Der Absacker - Die Gegenwart hat uns eingeholt

Do 11.06.20 | 21:25 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
Teilnehmer einer Kundgebung protestieren gegen Rassismus und Polizeigewalt (Quelle: dpa/Britta Pedersen)
Bild: dpa/Britta Pedersen

Vor Corona war die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Angst vereint. Doch das Virus machte uns nicht plötzlich alle gleich. Die Probleme, die es vorher gab, haben sich nicht in Luft aufgelöst. Nur wie wir sie angehen, muss sich ändern, findet Efthymis Angeloudis.

Eine Weile sah es danach aus, als ob die ganze Welt stillstehen würde. Als ob die Menschheit vereint in der Angst vor dem Coronavirus den Atem anhalten würde. Man konnte keine Zeitung aufschlagen, keinen Fernseher anschalten und kein Nachrichtenportal aufrufen, ohne mit Nachrichten über den Verlauf der Pandemie eingedeckt zu werden. Ob Erderwärmung, Armut oder Rassismus – alles schien sich, wenigstens in der kollektiven Wahrnehmung, der Corona-Pandemie unterzuordnen.

Verständlich, sollte man meinen – immerhin wurde die ganze Menschheit von einem hinterhältigen Virus heimgesucht, dessen Krankheitsverlauf und Folgen wir immer noch nicht im vollen Ausmaß verstehen. Dieser neue "Feind" bedrohte uns alle. Er machte keine Unterschiede zwischen Schwarz und Weiß, Reich und Arm, Chinesen, Deutschen oder Peruanern. Die Menschheit schien zum ersten Mal vereint. Alles andere konnte warten.

Dachten wir eben, bis uns die Realität von strukturellem Rassismus [tagesschau.de], Ausbeutung und Massenelend [deutschlandfunk.de] einholte.

1. Was vom Tag bleibt

Was uns leider auch im Post-Corona Zeitalter erhalten bleibt, sind die Folgen der Umweltverschmutzung und Erderwärmung. Eine Protestaktion gegen die Folgen der Wasserverschmutzung durch den Abbau von Kohle fand heute in Berlin statt. Der Spreeabschnitt im Berliner Regierungsviertel wurde von Klimaktivisten der Gruppe "Extinction Rebellion" am Donnerstagmorgen grün gefärbt, um auf die oft unsichtbare Verschmutzung aufmerksam zu machen. Dabei wurde der Stoff Uranin verwendet: ein wasserlösliches Natriumsalz, mit dem beispielsweise auch der Chicago River zum St. Patrick's Day eingefärbt wurde und das ungefährlich sein soll.

Ein weiteres Problem, das uns immer wieder beschäftigen wird, ist Rassismus, besonders der strukturelle Rassismus. Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass die Bundesregierung eine wissenschaftliche Untersuchung zu möglichen rassistischen Tendenzen in der Polizei plant [br24.de]. Dabei soll es sich um eine Studie über Racial Profiling in der Polizei handeln. Von Racial Profiling spricht man, wenn die Polizei Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrolliert, ohne dass es einen konkreten Anlass gibt.

In den USA oder Großbritannien gibt es rechtliche Regelungen gegen diese Praxis. In Deutschland hingegen gibt es weder eine rechtliche Definition noch existieren explizite Verbote für die Anwendung von Racial Profiling.

Der Volkswagen-Konzern hat nach der internen Prüfung eines rassistischen Werbevideos für den neuen Golf eine Reihe von Fehlern bei der Entstehung des Clips eingeräumt zieht aber vorerst keine personellen Konsequenzen [t-online.de]. In dem Video schob eine riesige weißen Hand einen schwarzen Mann durchs Bild und schnipste ihn anschließend in den Eingang eines Hauses. Gegen Ende des Werbefilms ist eine Buchstabenfolge zu sehen, deren Einblendung das N-Wort nahelegt.

2. Abschalten

Ich muss zugeben, dass ich den Komiker, Schauspieler und Musiker Tedros "Teddy" Teclebrhan verschlafen habe. Wäre da nicht der liebe Kollege Sebastian Schöbel, der mir (von meiner schwäbischen Vergangenheit wissend) am Dienstag einen Link zugespielt hat, wäre ich immer noch der Annahme das deutsche Comedians nicht lustig seien.

Der in dem Clip liebevoll karikierte fiktive rassistische Rentner "Ernst Riedler" ist mir genau so ein Paar mal in der Stuttgarter S-Bahn begegnet. Einfach mal abschalten und den schwäbischen Accent genießen. Antirassistisch ist es oben drauf.

3. Und, wie geht's?

Seine Gedanken zu Corona und zur #blacklivesmatter-Demonstration am Alexanderplatz teilte Richard aus Lichtenberg mit uns.

Ich war von Beginn der Krise (also ab Januar) sehr sensibilisiert für das Thema, trage eigentlich permanent einen Mundschutz, habe radikale Einschränkungen um Alltag in Kauf genommen und halte das auch für sinnvoll. Nicht nur zum Schutz anderer, sondern auch zum Selbstschutz.

(…)

Die Aufrufe (zur #blacklivesmatter Demonstration, Anm. d. Red.) haben nach drei Tagen und ohne Planungsphase 15.000 Menschen mobilisiert und das nur in Berlin. Mir gibt das Hoffnung, denn es zeigt, wie schnell sich ein großer Bevölkerungsteil ohne langes Nachdenken friedlich mobilisieren lässt. Größtenteils Menschen, die nicht wie ich seit fast vierzig Jahren in dieser Stadt leben und den Abstieg trotz besserer Arbeitsstellen und Qualifikationen (die Zeit und Geld kosten), mehr Arbeit und Verzicht auf eigene Rechte am eigenen Leib erleben mussten, sondern sehr junge Menschen, die wirklich vor dem Nichts stehen, dass diese Krise ihnen nun einmal wieder entgegen schreit, dass es den Lobbyisten, Konzernen, Industriellen, Banken und Spekulanten herzlich egal ist, wie ihre Zukunft aussehen wird.

Ich finde eigentlich, dass es ein gesellschaftlicher Rückschritt ist, wenn der gemeinsame Nenner ist, dass Rassismus nicht in Ordnung ist und Polzisten töten MigrantInnen auch in Deutschland, oder vertuschen die Morde. Da waren wir in Berlin schon mal deutlich weiter, was einen gesellschaftlichen Konsens angeht. Das Problem des globalisierten Kapitalismus stellt allerdings andere Länder vor viel brutalere Realitäten. Auch in Europa essen Menschen aus Müllcontainern, gibt es mittlerweile Obdachlosen-Camps, sterben jährlich Obdachlose, verhungern Leute, werden Menschen umgebracht, ohne das Ermittlungen überhaupt eingeleitet werden. Wer jetzt noch überlegt und zwiegespalten ist, sollte dies schnellstmöglich abschalten.

(…)

4. Ein weites Feld

Manchmal ist es schwer die Gegenwart einzuschätzen, wenn sie gerade vor unseren Augen passiert. Kann der Mord an George Floyd der Anlass sein, auch in Deutschland über strukturellen Rassismus zu reden? Sollte man während einer Pandemie demonstrieren?

Es ist wahr, dass Corona noch nicht "besiegt" wurde, aber die Welt steht eben nicht still und die Probleme, die es vor Corona gab, haben sich nicht in Luft aufgelöst. Wie man dagegen vorgehen sollte ist eine legitime Debatte, ob man dagegen vorgehen sollte nicht.

Es grüßt Sie in der Gegenwart ausharrend,

Efthymis Angeloudis

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Efthymis Angeloudis

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren