"Geisterhaus" in Berlin-Friedenau - Wie eine Nachbarschaftsinitiative gegen den Leerstand kämpft – und am Bezirk scheitert

Sa. 10.05.25 | 11:53 Uhr | Von Wolf Siebert
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Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.05.2025 | Wolf Siebert | Bild: rbb

Seit Jahren kämpft eine Nachbarschaftsinitiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. Denn das Zögern der Verwaltung ist frustrierend. Von Wolf Siebert

Es ist der 1. Mai, der Arbeiterkampftag. Während andere feiern, schreiten die Aktivist:innen der Nachbarschaftsinitiative Friedenau zur Tat. Mit festem Schuhwerk, Vierkantschlüssel, Zange und Personalausweis ausgerüstet, betreten sie das seit Jahren leerstehende Mietshaus an der Kreuzung Odenwald Ecke Stubenrauchstraße. Legal ist das nicht, aber hier ist keine linke Truppe junger Aktivisten am Werk, sondern eine bürgerliche Rentner:innen-Gruppe.

Durch den Keller geht es ins Treppenhaus, das schon lange kein Geländer mehr hat und dann auf die Balkone der 16 Wohnungen: Schon nach wenigen Minuten sind die ersten Transparente angebracht mit Slogans wie "Eigentum verpflichtet, hier wird es vernichtet". Oder: "Instandbesetzen wird bestraft, kaputt besitzen wird geduldet."

Die 81-jährige Mary, einst Psychoanalytikerin, hat die Slogans entworfen, darunter auch: "Abriss droht". "Viele Leute sagen, das ist das schönste Haus von Friedenau. Wir möchten es unbedingt retten – damit hier ein sinnvolles Projekt entsteht", begründet sie die Aktion.

Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)
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Leerstand seit 2007 - mehr als 200.000 Euro Bußgelder

Seit 2007 steht das Jugendstilhaus leer. Die Eigentümerin, eine ältere Dame, lässt es verfallen. Auch wenn ihr dadurch Mieteinnahmen entgehen. Das Dach ist undicht, und viele Fenster sind eingeschlagen. Dabei ist ein Leerstand ohne Genehmigung seit 2014 illegal.

Die Nachbarschaftsinitiative kämpft seit neun Jahren für eine Sanierung und eine soziale Nutzung des Hauses: mit Anfragen in der Bezirksverordnetenversammlung, Gesprächen mit Politiker:innen, Postkartenaktionen und Kundgebungen. Dass sie sich mit dieser Aktion strafbar machen, nehmen sie in Kauf: "Wir wurden von einer Gruppe junger feministischer Jurastudent:innen informiert, was alles auf uns zukommen könnte, wenn wir uns hier straffällig machen. Wir fühlen uns auch gar nicht schuldig. Wir fühlen uns konstruktiv."

Ingrid Schipper, eine 77-jährige pensionierte Lehrerin, ist das Sprachrohr der Initiative. Sie hat Sorge, dass ihr Engagement in den Mühlen von Verwaltung, Bezirkspolitik und Gerichten zerrieben wird. "Der Senat sagt, wir stehen dahinter, wir machen es noch. Aber der Bezirk arbeitet nicht mit, kann auch nicht gezwungen werden" - obwohl die Initiative ständig Druck ausübe. Dabei war das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in all den Jahren nicht untätig. Schon 2015 wurde die Eigentümerin aufgefordert, das Haus wieder bewohnbar zu machen. Mehr als 200.000 Euro Zwangs- und Bußgelder wurden verhängt. Gegen die Maßnahmen des Bezirksamts zog die Eigentümerin vor Gericht. Jahrelang ging deshalb nichts voran.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es der Verwaltung sehr viel Arbeit macht, ein "Geisterhaus" wieder als Wohnhaus nutzbar zu machen. Das räumt man im Bezirksamt hinter geschlossenen Türen in Hintergrundgesprächen ein. Und hat deswegen andere Prioritäten gesetzt.

Hoffnung durch das Pilotprojekt "Treuhänder"

Ende 2022 schien sich endlich etwas zu bewegen. Christian Gaebler (SPD), damals noch Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, initiierte das Pilotprojekt "Treuhänder". Drei leerstehende Häuser - darunter das in Friedenau - sollten im Auftrag der Bezirke von einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft treuhänderisch saniert werden. Der Senat versprach, alle Kosten zu erstatten, auch von möglichen Rechtsstreitigkeiten.

Christian Gaebler betrat damals juristisches Neuland, doch sein Ziel war klar: "Es soll schon das Zeichen ausgehen, dass der Staat sich nicht von Eigentümern an der Nase herumführen lässt. Mit den Pilotprojekten wolle man Sicherheit gewinnen, auch für mögliche spätere juristische Auseinandersetzungen", so Gaebler damals.

Seit Jahren kämpft eine Nachbarschafts-Initiative in Berlin-Friedenau gegen Leerstand und Verfall eines Jugendstilhauses. Sie setzt auf Transparente, Politik – und zivilen Ungehorsam. (Quelle: rbb)

Ein Vorzeigeprojekt – das keines wurde

Die Nachbarschaftsinitiative Friedenau hatte recherchiert, dass mindestens 80 Häuser in Berlin vollständig leer stehen. Der Zensus 2022 zählte zudem 40.500 Wohnungen, die dauerhaft unbewohnt waren. Doch bis heute ist in keinem der drei Bezirke ein Treuhänder eingesetzt worden. Die Verwaltungen äußern rechtliche Bedenken, sehen noch offene Fragen. Im Fall Friedenau denkt der Bezirk inzwischen darüber nach, das Haus in Eigenregie sanieren zu lassen – was die Eigentümerin jedoch weiterhin blockieren könnte.

Möglich wäre dann eine Zwangsversteigerung. Doch genau davor fürchtet sich die Initiative: Ein neuer Eigentümer könnte das Haus abreißen und teure Eigentumswohnungen bauen.

Im März dieses Jahres hatte sich die Nachbarschaftsinitiative zur 109. Teamsitzung getroffen – neun Frauen, drei Männer, ein langer Tisch. Tee, Nüsse, Süßigkeiten – und viel Frust. "Der Bezirk hält uns hin", sagt Mary. "Er hofft auf eine natürliche Lösung – sprich: eine Zwangsversteigerung, fürchte ich." Die Angst vor dem Abriss ist groß. Und die Hoffnung auf den Treuhänder schwindet.

Auch Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler ist empört. Zweieinhalb Jahre ist das Pilotprojekt nun alt, und noch immer ist nichts geschehen. Der Sozialdemokrat wirft den Bezirken Blockadehaltung vor. "Eine Verwaltung muss Gesetze umsetzen und kann sich nicht aussuchen, ob sie es machen will oder nicht." Immer neue Vorwände zu finden, sei kein gutes Verwaltungshandeln. "Da verstehe ich jeden Bürger, der sagt: Was soll denn diese Absurdität?"

Gaebler will sich jetzt noch einmal mit Vertretern der drei Bezirke treffen. Sollte das Treuhänder-Modell weiterhin blockiert werden, will er das Pilotprojekt beenden. Am verwitterten Geisterhaus in Friedenau hängt ein Baustellenschild, aber gebaut wird nicht. "Wir dachten immer, wir sind sozusagen die Vorfront – Leuchtturm, Blaupause oder Pilotprojekt. Und all das hat uns glauben gemacht, dass man da ein Vorzeigeobjekt draus machen kann, um anderen Leerstand zu beeinflussen", sagt Ingrid Schipper. Trotz aller Enttäuschungen glaubt sie, dass sich zivilgesellschaftliches Engagement lohnen kann. "Wir wollen dieses Haus retten und natürlich auch den Leerstand in anderen Problem-Immobilien beseitigen."

Politik und Verwaltung haben die Instrumente, gegen den Leerstand vorzugehen. Sie müssten sie nur konsequent anwenden. Manchmal muss man dafür auch ein Risiko eingehen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.05.2025, 9:45 Uhr

Wie funktioniert das Treuhand-Modell?

Das Gesetz, das Leerstand (= Zweckentfremdung) regelt, gilt in Berlin seit 2014. Es soll Wohnungen vor Leerstand, Abriss und der Umwandlung in Gewerberaum und Ferienwohnungen schützen. Seit 2018 gibt es zudem für die Bezirke die Möglichkeit, Treuhänder einzusetzen. Vereinfacht gesagt, handelt es sich beim Treuhandmodell um eine vorübergehende Enteignung. Kommt ein Eigentümer der Aufforderung des Bezirksamts, Wohnräume wieder bewohnbar zu machen, nicht nach, kann das Bezirksamt einen Treuhänder einsetzen, etwa eine Wohnungsbaugesellschaft, einen Rechtsanwalt oder eine gemeinnützige GmbH.
Dieser Treuhänder handelt dann anstelle des Eigentümers: Er beauftragt Handwerker, gegebenenfalls Architekten, verwaltet das Grundstück – um die Wohnungen wieder fit für die Vermietung zu machen. Alle Rechnungen muss der Treuhänder dem Eigentümer und dem Bezirksamt vorlegen. Bezahlt der Eigentümer diese Rechnungen nicht in einer noch festzulegenden Frist, kann das Bezirksamt in Vorleistung gehen. Sobald die Wohnungen saniert sind, endet die Funktion des Treuhänders.

Beitrag von Wolf Siebert

110 Kommentare

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  1. 110.

    Kein Mieter ist gezwungen, bei einem privaten Vermieter einen Mietvertrag zu unterschreiben.

    Einerseits hakt man auf uns privaten Vermietern rum und anderseits möchte man unser Eigentum mieten.

    Da aktuell alle Baukosten und auch Bewirtschaftungs- und Verwaltungskosten extrem steigen, müssen natürlich auch die Mieten in gleichem Maße angepasst werden

    Die nächste Erhöhung kommt mit der Erhöhung des Mindestlohns.

  2. 108.

    Die übliche Märchenstunde gieriger Spekulanten. Schon soo oft gehört, nur wird davon nicht wahrer.

  3. 107.

    Im Grunde müßte aber doch viel entschlossener gegen die ungerechtfertigten Mieterhöhungen vorgegangen werden! Wohnen muß schließlich jeder und man kann den Vermietern nicht einfach ein Vorecht einräumen, die haben sich auch an Gesetz und Ordnung und ans Eigentumsrecht zu halten, sind also verpflichtet, ihr Eigentum für das Soziale der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

  4. 106.

    Wenn ich eine Miete kalkuliere, ist sind allein meine Kosten ausschlaggebend. Wenn eine Vermietung nicht rentabel ist, vermiete ich entweder möbliert oder als Gewerbe.

    Oder die Immobilie bleibt leer und der Verlust wird steuerlich geltend gemacht

    Gerade für kleine Vermieter gibt's Ausnahmen von der Mietpreisbremse und dem Mietspiegel.

    Zumal der Mietspiegel auch viele wohnwerterhöhende Punkte kennt

    Durch Mietpreisbremse wird es immer weniger Mietwohnungen geben

  5. 105.

    Solange Mieter quasi alle Rechte haben, der Vermieter vor Gericht immer der Dumme ist und sich alles gefallen lassen muss, ausstehende Zahlungen, Zerstörung seines Eigentums etc. ist es doch klar, dass sich eine "alte Dame" dieses Risiko und den absehbaren Ärger nicht mehr antut und das Haus eben leer stehen lässt.

  6. 104.

    Sie weichen immer noch aus und lamentieren herum. Der Fall Gijora P. ist gut dokumentiert und es gibt Tausende solcher Spekulanten und zeigt exemplarisch mit welcher kriminellen Energie diese vorgehen.

    Sie sind es der hier unbelegbare Behauptungen aufgestellt hat. Kurzes Gedächtnis? Ihnen kann geholfen werden.

    "An vielen Kommentaren kann man doch sehr deutlich erkennen, wieviel Unkenntnis doch im Spiel ist. "

    Meine Frage haben sie immer noch nicht beantwortet: Welcher private Vermieter baut denn?

  7. 103.

    So weit ich mich erinnern kann, hat eine große Wohnungsbau AG mit Hilfe einer Tochterfirma, die Nebenkosten einfach mal verdoppelt. Bei sowas klicken nicht einmal sofort die Handschellen. Alle haben offensichtlich die Möglichkeit, die Grenzen ungestraft auszutesten und setzen somit auch eigentlich korrekte Vermieter psychisch unter Druck dies auch zu tun. Es ist ein Wunder, daß es noch korrekte Vermieter gibt, die langfristig denken. Klare Grenzen sind da angesagt.

  8. 102.

    Da mischen sie jetzt aber ganz viel durcheinander.
    Es geht um den Grundsatz Artikel 14…. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

  9. 101.
    Antwort auf [Graumann] vom 11.05.2025 um 18:07

    Ist Ihnen entgangen, daß die Mehrheit unserer Rentner, Armutsrentner sind. Also lassen Sie Ihre Falschbehauptungen.

  10. 100.

    Das ist ein gängige Praxis, wenn einem die Argumente ausgegangen sind: alles Suggestivfragen!

  11. 99.

    Das ist einer von wie vielen Spekulanten ? Sie malen hier Horror-Szenarien an die Wand, die Einzelfälle betreffen. So wie Sie formulieren, besteht die ganze Branche nur aus Spekulanten. Sie sollten mal von der Überzeichnung des eigentlichen Sachverhaltes abrücken, und nicht nach Antworten fragen, die Sie eigentlich beantworten sollten und müssten. Ich darf daran erinnern, dass Sie das Thema aufgemacht haben !

  12. 98.
    Antwort auf [Graumann] vom 11.05.2025 um 18:07

    Ähnliches habe ich schon öfter Kommentiert. Es gibt immer noch viel zu viel Fehlbelegung, durch Anreize, wie Umzugshilfen und staatlichen Sammelstellen Rechtssicherheit und Mißbrauchsschutz gewährleisten und Steuern (Steuern heißen so, weil sie steuern sollen)kann kurz und mittelfristig, günstig, vviel Druck aus dem Kessel genommen werden.

  13. 97.

    Tja, die Zahlen sprechen insbesondere in Deutschland für sich,
    da hierzulande pflegt man seit Jahrzehnten die gewollte Abhängigkeit von privaten Vermietern, und die Politik, die ist leider vor ca, 20 Jahren auf die selbe "Schiene" abgebogen.

  14. 96.

    Wer lamentiert denn hier? Sie beantworten mir noch immer nicht meine Frage. Sie weichen aus.

    Einer der schlimmsten Spekulanten ist u.a. Gijora P. In seiner Reihe „Schattenwelten“ erstellte der rbb die Dokumentation „Ausgebeutet – Mieter in Berlin“ über Vorgänge in den Häusern des Immobilieneigentümers Gijora P.

  15. 95.

    Sie würden mit Sicherheit die Wohnungen leer stehen lassen. Schade, dass Sie nichts zum Vermieten haben. Lassen Sie doch mal zu Ihren Behauptungen Zahlen folgen, anstatt hier herum zu lamentieren. Wie viele Spekulanten gibt es aktuell hier in dieser Stadt ? Sind 50.000 zu knapp angesetzt und von welchen Summen sprechen Sie ? Wieviel Wohnungen hat der Senat und diese Stadt nicht gebaut ?

  16. 94.

    Sie würden mit Sicherheit die Wohnungen leer stehen lassen. Schade, dass Sie nichts zum Vermieten haben. Lassen Sie doch mal zu Ihren Behauptungen Zahlen folgen, anstatt hier herum zu lamentieren. Wie viele Spekulanten gibt es aktuell hier in dieser Stadt ? Sind 50.000 zu knapp angesetzt und von welchen Summen sprechen Sie ? Wieviel Wohnungen hat der Senat und diese Stadt nicht gebaut ?

  17. 93.

    AirBnB und andere profitträchtige Möglichkeiten die Gesetze fast sanktionsfrei , mit großen Zusatzgewinnaussichten, schon fast obszön fordernd, zu brechen oder zu umgehen sorgen dafür, daß viele Vermieter so handeln. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern mit wesentlich Eigentümerfreundlicheren Gesetzen. Der "Markt" reagiert mit steigenden Boden und Altimmobilien Preisen. Auf dieser neuen Basis wird kalkuliert. Ein ewiges exponentielles Wachstum, über der Lohnentwicklung kann nicht auf Dauer gut gehen. Irgendwann

  18. 92.

    "Betrifft in Berlin fast 800.000 Wohnungen die der Staat mit seinen verrückten Gesetzen dem Markt „entzieht“"

    Das ist eine völlig dreiste Umkehrung, es sind ja wohl die kriminellen Machenschaften solcher Vermieter, die dem Wohnungsmarkt Wohnungen entziehen.

  19. 91.

    Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Welcher private Vermieter baut denn? Ich lese nur Ausflüchte, wie immer.

    Wenn Vermieten angeblich so unlukrativ ist wie sie behaupten warum gibt es immer mehr Spekulanten in der Stadt? Warum vermieten sie dann?

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