Interview | Streit beim Oster-Essen - Darum eskalieren Debatten am Familientisch gerade besonders oft

Do. 17.04.25 | 06:31 Uhr
  41
Symbolbild:Zerbrochener Schoko-Osterhase auf einem Tisch.(Quelle:imago images/C.Ohde)
Audio: Radioeins | 19.04.2025 | Stephan Karkowsky | Bild: imago images/C.Ohde

Nein, es kommt uns nicht nur so vor, als geräte man am Familientisch leichter in Streit als zuvor. Der Psychologe Philipp Yorck Herzberg sagt, die Polarisierung in der Gesellschaft sei derzeit besonders stark - und deshalb auch das Konfliktpotenzial.

rbb|24: Herr Herzberg, an Ostern sitzen viele mit ihren Verwandten am Essenstisch. Wenn dann Onkel Dieter AfD-Phrasen von sich gibt – aber auch, wenn Finja (she/her) der Oma erklärt, dass der Kartoffelsalat zwar vegetarisch, aber leider nicht vegan ist - kommt es fast zwangsläufig zu Konflikten. Gab es derlei Kontroversen immer?

Philipp Yorck Herzberg: Ich war vor ein paar Wochen mit der Philosophin Svenja Flaßpöhler, die ein Buch über das Streiten geschrieben hat, auf einer Podiumsdiskussion. Wir haben darüber gesprochen, dass solche extremen Wellen immer mal wieder gibt. Das mag in der 68er Generation mit ihren Nachkriegseltern auch so gewesen sein. Dann folgen meist ruhigere Zeiten. Und ja, im Moment haben wir eine starke Polarisierung in der Gesellschaft. Deswegen ist das Konfliktpotenzial sehr hoch. Und die Menschen, die sich als wahnsinnig tolerant bezeichnen, sind es oft gar nicht. Die Toleranz ist deutlich eingeschränkt und die Bereitschaft zuzuhören scheint auch abhandengekommen zu sein. Es gibt also immer wieder solche Wellen, und wir befinden uns in dieser gerade auf dem Peak.

Zur Person

herzberg (Quelle: privat)
privat

Psychologe - Philipp Yorck Herzberg

Philipp Yorck Herzberg (*1966 in Berlin) ist Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er forscht zu Persönlichkeit, Partnerschaft, Optimismus, Gesundheit und insbesondere zur Konfliktforschung.

Welche Themen polarisieren in Familien besonders?

Politische Differenzen werden sehr stark überzeichnet. Und da muss man etwas aufpassen. Der Journalist Ulf Poschardt hat neulich ziemlich vom Leder gezogen zum Thema "Shitbürgertum". Daran ist vieles richtig, denn die vermeintliche moralische Überlegenheit der linken Seite in den derzeitigen Debatten ist nicht gerechtfertigt. Beide Seiten haben Recht und Unrecht in gewissen Teilen. Und beide lassen Fakten unter den Tisch fallen und überbetonen andere. Rechts, im Sinne von konservativ, ist politisch gesehen genauso legitim wie Links, im Sinne von progressiv. Und die Extreme sind auf beiden Seiten verkehrt. Aber diese Diskussionen werden nicht mehr sachlich geführt, und es wird sich nicht mehr zugehört. Daher gehen Eskalationen auch quer durch Familien.

Sind solche familiären Eskalationen schmerzhafter als die im Freundeskreis oder auf der Arbeit?

Ja, natürlich. Je näher einem jemand steht, umso schmerzhafter ist es. Es sollte auch schmerzhafter sein, weil die Bindungen enger sind. Es kann sich um eine Kaskade handeln - beispielsweise, wenn jemand schon woanders schmerzhafte Erfahrungen der Ausgrenzung oder des Nicht-verstanden-seins gemacht hat. Dann kann das in anderem Umfeld auch schnell schmerzhaft sein, weil es zuvor schon passiert ist.

Fällt es uns bei nahestehenden Familienmitgliedern grundsätzlich schwer, anderes Denken zuzulassen?

Das hängt von der Beziehung der Personen ab. Wenn uns eine Person nicht ganz so wichtig ist, können wir vielleicht auch mal Fünfe gerade sein lassen. Handelt es sich um den Partner, ist die Enttäuschung schnell besonders groß.

Niemand muss sich Standpunkte anhören, in denen man beschimpft wird oder andere beleidigt werden

Philipp Yorck Herzberg

Sind diese Streitereien am Tisch eigentlich wirklich politische Debatten - oder doch eher Machtkämpfe zwischen den Generationen?

In politischen Debatten gehtes um die Deutungsmacht. Und zur Zeit gibt es einander gegenüberstehende Deutungshoheiten, die sehr vehement sind. Ein Beispiel: 2021 sagte der Physiker Roland Wiesendanger, der Corona-Ursprung stamme aus einem Labor. Er ist von dem Virologen Christian Drosten extrem angefeindet worden. Doch die offizielle Lesart ist inzwischen, dass es durchaus ein Laborunfall war. Drosten war sehr unsachlich und es wurde zu einer persönlichen Fehde. Und das ist in vielen Bereichen so hinsichtlich angeblich eindeutiger Meinungen. Doch es gibt nicht nur schwarz und weiß. Wenn man einen anderen also vehement runtermacht mit seinen Argumenten, ist das oft eine Machtfrage und keine gut durchdachte Argumentationslinie.

Man kann vom andern eigentlich immer auch lernen. Man kann zuhören und fragen, warum er oder sie das so sieht und welche Aspekte es gibt. Aber genau das - einzugestehen, dass man nicht dieselbe Meinung hat, die des anderen aber respektiert - scheint verloren gegangen zu sein. Bei vielen heftigen Reaktionen handelt es sich psychodynamisch gesehen um Übertragungen. In der Psychologie sagt man, das sind abgespaltene Teile von sich selbst, die man an sich nicht wahrhaben will. Weil man moralisch der Gute sein will.

Was kann man jetzt tun, wenn schon vorher klar ist, dass es Ostern wieder rappelt? Ist es überhaupt sinnvoll, solche Diskussionen am Familientisch zu führen oder sollte man sie lieber vermeiden?

Vermeidung ist keine gute Strategie. Es ist aber sicherlich auch nicht gut, die Situation an einem Festtag eskalieren zu lassen. Man kann vorher Regeln aufstellen. Man könnte kritische Themen benennen und ausklammern - wenn das gewünscht ist. Aber darüber muss man sprechen. Man kann sich auch darauf einigen, diese Themen beispielsweise nicht am Essenstisch zu besprechen, sondern sich hinterher zurückzuziehen mit einer Tasse Kaffee und dann für eine bestimmte Zeit darüber zu sprechen. Aber in einem bestimmten Rahmen. Also ohne, dass man sich beleidigt, beispielsweise. Das klingt konstruiert, aber es kann funktionieren.

Und wenn man dann eben hinterher über kritische Themen spricht: Wie kann man ruhig und souverän bleiben - auch wenn ein Familienmitglied schlimme sexistische oder diskriminierende Aussagen macht?

Man könnte vorher vereinbaren, immer eine wertschätzende Sprache zu benutzen und auf der Sachebene zu bleiben. Mit provozierenden Begriffen geht man auf die Beziehungsebene und trifft und verletzt den anderen. Eine vernünftige Sprache ist die Grundlage, um auf der Sachebene weiterzukommen und sich die Standpunkte des anderen überhaupt anhören. Niemand muss sich Standpunkte anhören, in denen man beschimpft wird oder andere beleidigt werden.

Und wenn es doch passiert?

Dann sollte derjenige die Größe haben sich zu entschuldigen und vielleicht einräumen, dass er oder sie sich Luft machen wollte und es nicht so gemeint hat. Dann kann man eine Auszeit nehmen, durchatmen und dann weitersprechen. Aber der Rahmen, dass das funktioniert, ist der Wille und die innere Bereitschaft der Beteiligten, weiterkommen und den Konflikt lösen zu wollen. Manchmal kann man einen Konflikt auch nicht sofort lösen.

Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Konflikte selbst am Familien-Esstisch immer häufiger und heftiger werden?

Dass die Gesellschaft absolut polarisiert ist. Das sieht man auch daran, dass all das, was wir früher als Mitte bezeichnet haben, marginalisiert ist. Die Ränder sind gestärkt. Das ist immer ein Zeichen dafür, dass es eine extreme Spannung in der Gesellschaft gibt. Der Zulauf an den Rändern zeigt, dass die politische Mitte nicht mehr gehört wird. Das kann man dann auch auf die Familienebene übertragen. Sachliche Meinungen werden belächelt, viele Sachverhalte gelten als viel zu kompliziert. Da geht es auch um Ohnmacht, weil Extreme oftmals eine absolute Vereinfachung sind. Doch die Welt ist vielschichtig. Es gibt keine simplen Antworten auf komplexe Fragen.

Gibt es Auswege aus dieser Dauerspannung - oder bleibt das jetzt einfach so?

Ich kann dazu nur sagen, dass man wieder anfangen sollte, einander zuzuhören. Ich habe den Eindruck, dass immerhin die Medien, die eine Zeitlang sehr stark polarisiert haben, jetzt auch anfangen, wieder etwas ausgewogener zu berichten. Extreme schaden der Gesellschaft - und sie schaden den Menschen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Radioeins, 19.04.2025, 11:10 Uhr

41 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 41.
    Antwort auf [mensch maier] vom 18.04.2025 um 19:39

    Meine "Mitläufer" sind seit vielen jahrzehnten SPD-Wähler, wobei die meisten heute noch Mitglieder dieser Partei sind, einige aktiv,

  2. 40.

    Also, eine ausgewogene Argumentation, die lässt eine Komlexität der pro und wider Argumente zu, und dies bewirkt das Gegeteil von spalten der Gesellschaft.
    So gesehen. sind auch die ÖR nicht mehr die Experten in Sachen einer ausgewogener Argumentation, leider.

  3. 39.

    Der Text enthält ein paar zaghafte Vorschläge, wie z. B. nett miteinander zu diskutieren. Nach meiner Erfahrung geht das dann aber schnell schief. Erst wird man belächelt, weil man angeblich leichtgläugib die MSM verfolgt, während die andere Seite jede Fakenews aus dem Internet glaubt. Am Ende wird von Thema zu Thema gesprungen und es folgt Wut, wenn man argumentativ dagegen hält.

    Da braucht es schon bessere Vorschläge.

    Vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet Flaßpöhler und Poschardt als Leumundszeugen auftauchen. Die sind nun wirklich keine Experten in Sachen ausgewogener Argumentation und einander Zuhören, sondern spalten mit ihren Beiträgen. Und dem Herrn Wiesendanger mussten sogar Teile seiner Behauptungen gerichtlich verboten werden, so daneben waren die.

    Herr Yorck Herzberg sollte sich überlegen, wie er auf solche Leute reinfallen konnte.

  4. 37.

    Geht mir ähnlich. Freu' mich auf Sonntag Abend. Da ist der Stress vorbei. Ostermontag hab' ich Ruhe.

  5. 36.

    Aber manchmal erträgt man diese familiären Zusammenrottungen nur mit Alkohol.:-)

  6. 35.

    Wer pauschal so denkt, der hat bereits im Vorfeld den passenden Grundstein für diese vermeintliche "Hölle" gelegt, er verhällt sich entsprechend, und hofft nicht entäuscht zu werden.

    In der Regel ist den Menschen die eigene Familie sehr wichtig, aber wie immer, die Ausnahme bestätigt die Regel.

  7. 34.

    Danke für diesen Kommentar. Wer etwas entscheidet muss auch die Konsequenzen tragen. Nicht drüber reden wollen ist dann eher ein Ausdruck von intellektueller Schwäche, da in den meisten Fällen eh nix kommen würde.

    Verstehe alle, die gewissen Landstriche meiden.

    Wer das Eine nicht will, ok. Dann muss man aber auch ohne das Andere auskommen.

  8. 33.

    Eben, sich vereinahmen zu lassen, das ist ein zu hoher Preis, für einen freiheitsliebenden Menschen, der angeblich in einer freien Gesellschaft lebt.

    Bei einer Türkei - Reise wird vor politischen Diskussionen gewarnt, aber so weit ist doch Deutschaland noch nicht!

  9. 32.

    Ja eben, und das gelingt am besten, wenn sich die Familienmitglieder jenseits ideologischer Blasen "bewegen" .

  10. 31.

    Familie ist die Hölle, wenn man sie richtig kennenlernt.

  11. 30.

    „Man kann vorher Regeln aufstellen. Man könnte kritische Themen benennen und ausklammern - wenn das gewünscht ist. […] Das klingt konstruiert, aber es kann funktionieren“

    Ich kann mir vorstellen, dass der Herr Herzberg von überwiegend rational argumentierenden Menschen umgeben ist. Vielleicht beschäftigt er sich weniger mit Menschen, die bösartig argumentieren, um anderen größtmöglichen Schaden zuzufügen. Die Einschätzung, der Peak wäre erreicht, halte ich für naiv. Wenn Menschen Nazi-Müll von sich geben, dann kann es dem gegenüber auch keine Toleranz geben. Das ist seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hart erkämpfter Konsens. Im familieren Kontext bedeutet das „Böses Blut“, übergroße Enttäuschung und oft gnadenlose Stille. Was uns damit bevorsteht? Wieder mehrere Generationen, erfüllt von krankmachender Konfliktbewältigung, oder aber angstvolle Realitätsverweigerung.

  12. 29.

    Ich mach mir da keine Sorgen. Habe gestern den Wagen gewaschen und heut eine Playstation ausgeliehen, um jetze 3 Tage durch zu zocken ohne Streß. Das ist viel schöner als sich draußen zu drängeln.

  13. 28.

    Was ist schon links? Jesus war der Erste Linke. Auch Zappa war im Grunde seines Hernzens links! Bin selbst Zappafreak.

  14. 26.

    Mit der Musik der Scherben aufgewachsen? Wir sind mit Frank Zappa aufgewachsen ("Politik ist die Unterhaltungsabteilung der Wirtschaft") der Uns gelehrt hat, nicht nur an Ostern, sondern generell den Propagandisten von Links und Rechts zu misstrauen. P.S. schon Ende der Sechziger Jahre hatte Zappa es abgelehnt, beim Konzert in Westberlin sich von Linken Studenten vereinnahmen zu lassen.

  15. 25.

    Für Sie auch schöne Ostern! Ich muss auch arbeiten, Morgen bis Dienstag Spätdienst. Gibt schöne Zuschläge die Feiertagsarbeit. Von daher, gut zu verkraften.

  16. 23.

    Das Ausklammern von gewissen Themen mag in einer Situation unmittelbar hilfreich sein. Aber langfristig bedeutet es, dass man Zeit mit Personen verbringt, deren Werte - gelinde gesagt - abweichen. Das bedeutet letztlich vergeudete Lebenszeit.

    Selbstverständlich muss jede Person für sich selbst entscheiden, was akzeptabel ist, und was nicht.

    Die AFD ist eine rechtsradikale Partei, die zudem - wie auch der BSW - russlandfreundliche Positionen und Interessen vertritt. Wer die AFD, oder auch den BSW wählt weiß absolut wofür diese stehen.
    Z.B. "Frieden" zu propagieren bedeutet nichts anderes als Russlands "Interessen" unter dem Deckmantel von "Moral" zu vertreten.

    Ich nehme für mich in Anspruch jemanden "erziehen" zu wollen, ich entscheide mich aber dagegen, mit Menschen mit dieser Einstelling mehr Zeit als nur absolut nötig zu verbringen.

    Alkohol ist ganz sicher auch ein geographisches Merkmal.

  17. 22.

    Ich gehe mal wieder arbeiten und werde versuchen euch mit der BVG halbwegs pünktlich von A nach B zu befördern. Allen Usern hier und der Redaktion wünsche ich ein schönes Osterfest, ohne politische oder andere Grundsatzdiskussionen mit der Familie. :-)

Nächster Artikel