Der Absacker - Mittelschwere Zerrung in der Synapsengegend

Sa 30.05.20 | 20:46 Uhr | Von Sebastian Schöbel
Archivbild: Der Koch Attila Hildmann trainiert für die 9. "Let's Dance"-Staffel am 29.02.2016 in Berlin. (Quelle: dpa/J. Carstensen)
Bild: dpa/J. Carstensen

Früher hat sich Attila Hildmann für uns gedehnt und ist dann nach Japan geflogen, um das Geheimnis des langen Lebens zu finden. Sein Veganismus machte ihn schlank und brachte ihm einen Porsche ein - und mit dem fährt er nun gegen Corona. Von Sebastian Schöbel

"Allein sein kann frustrieren. Man kann schöne Momente nicht teilen oder sich austauschen. Allein darüber zu sprechen wie es einem geht oder welche stressige Situationen man erlebt hat, baut Stress ab."

Das hat Attila Hildmann 2013 geschrieben, in seinem Buch "Vegan for Youth". Vielleicht erklärt das, warum der Lifecoach heute mit seinem bunt lackierten Porsche Autokorsos gegen die Corona-Maßnahmen anführt und Verschwörungsmythen verbreitet: Dem Mann hat einfach die Einsamkeit der Quarantäne nicht gut getan.

Attila Hildmann posiert bei einer Kundgebung am 30.05.2020 gegen die Corona-Politik der Bundesregierung am Olympiastadion
Bild: dpa

1. Was vom Tag bleibt

Und so stand er also heute vor dem Olympiastadion, der Attila Hildmann, dem Ort, an dem er sich 2013 für sein Buch beim Stretching fotografieren ließ. Er schwenkte eine Deutschlandfahne und führte Proteste gegen die Pandemieeindämmung, den 5G-Netzausbau, das Impfen und die von Aliens gesteuerte Weltverschwörung an. Obwohl seit heute Demos mit unbegrenzter Teilnehmerzahl erlaubt sind, kamen von den angemeldeten 1.000 Personen nur 150. Im Mauerpark versammelte sich derweil die nächste "Hygiene-Demo", empfangen von Gegenprotest. Das alles vor dem Hintergrund weiterer Lockerungen, die kommende Woche in Kraft treten. Der rbb-Extremismusexperte Olaf Sundermeyer hat diese Woche analysiert, dass die Corona-Proteste an Dynamik verlieren – auch wegen der Unterwanderung durch Rechtspopulisten.

Demonstrationen in Berlin wieder ohne Teilnehmer-Limit

Zudem haben wir ja bald auch alle wieder Besseres zu tun: Die Kneipen machen am 2. Juni wieder auf, kommenden Dienstag. Dann wird auch endlich wieder der Fußball so besprochen, wie es sich gehört: Mit 'nem Bier in der Hand, 'ner Zigarette zwischen den Lippen und jeder Menge Expertenwut im Bauch. Damit Sie gleich mit ausreichend unnützem Wissen in diese Gespräche starten können, hat Simon Wenzel etwas zur urdeutschesten Fußballtugend überhaupt geschrieben: Der Befähigung, nach 120 Minuten Abnutzungskampf bei einem würdigen Gegner das letzte Fünkchen Hoffnung vom Elfmeterpunkt aus zu ersticken.

2. Abschalten

Weil wir ja mit Verschwörungsmythen eingestiegen sind in den heutigen Absacker: Das aktuell unterhaltsamste Buch dazu stammt von zwei sehr netten Kollegen, Christian Alt und Christian Schiffer: "Angela Merkel ist Hitlers Tochter!1!!". Die beiden haben sich schon 2016 mit dem Phänomen beschäftigt und damals einen sehr launigen Vortrag auf der re:publica gehalten. Was dort gesagt wird, gilt (leider) auch heute noch.

Übrigens: Die beiden sind auch große Computerspielefans. Man kann also offenbar "daddeln", ohne hinterher die "15-Minuten-Methode" von Attila Hildmann anwenden zu müssen.

3. Und, wie geht`s?

Falls Sie dachten, mit dem nahenden Sieg (Daumendrücken) über das Coronavirus würden uns die Themen für zünftige Streitereien ausgehen: Hier ist der Gegenbeweis.

Das Kreuz auf dem neuen Berliner Stadtschloss erhitzt bei uns in diesen Tagen die Gemüter fast noch mehr als die Corona-Eindämmungsmaßnahmen.

Leser Thomas schreibt:

Es ist schon traurig, dass wir uns für unsere Religion entschuldigen müssen.
Vor lauter politischer Korrektheit biedern wir uns jetzt Jeden an und verleugnen unsere Identität.

Otto hingegen meint:

In Berlin leben ca. 63 Prozent Atheisten, Agnostiker und Humanisten, wahrscheinlich sogar mehr. Leider, oder zum Glück, gibt es kein repräsentatives Symbol dieser Gruppe. Das Kreuz ist es bestimmt nicht. Dann doch lieber ein Fliegendes Spaghettimonster

Während "Grobi" gleich den ganz großen, historischen Bogen schlägt:

Diese ganze Projekt ist doch ein einziges Symbol der reaktionären, rückwärtsgewandten Haltung gewisser Bevölkerungsteile. Nicht nur das mit den Unsummen, die für den Wiederaufbau verschleudert wurden, etliche soziale Projekte hätten finanziert werden können. Dieses Gebilde repräsentiert auch den Niedergang der Berliner Innenstadt für Berliner durch gezielte Disneyfizierung zur "Verzauberung" unserer Besucher in der Stadt. Und dem ganzen wird jetzt noch im wahrsten Sinne des Wortes die goldene Krone aufgesetzt, indem Friedrich Wilhelm IV., dem dämlichsten und bürgerfeinflichsten aller preußischen Könige, durch dieses dämliche Kreuz ein weiteres Denkmal gesetzt wird. Es ist eine Schande, wie geschichtsvergessen sich die Stadt Berlin mal wieder präsentiert.

Wir notieren: Ihnen laufen schon längst wieder andere Läuse als das Coronavirus über die Leber. Wir wollen von Ihnen hören: Schreiben Sie uns an absacker@rbb-online.de.

4. Ein weites Feld...

Kommen wir nochmal auf Attila Hildmann zurück. Das Buch, aus dem ich anfangs zitierte, stand in meinem Wohnzimmerschrank ganz weit hinten. Allerdings nicht wegen Hildmanns Eskapaden heute: Ich hatte einfach nie die Disziplin, Veganer zu werden.

Allerdings ist der Attila Hildmann von heute dem von damals auch kaum noch ähnlich: Attila der Jüngere ist ein drahtiger Mann mit freundlichem, glattrasierten Gesicht, den Augen fehlt der wilde Blick, den man heute auf Fotos von den Anti-Corona-Demos sieht. Attila der Jünge pries das "Mantra des Mutes" und bewarb seine "15-Minuten-Methode", die uns vor allem davon abhalten soll, Lebenszeit im Internet zu verschwenden. "Ich habe jahrelang verloren, mich einfach nur von Medien im Internet, Computerspielen und Fernsehen zudröhnen zu lasen. Mit dem Ergebnis, dass ich nichts mehr oder nur wenig auf die Reihe bekam", schreibt Hildmann. "Ich glaube,einer der besten Tipps für ein langes, gesundes Leben ist, sich auszuloggen und seine Zeit sinnvoll zu investieren."

Gemessen an dem, was Hildmann heute macht, hat er seine eigenen Lebens-Tipps offenbar nicht befolgt.

Alles Gute wünscht,

Sebastian Schöbel

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Sebastian Schöbel

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [Gerd Glaudino] vom 30.05.2020 um 22:40
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren