Der Absacker - "Zur Tür hinaus, linke Reihe, jeder nur ein Wattestäbchen"

Mi 29.07.20 | 21:50 Uhr | Von Sebastian Schöbel
Abstrich für Übungszwecke im neuen Corona-Testmobil in Berlin. (Quelle: dpa/Sven Braun)
Bild: dpa/Sven Braun

In Tegel und Schönefeld werden ab dieser Woche Reiserückkehrer auf Corona getestet, was das Abenteuer Fliegen um eine weitere Erfahrung reicher macht. Derweil wird man am BER angeblafft, wenn man nichts zu meckern hat. Von Sebastian Schöbel

2020 ist das perfekte Jahr für die Eröffnung des Flughafens BER. Denn nichts passt so gut zu diesem um Jahre verspäteten, viel verspotteten Pannen-Airport wie der Umstand, dass man ab Oktober nach der Ankunft auch gleich noch ein zentimeterlanges Wattestäbchen in den Mund geschoben bekommt. "Willkommen in Berlin, einmal stillhalten bitte."

Denn es muss wohl davon ausgegangen werden, dass uns die Coronatests für Rückkehrer aus Risikogebieten noch eine Weile erhalten bleiben: Die Infektionszahlen steigen wieder - auch weil sich offenbar nicht alle Menschen an die Regeln halten und zum Beispiel in der Kneipe falsche Kontaktdaten hinterlassen, wie neulich im "Neulich".

1. Was vom Tag bleibt

TXL jedenfalls machte heute den Anfang mit einem Testzentrum für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Natürlich verlief der Start nicht ohne Verspätung (13 Uhr statt 8 Uhr). Aber wer hört nicht gerne den Satz "Ick hab jetze noch keen Stäbchen für dich"? Noch sind die Tests freiwillig, bald aber könnte sich das ändern, falls Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür die rechtliche Grundlage findet.

Derweil wird 26 Kilometer weiter südlich, am BER, fleißig geübt: Meine Kollegin Maike Gomm durfte einen der vielen Testläufe als Komparsin mitmachen. Sie war Southampton-Reisende und Kittilä (Finnland)-Heimkehrerin, kämpfte mit dem Reisepass-Scanner und hatte Gefallen an den großen Hallen aus Stein und Holz, in denen sich der ein oder andere Komparse noch verirrte. Letztlich aber musste sie die Flughafenverantwortlichen enttäuschen: Sie fand keine gravierenden Fehler. "Dann war es kein guter Probebetrieb", wurde sie ausgeschimpft. Am Ende sind wir wohl wirklich alle ein bisschen schuld am BER-Desaster.

Und das wird übrigens nicht billiger: Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup hat jetzt angekündigt, dass der BER definitiv weitere Staatshilfe brauchen werde, man werde "die Krise ohne Unterstützung nicht überstehen". Gemeint war allerdings nicht die Baustelle, sondern Corona: Die Luftfahrtbranche kommt kaum wieder in die Gänge, die Passagiere fehlen und damit verdienen auch die Flughäfen zu wenig Geld.

2. Abschalten

Vielleicht sagen wir es in ein paar Jahren aber auch mit dem Philosophen Homer (Simpson): "Luftverkehr? Gibt's den Blödsinn immer noch?"

Dann müssten wir natürlich kreative Ideen für all die Flugzeuge entwickeln, die dann ungenutzt rumstehen. Der britische Tüftler Steve Jones geht da gerade mit gutem Beispiel voran: Er verbindet das Konzept der relativ ressourcenschonenden Nah- und Naturerholung (Camping) mit dem Recycling von Problemabfällen (alte Flugzeuge). Jones hat aus dem Triebwerk einer Vickers VC10 des britischen Militärs einen Campingwagen gebaut - mit kleiner Küche und vier Schlafplätzen.

Sein nächstes Projekt hat Steve Jones übrigens schon gefunden: Er baut aus dem Triebwerk einer Boeing 747 einen Whirlpool.

3. Und, wie geht's?

Am meisten diskutiert wurde heute unter unseren Leserinnen und Lesern der tragische Tod einer jungen Frau, die bei Potsdam in ihrem Elektroauto verbrannt ist. Warum die 19-Jährige mit ihrem Auto von der Straße abkam, vor allem aber, welche Rolle die Batterie ihres Audi e-Tron beim Brand spielte, wird noch ermittelt. Fest steht, dass die herbeigeeilte Feuerwehr Schwierigkeiten hatte, die Flammen zu löschen. Der Gemeindewehrführer von Groß Kreutz (Havel), Kristian Titsch, sagte dem rbb ziemlich unverblühmt: "E-Autos sind relativ schwierig zu löschen, diese Erfahrungen haben wir nicht."

In den Kommentaren entlud sich dann eine zum Teil sehr heftige Debatte über den Sinn und die Gefahr der Elektromobilität. Leserin Sabrina fasste es noch am diplomatischsten zusammen:

Ich frage mich schon die ganze Zeit ob die junge Frau vielleicht noch eine Chance gehabt hätte, wäre es kein E-Auto gewesen?

Manche Leser formulierten es schärfer, feierten zynisch ihren "alten Diesel". Andere hielten dagegen, argumentierten mit technischen Details über Lithium-Ionen-Akkus und entzündlicher Kühlflüssigkeit der Klimaanlage. Einige gaben sogar der Feuerwehr eine Mitschuld an der Tragödie.

Für mich persönlich aber machte nur ein Kommentar wirklich Sinn, der von Leser(in) Toska:

Eine schlimme Sache wenn so ein junger Mensch sein Leben verliert. Ob das nun an den E-Auto liegt weiss ich nicht und ist auch völlig irrelevant. So etwas ist immer schlimm und traurig. Meine Enkeltochter ist auch 20 Jahre alt und hat sich gerade ein Auto gekauft. Es passiert aber auch so viel, weil andere überhaupt keine Rücksicht nehmen auf Fahranfänger, und es auf den Straßen zugeht wie in Wildwestmanier.
Ich habe ihr ein Schutzengel an den Rückspiegel gemacht und hoffe, der passt auf. Und meine Enkelin auch.
Viel Kraft für die Familie der jungen Frau.

Und was bewegt Sie in diesen Tagen? Schreiben Sie uns an absacker@rbb-online.de.

4. Ein weites Feld...

Gelegentlich läuft einem ja eine Geschichte über den Weg, die auf den ersten Blick gar nicht so spektakulär ist, die aber im Nachgang plötzlich zu intensiver Grübelei anregt.

So ging es mir jetzt bei einer Reportage meiner Kollegin Marie Asmussen. Sie hat einen jungen Fleischerlehrling bei seiner Ausbildung begleitet. Der 19-Jährige ist in seiner Branche ein echter Exot, so viele junge Deutsche wollen diesen Beruf nämlich gar nicht mehr erlernen. Was mich aber vor allem erstaunt hat ist die Klarheit, mit der er sich für diesen Beruf entschieden hat - und die Hartnäckigkeit, mit der er die schiefen Blicke und kritischen Nachfragen seiner Altersgenossen aushält.

Egal, was Sie vom Fleischerhandwerk halten: Sehr viel solider geht es gar nicht. Und da wurde mir klar: Eigentlich finde ich es schade, selber nie ein klassisches Handwerk erlernt zu haben. Tischler zum Beispiel. Oder Drucker. Nur hätte man mich mit 19 wohl dazu zwingen müssen.

Deshalb mal ein radikaler Vorschlag: Wie wäre es wohl, wenn alle, die ein Studium beginnen wollen, vorher eine Handwerkslehre oder Berufsausbildung machen müssen?

Schreiben Sie mir gerne, was Sie davon halten: absacker@rbb-online.de

Ich freue mich auf Ihre Ideen.

Sebastian Schöbel

 

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Beitrag von Sebastian Schöbel

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Antwort auf [Lothar/Charlottenburg ] vom 30.07.2020 um 05:41
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