
Der Absacker - Wann sind wir endlich daaaaaaaaaaa?
Vor der Schaltkonferenz mit der Bundeskanzlerin überbieten sich die Bundesländer mit Lockerungsankündigungen. Auch für Berliner Restaurants wird es wohl bald wieder losgehen, selbst Sommerurlaub scheint möglich. Zeit für Optimismus? Von Sarah Mühlberger
Was löst dieses Foto eines vollen Biergartens in Ihnen aus? Sehnsucht? Nostalgie? Empörung? Das Bild stammt aus dem vergangenen Sommer, das ist in Corona-Zeiteinheiten gerechnet ungefähr 120 Jahre her. Die Welt war eine andere damals, und die Möglichkeit, mit anderen Menschen in eine Kneipe zu gehen, noch eine Selbstverständlichkeit.
Wenn ich in diesen Tagen nach Hause komme, erinnern mich die geschlossenen Rollläden des Cafés in meinem Haus an die anhaltende Ausnahmesituation. Ich war zufällig dabei, als die Wirtin Mitte März schweren Herzens das Lokal schloss. "Wenn ich doch wenigstens wüsste, wann ich wieder aufmachen kann", sagte sie damals, "das würde alles sehr viel leichter machen." Und so geht und ging es ja allen: Wann darf ich mein Geschäft wieder öffnen? Wie lange wird die Kita zu sein? Wie lange muss ich parallel Arbeiten und Homeschooling noch wuppen? Wann kann ich meine Verwandten wieder besuchen?
Leider liegt es im Wesen einer Pandemie, dass es selten eindeutigen Antworten gibt. Und in unserem Wesen, diese Ungewissheit schlecht ertragen zu können.
Neben der Café-Eingangstür hing bis vor kurzem ein Aushang für die Stammgäste: "Wir hoffen, dass wir nach dem 19. April wieder öffnen können." Das kam der Wirtin und mir an diesem kalten Märzabend wahnsinnig weit weg vor - und war doch zu optimistisch gedacht. Während die vergangenen Wochen viele Lockerungen brachten, schien eine Öffnung der Gastronomie in weiter Ferne. Aber: Jetzt kommt Bewegung in die Sache.
1. Was vom Tag bleibt
Der Berliner Senat hat heute die Wiedereröffnung von Restaurants in Aussicht gestellt, bereits in der nächsten Woche könnte es vorsichtig losgehen, sagt der Regierende Bürgermeister. Eigentlich wollten sich Bund und Länder erst morgen absprechen, welche Corona-Maßnahmen als nächstes gelockert werden, aber die Bundesländer überbieten sich im Vorfeld mit ihren Lockerungen. Selbst Urlaub soll in mehreren Bundesländern noch im Mai wieder möglich sein. Brandenburg will erst die morgige Schaltkonferenz von Bundeskanzlerin Merkel mit den Länderchefs abwarten, dafür ist dort künftig wieder eine Hochzeit mit Gästen möglich.
Morgen soll es dann neben Gaststätten und Hotels auch um Schulen und Kitas gehen, außerdem um das Bundeslieblingsthema Bundesliga - es wird also sicherlich spannend. In der Bundeshauptstadt kehrt man derweil nach dem Facebook-Video von Noch-Hertha-Stürmer Kalou weiter die Scherben zusammen.
Vielleicht hatten Sie in den vergangenen Tagen wie ich eine Zeitung des "Demokratischen Widerstands" im Briefkasten und sind über die wirren Texte und Behauptungen gestolpert. Dort ist unter anderem die Rede davon, dass sich "unsere Republik in ein de-facto-diktatorisches Hygiene-Regime verflüchtigt hat", dass "wir von der Regierung in Todesangst versetzt zuhause eingesperrt werden", dass "die großen Medienhäuser gleichgeschaltet werden", und dass "unsere staatlichen Institutionen gegen die Menschen instrumentalisiert werden. Ein dysotopisches Digital- und Pharmakonzern-Kartell drängt zur Macht." Wer hinter dem "Demokratischen Widerstand" steckt und wie rechtsextreme Kräfte bei den "Hygiene-Demos" mitmischen, hat mein Kollege Olaf Sundermeyer recherchiert.
2. Abschalten.
In meiner Wohnung wird viel getanzt und ich kann das grundsätzlich sehr empfehlen. Legen Sie am besten sofort los! Machen Sie es aber aus verschiedenen Gründen bitte nicht wie diese Menschen in München:
Schütteln Sie lieber bei Ihnen zu Hause hemmungslos alle Körperteile in alle Richtungen. Wenn es sich besonders albern anfühlt, ist es genau richtig (youtube.com). Und falls Sie jetzt erstmal etwas Inspiration brauchen, kann ich Ihnen diese drei Schwestern sehr ans Herzen legen (schalten Sie Ihren Lautsprecher vorher bitte auf maximale Lautstärke):
3. Und, wie geht's?
Heute sind wir wieder dran mit der Beantwortung dieser Frage, und für meinen Kollegen Paul, der mit seiner Familie in Pankow wohnt, bringt der morgige Tag gemischte Gefühle:
Meine Freundin und ich arbeiten in systemrelevanten Berufen, unser Kind darf seit Beginn in die Kita-Notbetreuung, wir müssen uns um unser Familieneinkommen soweit keine Sorgen machen. Damit haben wir es weitaus besser als Millionen anderer Menschen. Uns geht es gut. Grundsätzlich. Oberflächlich.
Denn auch wenn uns keine wirtschaftlichen Sorgen plagen, prallt diese Krise natürlich nicht so einfach an uns ab. Morgen wird unsere Tochter zwei Jahre alt. Eigentlich wollten wir mit Oma und Opa, mit Tante, Onkel, Cousine und Cousin im Garten feiern. Daraus wird nichts. Unsere Hochzeit, die Anfang September mit mehr als 100 Menschen geplant war, werden wir auch canceln müssen. Ebenso unseren Sommerurlaub, den wir in Italien verbringen wollten. All das ist frustrierend. Flexibilität kann sehr viel Kraft kosten.
Was aber noch viel schwerer wiegt: Seit Wochen haben wir unsere Familien nicht mehr real gesehen, meine eigenen Eltern sogar seit Monaten nicht. Sie wohnen in Hessen, gehören zur Risikogruppe und verfolgen die rasante Entwicklung ihrer Enkeltochter seit Januar nur per Skype. Wann wir sie wieder besuchen können, steht in den Sternen. Und genau das ist es auch, was besonders stark schmerzt: das Vermissen unserer Nächsten – und die Ungewissheit, wie sich das alles weiter entwickeln wird. Wann die Großeltern endlich wieder ihr Enkelkind in die Arme schließen können. Hoffentlich bald – und in bester Gesundheit.
4. Ein weites Feld...
Da schließe ich gleich mal an: Dass jetzt vermutlich weitreichende Lockerungen kommen, liegt natürlich an der guten Entwicklung der Fallzahlen. Dass sie sich weiter gut entwickeln, liegt weiter an uns allen - gerade jetzt, wenn wieder mehr möglich sein wird.
Bleiben Sie gesund!
Sarah Mühlberger
5 Kommentare
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Wie wird das denn überhaupt kontrolliert, wenn ich mich jetzt in den Zug setze und Verwandte in Hannover oder sonstwo zu besuchen? Wo wollen Sie hin, warum wollen Sie da hin, das hat ja erstmal keinen zu interessieren, und wer soll mich hindern, wenn sich meine Schwester oder Freundin Arm oder Bein gebrochen hat und braucht jemanden, der sie versorgt?
Alkohol im Biergarten ist besser, als allein auf der Couch. Kommt der Stempel " gesellig " drauf und fertig.
Das Einsperren im eigenen Bundesland ist viel gravierender.
Macht Ferienwohnungen und Ferienhäuser wieder auf.
Das sind SELBSTVERSORGER mit eigener Küche. Wo ist da kein Abstand?
Darauf ein Bier im touristenfreien Biergarten um die Ecke ...
Die Fachleute warnen vor einer zweiten Infektionswelle, doch die Landesregierungen ueberbieten sich in Lockerungen. Dies gibt sicher ein boeses Erwachen. Notwendig waere es gewesen, die Neuinfektionsrate fuer zumindest zwei Wochen auf 0 zu halten (wovon wir ja weit entfernt sind). Und auch dann haetten die Grenzen geschlossen bleiben muessen. Leider fehlte hierzu der Mut.
Ich schließe mich Sarah und Paul an... mir sind die Biergärten schnuppe, ich möchte meine ü80-Eltern wiedersehen! Alles darf man, aber nicht jemanden in "Westdeutschland" besuchen. Oder die hierher kommen. Toll. Nen Bier drauf. Aus nem kalt gespülten Glas.
Home-Office 10 Std und dann Abendessen machen und dann Homeschooling bis um 1 Uhr nachts - wie lange ich die Doppelschichten noch durchhalte, weiss ich nicht, ich sterbe BEI Corona, nicht an. Kind ist völlig geschafft, zu viele Aufgaben noch übrig aus der Homeschooling-Zeit, Aufgaben, die nix bringen, außer Zeit rauben. Und jetzt ist wieder Schule.
Die ersten Test sind für die nächste Schulstunde angesagt!
Hallo??
Tests über Dinge, die man sich ohne Lehrer beibiegen musste - und wo Eltern null Kompetenz haben, wenn sie nicht Chemiker sind.
Wie stellt sich unsere Bildungsministerin das vor? Hat sie den Eindruck, ALLE Eltern sind auf Kurzarbeit? Nein, sie sind systemrelevant, und haben Doppelschicht!
"Zeit für Optimismus?"
Jein...
Ja! Ein gesunder Optimismus hilft in allen Lebenslagen und entkrampft viele ernsten zukünftigen Dinge. Falsch verstandener Optimismus führt allerdings auch zu Sorglosigkeit. Da möge bitte jeder seine eigene Lebenseinstellung reflektieren.
Nein! Alles auf Normal zu stellen, wäre in dieser ersten wohl abebbenden Covid-Welle auch wieder falsch. Alles auf Abstand geht schon OK. So wie zu Beginn mit den ersten Aufrufen von wegen... nur jeder 2. Tisch besetzt in der Gastronomie usw.
Optimismus! Wann gehts wieder mit der Geldmaschine Fußball los? Das ist die einzige Lebensfrage, die sich Milionen von "Fachmännern*innen" und Dosenbier-Sportlern vor der Glotze stellen. Endlich wieder Familienfrieden in vielen Hütten meines Bekanntenkreises! Da werde selbst ich zum grenzenlosen Optimisten. ;-)