Der Absacker - Berlin, bitte schau dir dieses Bild an - und verzeih mir!

So 24.05.20 | 20:10 Uhr
Die Skyline der Stadt Köln. Quelle: imago images/Schöning
Bild: imago images/Schöning

Berlin und unser Autor Johannes Mohren führen eine schwierige Beziehung. Sein Herz ist nicht wirklich frei. Er berichtet, wieso Corona nun zusammenschweißt. Warum der nachrichtenarme Tag guttut. Und weshalb er trotzdem schlechte Laune hat.

Liebes Berlin,

lass uns offen miteinander reden. Manchmal bin ich richtig gehässig zu dir. Dann schimpfe ich - mal innerlich, mal laut. Dass die Spree im Vergleich zum Rhein doch ein lächerliches Rinnsal ist; dass Berliner Pils im Vergleich zu einem guten Kölsch nun wirklich wie untrinkbare Plörre schmeckt; oder dass die musikalischen Liebeserklärungen an dich im Vergleich zu den Hymnen von Bläck Fööss, Brings, Kasalla und Co. - Wie, die kennen Sie nicht? Hörtipp folgt! - einfach wie gefühllose Leere klingen. Es sind die Momente, in denen ich dir gedanklich fremdgehe und daran denke, dich Hals über Kopf zu verlassen. Köln, isch han disch jän! (Liebe Absacker-Leser, schauen Sie sich nur diese unfassbare Schönheit im Titelbild an).

Ich weiß, dass das undankbar ist, ja: richtiggehend ungerecht nach fast vier Jahren, die uns nun verbinden. Warum ich dir das jetzt erzähle? Weil es an der Zeit ist, um Entschuldigung zu bitten. In Krisen zeigt sich - Achtung, abgedroschenes Sprichwort - der wahre Charakter, heißt es ja. Und wir, liebes Berlin, haben ihre ersten Wochen zusammen durchgestanden. Du bedeutest eine großartige WG. Du bedeutest die besten Kollegen, die - in Videoschalten bis tief in die Nacht - auch Lichtblicke waren, als das Arbeitsleben für mich wochenlang in meinem 14-Quadratmeter-WG-Zimmer-Home-Office stattfand. Du bedeutest sonnige Spaziergänge mit Freunden an deinen Seen, die zwar 1,5 Meter Abstand halten und trotzdem nah sind.

Und es ist - bei aller Vorsicht - schön zu sehen, wie langsam wieder Leben in dich zurückkehrt, liebes Berlin. Erstmals seit vielen Wochen war ich wieder brunchen in einem deiner wunderschönen kleinen Kiez-Cafés. Es gab das gleiche Käsefrühstück wie früher (klingt lange her, fühlte sich aber auch so an). Auf die Sorte genau. Aber es hat doch besser geschmeckt. Die Krise hat keine guten Seiten. Dafür macht sie zu viel kaputt. Und doch hat sie mir gezeigt: Du bist da, du bist Heimat. Nein, die Spree ist nicht der Rhein. Nein, Berliner Pils ist kein Kölsch. Und nein, "Dickes B" ist kein "En unserem Veedel". Aber du bist trotzdem wunderschön. Danke, Berlin - und bitte verzeih mir! 

1. Was vom Tag bleibt

Normalerweise tauchen hier die Top-Nachrichten des Tages auf. Und es ist die Herausforderung, aus dem ganzen Wust das Wichtigste auszuwählen. Aber an diesem Sonntag bist du ein bisschen ruhig, liebes Berlin. Wer die aktuelle Berichterstattung meiner Kolleginnen und Kollegen über einige Kundgebungen rund um das Rote Rathaus - mit zu vielen, aber friedlichen Teilnehmern - für die Aufnahme von Flüchtlingen gelesen hat, hat eigentlich keine größeren Neuigkeiten verpasst.

Nichts für ungut. Ich meine das im positiven Sinne. Es ist ein Tag zum Durschnaufen in einer Zeit, in der die Neuigkeiten sonst oft auf einen einprasseln - und das in einem solchen Tempo, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Nur ein Beispiel: Bei einem Quiz über die Corona-Regeln würde ich es eher nicht auf die Top-Plätze schaffen. Und rückversichere mich deshalb regelmäßig für dich, Berlin, und Brandenburg, was erlaubt ist - und was nicht. Ach ja, ab Montag ist wieder alles ein bisschen anders. Für Hotels, Pensionen und Campingplätze etwa. Unter welchen Bedingungen urlauben möglich ist? Hier unser Überblick.

Den Moment der nachrichtlichen Ruhe nutze ich einfach, um hier - vielleicht pünktlich zum Abend auf dem Sofa bei einem Absacker - auf starke Geschichten und Recherchen meiner Kolleginnen und Kollegen hinzuweisen. Da ist Steven Meyer, der in seiner Reportage über das Fastenbrechen unter Corona-Bedingungen in der ältesten bestehenden Moschee Deutschlands in Wilmersdorf erzählt. Oder Oliver Soos, der über Ausbrüche von Covid-19 in Brandenburger Flüchtlingsheimen berichtet, die teils anderthalb Monate lange Quarantäne-Zeiten nach sich ziehen, große Not verursachen - und für politische Diskussionen sorgen. 

2. Abschalten

... bedeutet für mich wieder: Fußball gucken. Dein Stadtderby, liebes Berlin, habe ich am Freitagabend in der Redaktion verfolgt. Das Ergebnis spare ich jetzt an dieser Stelle mal aus. Es gilt ja zu verhindern, dass so manch ein Unioner in seiner Verarbeitung des Frusts einen Rückfall erlebt [Wer doch nachlesen will, was und - vielleicht auch - warum es passierte: Hier entlang!]. Ansonsten twitterte mein Kollege Ilja Behnisch völlig zu Recht:

Die Zeilen erblickten am Samstagabend das Licht der Twitter-Welt. Ich habe sie gleich geteilt. Tief frustriert. Ich hatte den Bundesliga-Neustart eher kritisch gesehen und war - als er dann doch feststand - davon überzeugt, diese Geisterspiele würden mich emotional kalt lassen. Bis Samstag um kurz nach halb fünf. Da bin ich fluchend vom Sofa aufgesprungen und habe durch den Fernseher den Schiedsrichter im hunderte Kilometer entfernten Borussia-Park angeschrien. Beeindruckt hat ihn das nicht. Und ich hatte den ganzen Restabend ziemlich schlechte Laune. Manches bleibt eben doch beim Alten in dieser neuen Normalität.

3. Und, wie geht's?

Das erzählt dieses Mal mein Sport-Kollege Uri Zahavi. Bei ihm ereignete sich - einige Tage nach der Rückkehr aus dem Home Office ins Großraumbüro - scheinbar Unerklärliches. Seitdem rätselt er. Warum? Lesen Sie selbst.

Ich glaube nicht an Zufälle. Habe ich noch nie. Das klingt jetzt vielleicht etwas sehr "eso", aber es ist die Wahrheit. Nichtsdestotrotz - Gedanken habe ich mir darüber nie gemacht. In den zurückliegenden Monaten habe ich plötzlich eine Veränderung festgestellt - meine Auseinandersetzung mit teilweise "unerklärlichen" Ereignissen hat sich verändert. Genauer: Sie hat sich verschärft.

Beispiel gefällig? Vor ein paar Tagen saß ich in der Sportredaktion - seit gut zwei Wochen dürfen wir wieder dem Home Office entfliehen und aus dem Großraumbüro arbeiten. Ich hatte wie so oft eine Tasse Kaffee in der Hand. Soweit, so normal. Doch dann passierte es. In einem Moment geistiger Abwesenheit und ohne äußeren Stimulus, kippte ich mir die randvolle Tasse kinnabwärts über meine Klamotten. Pulli, T-Shirt, Hose - allesamt kaffeedurchtränkt. Unerklärlich.

Apropos unerklärlich: Wir spulen eine Stunde vor. Der nächste Kaffee steht auf meinem Schreibtisch. Ich gebe der Sache noch eine Chance. Der vorübergehende Frieden - er täuscht. Aus dem Nichts wirft mir ein Kollege quer durch das Büro eine leere Pfandflasche zu. Ich bin normalerweise ein überdurchschnittlich guter Fänger. Ich greife in gefühlter Zeitlupe meilenweit daneben. Die Flasche segelt durch die Luft und trifft die Tasse, der Kaffee kippt in Gänze über den Schreibtisch und auf meine immer noch nasse Hose.

Zufall? Unmöglich. Seit Tagen zerbreche ich mir den Kopf. Was bedeutet das jetzt? Und vor allem: Haben mich die Corona-Beschränkungen endgültig verrückt gemacht? Wie es mir geht, wurde gefragt? Gute Frage, nächste Frage.

Glauben Sie an Zufälle? Und: Glauben Sie in diesen Corona-Zeiten manchmal auch, verrückt zu werden? Schreiben Sie uns doch bitte ihre Erlebnisse an absacker@rbb-online.de.  

4. Ein weites Feld ...

... war an diesem Wochenende eine kleine Wiese an der Panke. Eine gute Freundin hatte Geburtstag und wir waren zum Skypen verabredet. Eigentlich. Am Ende haben wir uns - als Überraschung - doch getroffen. Zum ersten Mal seit vielen Wochen. Wir haben mit Abstand Muffins gegessen. Und dieser grüne Fleck an der muffigen Panke - mit überfülltem Mülleimer im Blick und Grasgeruch vom offenbar zweckentfremdeten Kinderspielplatz in der Nase - war ein schöner Ort. Das mag natürlich auch an dem Getränk gelegen haben, mit dem wir - ohne klirrende Flaschen - angestoßen haben. Richtig, es war Kölsch. Was auch sonst.

Nimm's mir nicht übel, liebes Berlin. Du bist trotzdem in meinem Herzen. Und nun: Prost, hören Sie mal in die Bläck Fööss rein - und schreiben mir, wie Sie es finden.

Johannes Mohren

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