch seine persönliche Geschichte hat. Hier haben gerade viele deutschen Familien auch Angehörige, Großväter und so weiter, die diesen Krieg noch leibhaftig erlebt haben. Und das hat auch eine Aktualität bis heute. Damals war es so, dass wir natürlich erstmal – das ist bei jedem Befund so – die Dinge freilegen. Und mit jedem Freilegen kommt mehr von diesem Angehörigen, von diesem Soldaten ans Tageslicht. Und man erfährt dann immer mehr, wie jemand umgekommen ist und so weiter. Sie sehen Verletzungen. Im Prinzip wie ein Geschichtsbuch – Sie müssen es nur lesen können – können Sie das aufblättern. Und können dann auch über die Erkennungsmarken den Namen rausbekommen und dann auch Angehörige informieren. Und die sind natürlich sehr froh, wenn sie wissen, wie ihre Angehörigen gestorben sind.

Was haben Sie dort vorgefunden?

Wir sind natürlich hellhörig geworden, haben uns auch mit dieser jüngsten Geschichte, diesen Kessel von Kausche befasst: Dass dort die Rote Armee bei ihrem Angriff auf Berlin im Prinzip auf schnellstem Wege nach Berlin kommen wollte, um die damalige Reichshauptstadt einzunehmen. Und dann sehr schnell auch durch diese Dörfer gezogen sind und da ohne Rücksicht auf Verluste vorangeschritten sind. Wir haben insgesamt dort 29 Soldaten ausgraben können - und zwar auch drei russische* Soldaten.

Also Sie müssen sich vorstellen, da ist man mit großem Tempo Richtung Berlin gezogen, hat die Dörfer eingenommen, hat Soldaten auch zurückgelassen, in dem Fall drei russische Soldaten. Und dann erfolgte aber ein Ausbruch aus Spremberg; das war eine große Stadt hier in der Lausitz, die als Festung ausgebaut war und eingekesselt wurde von der Roten Armee – und da erfolgte ein Ausbruch. Und diese Ausbruchstruppe ist dann wiederum durch dieses Dorf gezogen, dabei sind die drei russischen Soldaten ums Leben gekommen. Und die Leute, die wir dann da ausgraben, die deutschen Soldaten, das war im Prinzip die Nachhut. Man hat also den Rückraum gesichert und hat dann Soldaten zurückgelassen und dann kam wieder die Rote Armee hinterher. Und das kann man alles ablesen. Man kann also – wenn man das gut ausgräbt, gut recherchiert – diesen Verlauf des Krieges an einem speziellen Ort nachvollziehen.

Wir haben auch einen Soldaten mit seiner Uniform, mit Trillerpfeife, mit seinem Portemonnaie und seinem Ehering gefunden.

Peter Schöneburg, Archäologe

Sie haben gerade schon davon gesprochen, dass man, wenn man diese Gebeine, diese Stiefel, die Ausrüstung ausgräbt, Rückschlüsse darauf ziehen kann, was da passiert ist. Was haben Sie entdeckt?

Sie haben die Ausrüstungsgegenstände, die manchmal auch nicht eindeutig zuzuordnen sind. Man kann sich das sehr lebhaft vorstellen: Wenn die eigenen Stiefel kaputt waren, hat man von einem anderen die Stiefel genommen. Das muss dann gar kein deutscher Stiefel unbedingt gewesen sein, obwohl die sehr charakteristisch waren. Dadurch konnten wir auch immer einigermaßen bestimmen, um welche Nationalitätes sich gehandelt hat. Aber wir haben auch einen Soldaten mit seiner Uniform, mit Trillerpfeife, mit seinem Portemonnaie gefunden, mit seinem Ehering. Und dann kann man natürlich auch diese Familiengeschichte rekonstruieren. Man kann die Angehörigen informieren, die endlich wissen, wo der Vater in dem Fall bestattet wird und so weiter. Das ist sehr ergreifend und sehr traurig. Aber in irgendeiner Weise bekommt die Seele dann Ruhe. Man weiß dann, was am Ende passiert ist.

Wie haben die Angehörigen reagiert?

Also, es geht dann über die Kriegsgräberfürsorge. Wir sind ja nur die Bodendenkmalarchäologen vor Ort, die das dokumentieren nach allen Regeln der Kunst. Und natürlich ist das sehr ergreifend. In dem Fall war das Herr A. aus Berlin, der mit 39 dort zu Tode gekommen ist, der beim Frankreichfeldzug mitgemacht hat, der in Norwegen war. In seiner Brieftasche hat man Geld gefunden. Eine Kinokarte hatte er behalten. Er hatte eine Tochter und einen Sohn und die waren dann doch sehr ergriffen und haben sich auch bedankt bei der Kriegsgräberfürsorge für die Informationen. Und wussten dann endlich, wo das Grab ihres Vaters ist.

Konnten Sie Rückschlüsse darauf ziehen, wie schrecklich die Situation damals gewesen sein muss?

Na ja, da muss ich ein bisschen unterscheiden. Es ist natürlich so, dass ich die Dinge dann auch recherchiert und gelesen habe: Dass dann auf diesem Ausbruchsweg auch über Leichen rübergefahren wurde und so weiter. Das muss also grauenhaft gewesen sein. Aber wir haben zum Beispiel auch Informationen darüber, dass dann die Dorfbewohner wieder zurückkamen. Und wir finden dann eine Grabstelle, sage ich mal, oder verscharrte Soldaten, die dann aber bäuchlings in dem Graben drin liegen und noch ein Kabel unter den Armen hatten, was wir gefunden haben.

Es war sehr heiß in den Apriltagen 1945, und wenn da Leichen, auch Pferde und so weiter rumliegen, da setzt die Verwesung ein. Die Dorfbewohner haben ja direkt keine persönliche Beziehung zu diesen Leichen, zu diesen Körpern, die dort rumliegen. Und die wurden dann relativ schnell auch verscharrt. Das sieht man dann mit einem Kabel, da wurden die Leute dann einfach bäuchlings in Gruben reingezogen, Erde drüber und dann blieben sie so liegen, bis die Archäologen gekommen sind.

Glauben Sie, dass wir mittlerweile alle oder zumindest den Großteil der Toten des Zweiten Weltkrieges in diesem Bereich geborgen haben?

Ja, natürlich, der Tagebau ist durchgegangen, da gibt es keine Soldaten mehr. Aber wenn ich das übertrage auf archäologische Strukturen, ist es auch so, dass wir nie alles ausgraben werden. Sondern wir bemühen uns durch Prospektionsmaßnahmen, Oberflächenbegehungen und so weiter, natürlich die wichtigsten Befunde zu bekommen. Und wir kriegen ein viel umfangreicheres Bild über die Vergangenheit, über die Bronzezeit und so weiter. Aber natürlich wird man nie alle ausgraben und finden. Es gab sogar Berichte gerade beim Kessel von Kausche, dass da noch nach 40, 50 Jahren Leute beim Pilze suchen gefunden wurden, die im Buschwerk versteckt waren, wo man dann nur die skelettierten Leichen noch gefunden hat nach so vielen Jahren.

Es ist schon wichtig, dass die Leute eine entsprechende Ruhestätte finden, wo man dann auch trauern kann.

Peter Schöneburg, Archäologe

Kann man das archäologisch auch als "Erfolg" verbuchen, wenn man eigentlich nach etwas völlig anderem sucht, aber dann eben so ein Zeugnis der Zeitgeschichte findet?

Also, da habe ich auch persönlich meine Meinung ändern müssen. Wirklich alle Bodenfunde, die man findet, sind archäologisch interessante Funde. Ich erinnere nur an die Tunnel in Berlin, die Fluchttunnel zum Beispiel. Ich habe auch mal in Berlin eine Außenlage des KZ Oranienburg ausgegraben. Da finden Sie Löffel, da finden Sie persönliche Gegenstände von den dort inhaftierten Leuten und das ist sehr bewegend und das gehört zu unserer Geschichte dazu. Und man muss vielleicht sogar erinnern, das habe ich die Tage erst gehört, dass viele gar nicht mehr über den Zweiten Weltkrieg so Bescheid wissen und das ist aber ein sehr, sehr wichtiges Thema, gerade für uns als Deutsche, dass wir unsere Verantwortung in Zukunft auch wahrnehmen, dass man dort diese Bildung nicht so stiefmütterlich behandelt. Moral entsteht nicht aus freier Luft, sondern Moral entsteht nur durch Wissen.

Ist es sinnvoll, rund um Spremberg beziehungsweise in der Niederlausitz, weitere Grabungen anzustellen, um eben möglicherweise weitere Dinge ans Licht zu befördern?

Wir Archäologen sind immer der Meinung, wenn wir ausgraben, dann zerstören wir natürlich auch. Das, was wir nicht ausgraben müssen, kann auch im Boden bleiben. Das ist natürlich bei menschlichen Überresten ein bisschen was anderes. Ich hatte das ja erwähnt mit den Angehörigen, die Seele braucht auch irgendwie Ruhe, man braucht einen Ort zum Trauern. Man muss sich mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen und da ist es schon wichtig, dass die Leute eine entsprechende Ruhestätte finden, wo man dann auch trauern kann.

Sie waren bei den Ausgrabungen dort nie alleine.

Ja, genau. Es war natürlich bekannt, dass dort ein großes Kampfgebiet im zweiten Weltkrieg war und es ist auch gefährlich, wenn wir dort graben. Man kann auch nicht immer sicherstellen, dass im Vorhinein alles gefunden wird und da war immer ein Kollege von der Kampfmittelberäumung zugegen bei den gesamten Grabungsarbeiten.

Hätte es auch kritische Situationen geben können?

Na ja, ein Bagger hat auch eine Granate angekratzt, die nicht gefunden wurde vorher. Also es hätte auch ins Auge gehen können.

Vielen Dank, Herr Schöneburg.

Das Gespräch führte Sebastian Schiller. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung des Interviews.

* "Russische Soldaten" ist eine nicht sachgemäße Verkürzung für Angehörige der Roten Armee. In der sowjetischen Armee kämpften neben Russen auch Ukrainer und belarussische Soldaten sowie Angehörige von kaukasischen, zentralasiatischen und baltischen Völkern.

Sendung: Antenne Brandenburg, 16.04.2025, 15:00 Uhr

2 Kommentare

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  1. 2.

    Der Beitrag an sich greift ein wichtiges Thema auf und ist sehr interessant.
    Allerdings dieser Eiertanz um die vermeintlich richtige Formulierung ist peinlich
    > * "Russische Soldaten" ist eine nicht sachgemäße Verkürzung für Angehörige der Roten Armee. In der sowjetischen Armee kämpften neben Russen auch Ukrainer und belarussische Soldaten sowie Angehörige von kaukasischen, zentralasiatischen und baltischen Völkern.
    Damit haben Sie vermutlich Angehörige der sibirischen Völker bzw. aller nicht zentral-asiatischen Völker Asiens unterschlagen, die es sicher auch gegeben hat. Außerdem fehlen noch einige kleine Völker, die in autonomen Gebieten im europäischen Teil Russlands leben. Viel einfacher (und präziser) wäre "sowjetisch" gewesen. Glauben Sie möglicherweise, dass heute keiner mehr mit sowjetisch etwas anfangen kann? Oder ist der Begriff nicht opportun?

  2. 1.

    Vielen Dank an das Team, das die Ausgrabung vollzog.
    Nunmehr habe die Angehörigen Gewissheit, was geschehen ist. Und die Seele findet Ruhe.
    Es ist gut zu sehen, zu lesen, wie das Team mit Nähe und Distanz umgeht. Wie die Angehörigen informiert werden.
    Wollen wir hoffen, dass unsere Kinder und Enkelkinder diesen Horror nicht erleben müssen.

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