Der Absacker - Der Triumph über "den Maulkorb" (und die Wahrheit)

Mo 03.08.20 | 22:10 Uhr | Von Laura Kingston
Ein Teilnehmer der Demonstration am 01.08.2020 gegen die Corona-Schutzmaßnahmen in Berlin (Bild: imago images/Frederic Kern)
Bild: imago images/Frederic Kern

Die Demo vom Samstag, die unter dem Motto "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" lief, hinterlässt einen Nachgeschmack: Für die einen ist es der von Triumph, für Laura Kingston ist es eine beängstigende Erkenntnis.

"Lügenpresse!" "Staatsfunk!" "Fakemedien!" Ich habe mich noch nie so angeschrien gefühlt wie heute - und das schreibe ich, während ich am Küchentisch meiner ruhigen Einzimmerwohnung im Hinterhaus eines Prenzlberger Wohnblocks sitze, wo ich nichts als Vogelzwitschern höre. Was mich angeschrien hat waren die Kommentare - mehrere tausend an der Zahl - unter einem Video über den sogenannten "Tag der Freiheit" am Samstag.

1. Was vom Tag bleibt

Viele Kommentare sind in einem geradezu glückseligen Ton verfasst: "War ein toller Tag, danke dafür!" Andere wirken mahnend und sind wohl an all diejenigen gerichtet, die weiterhin am "Maulkorb" (der Mundnasenbedeckung) festhalten wollen. Was die meisten gemein haben: Sie vermitteln das Gefühl eines Triumphs. Über das Stück Stoff, das die Demonstrierenden kollektiv ablehnen, und vielleicht auch über das "System", zumindest für die paar Stunden, auf der Straße des 17. Juni. Umso empfindlicher reagieren die Anhänger der Bewegung, wenn es um die Teilnehmerzahl der Demo geht. Offiziell heißt es von der Polizei, es seien 20.000 gewesen. Doch die Zahl, die im Netz umhergeistert, liegt bei 1,3 Millionen. Ein gewaltiger Unterschied. Ein klarer Fall für die Interviewten in unserem Video: rbb|24 verbreite Fake-News. Der Datenanalyst Philip Kreißler sieht das ein bisschen anders.

Abschalten.

Die Stadt wird wieder lauter - und das nicht nur, weil sogenannte "Demokratieverfechter" ihren selbsternannten "Maulkorb" - also sowohl den Mundschutz als auch die Scham, verletzende und diskriminierende Dinge zu sagen - abgelegt haben. Man merkt auch, dass Festivals, Partys und Urlaube jetzt in die Parks(und nachts auf die Straße) verlegt wurden. S-Bahnen sind wieder voll, Bahnhöfe sowieso. Im lauter werdenden Berlin habe ich das Lesen wiederentdeckt. Drei Romane hintereinander in den letzten drei Wochen, und nicht weil ich frei hatte, sondern weil ich der Lautstärke der Umgebung entfliehen wollte. Neulich stand ich im Bahnhof Gesundbrunnen, wartete auf eine Freundin und las. Ein Typ spricht mich an, ich verdrehe innerlich schon die Augen. Doch was er sagt, überrascht mich: "Du liest hier mitten in diesem Chaos. Respekt!"

3. Und, wie geht's?

"Eigentlich bekommen wir das alles gut hin, wir machen alles nach Vorschrift, aber die Bevölkerung nimmt die Maskenpflicht nicht ernst", sagt Marlene Richter, Inhaberin des Charlottenburger Cafés "Die Stulle". Den ersten Lockdown hätte Sie nur durch Unterstützung aus der Nachbarschaft überlebt, eine zweite Welle würde sie "weder mental noch finanziell überleben."

Nehmen Sie eine Maskenmüdigkeit wahr? Und wie geht es Ihnen damit? Schreiben Sie an: absacker@rbb-online.de.

4. Ein weites Feld

Nur ein Wort schwirrt in meinem Kopf umher, nachdem der 1.500ste Kommentar gelöscht ist: Gespalten.

Die letzten Monate haben die Bevölkerung auf einmal in zwei Gruppen gespalten: diejenigen, die Maske tragen und damit ihre Solidarität ausdrücken und diejenigen, die dagegen sind. Dass ein kleines Stück Stoff inzwischen so polarisieren kann, ist angesteinflößend. Denn wenn es nur zwei Gruppen gibt, denen man angehören kann, dann demonstrieren zum Beispiel Reichsbürger*innen Hand in Hand mit denjenigen, die einfach nur genervt sind vom Shoppen mit Maske. Dann solidarisieren sich von der Wirtschaftskrise gezeichnete Bürger*innen mit Rechtsradikalen. Für mich ein beängstigender Gedanke.

Bewahren Sie dennoch ein Lächeln (unter ihrer Maske) und passen Sie auf sich auf.

Ihre Laura Kingston

 

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Beitrag von Laura Kingston

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Antwort auf [Helmut Krüger] vom 05.08.2020 um 17:27
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