Der Absacker - Die Gefahr der niedrigen Zahl

Di 12.05.20 | 21:02 Uhr | Von Johannes Mohren
Eine Ampel in der Dämmerung. / imago images/imagebroker
Bild: imago images/imagebroker

Berlin hat die Corona-Ampeln eingeschaltet. Stehen die auf gelb oder gar rot, drohen Stopp oder Rücknahme von Lockerungen. Schneller als im Bundesvergleich. Aktuell steht aber alles auf grün. Und Johannes Mohren spürt, wie er sich wegen niedriger Zahlen bremsen muss.

Ich gebe zu, auch ich befinde mich derzeit hin und wieder in einer äußerst schwierigen Gefühlslage. Erst am Montagabend war das wieder so: Zwei (!) Corona-Neuinfektionen wurden da in Berlin gemeldet. Klingt sehr wenig für eine Großstadt mit mehr als 3,5 Millionen Einwohnern. Eine Handvoll Fälle in Brandenburg sorgen auch nicht für intrinsische Alarmsignale.

Und ja: Manchmal hadere ich angesichts dieser Zahlen mit den Momenten, in denen ich mit meinen Freunden vor Skype sitze statt in einer WG-Küche. Oder meinen Kollegen - mit mehreren Metern Abstand und Maske - in der Redaktion spätabends zum Abschied winke, statt mal wieder auf ein Bierchen und Schmalzbrote in die Kiezkneipe "Zum Hecht" zu ziehen.

Disziplin halten tut beizeiten doch verdammt weh. Und es wird nicht einfacher, wenn die numerische Notwendigkeit auf den ersten und medizinisch ungebildeten Blick kleiner zu werden scheint. Gleichzeitig ahne ich - während diese Gedanken noch durch meinen Kopf wabern - selbst schon schmerzhaft, dass genau in ihnen die Gefahr liegt.

Nicht nur weil Zahlen schwanken. Während ich diese Zeilen schreibe, schickt mein Absacker-Kollege und unser Daten-Experte Haluka Maier-Borst mir die Info, dass es am Dienstag in Berlin 25 Neuinfizierte gab. Zwar mit der Einordnung, dass die Zahl vergangene Woche bei 50 lag. Also: kein Grund zur Panik. Trotzdem sind es mehr als zwei. Und auch das Robert-Koch-Institut hat bei seiner Pressekonferenz am Vormittag noch einmal eindringlich vor Verharmlosung gewarnt. "Es gibt ja auch unentdeckte und asymptomatische Fälle. Und auch wenige können neue Ansteckungswellen auslösen", betonte Vizepräsident Lars Schaade.

1. Was vom Tag bleibt

Berlin hat die Corona-Ampeln eingeschaltet - ihr Ziel: Das Geschehen jederzeit im Griff zu behalten. Entscheidend in diesem Warnsystem sind drei Werte: die Reproduktionszahl, die Neuinfektionen und die Belegung der Intensivbetten. Strahlen die Ampeln grün, ist - zumindest erst einmal - alles fein. Bei zwei gelben Lichtern entsteht dringender Redebedarf. Bei zwei roten droht der Stopp oder gar die Rücknahme von Lockerungen. Und das könnte deutlich schneller passieren als anderswo in Deutschland. Die Berliner Richtwerte weichen von den bisher gemeinsam beschlossenen Grenzen teils deutlich ab. Wie genau, lesen Sie hier.

Corona-Ampel für Berlin (Quelle: rbb)

In Brandenburg sind Ampeln weiterhin vorerst ein Instrumentarium der Verkehrslenkung. Neuigkeiten in Sachen Corona-Regelungen gibt es aber auch hier. Sie betreffen vor allem Kinder und Jugendliche - und natürlich ihre Eltern. Bis zu den Sommerferien sollen alle Schüler wieder unterrichtet und betreut werden. Zumindest an einzelnen Wochentagen. Kita-Kinder können ab Ende Mai mindestens einen Tag pro Woche eine Tagesstätte besuchen. Kitas, die mehr Ressourcen haben, dürfen auch mehr anbieten. Zum gesamten Fahrplan geht es hier.

2. Abschalten (aber nicht abheben)

Ja, ich habe es wie tausende andere Nutzer gemacht und ihn mir heruntergeladen: den BER-Bausimulator. Die App zum selber Scheitern, wie meine Kollegen passend schreiben, denn es ist ein Spiel der Satire-Seite "Der Postillon". Die möchte wohl noch einmal vom treuesten Witze-Garanten der vergangenen Jahre profitieren - es sei erinnert an Schlagzeilen wie: "Neue Zeitform Futur III eingeführt, um Gespräche über Flughafen BER zu ermöglichen" - ehe er Ende Oktober dann vielleicht eröffnet wird wären gewesen. Ganz endgültig. Auch im Futur III.

Ich habe als erstes gleich mal die Firma N. Dran-Gheta mit dem Bau des Airport Centers beauftragt. Irgendwie kommt mir der Name schon spanisch, äh: süditalienisch vor. Aber was soll's. Die haben gute Bewertungen. 'Das sind ehrenwerte Leute!', hieß es in einer. 'Die haben mir wirklich ein Angebot vorgelegt, das ich nicht ablehnen konnte', in einer anderen. 

Wie es nun weitergeht? Ich werde es sehen, nachdem ich diesen Absacker für Sie geschrieben habe. Nur so viel: Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl - und die Vorwarnung der Kollegen im Ohr: Wer jedoch ein Game-Over nicht verkraftet, darf mit der App gar nicht erst anfangen.

3. Und, wie geht's?

Steffi K. hat geschrieben. Toi, toi, toi hat sie Ihnen und uns gewünscht - und dass wir diese Zeit alle möglichst in bester Gesundheit überstehen. Danke! Vor allem hat sie aber berichtet, wie sie diese Situation erlebt, warum diese für sie persönlich - in mancher Hinsicht - gar nicht so außergewöhnlich ist und sie nun ab und an mehr Verständnis bekommt.

Ich bin 49 Jahre alt und aus gesundheitsbedingten Gründen leider schon sehr lange Hartz-IV-Empfängerin. Aufgrund dessen lebe ich schon lange in einem Zustand, der nun aktuell sehr viele Menschen betrifft und wütend macht: Gähnende Langeweile und das Gefühl, dass man gesellschaftlich nichts mehr unternehmen kann (Kino, Theater, Urlaub etc.).

Da ich diesen Zustand schon sehr lange kenne, ist Corona für mich gar nicht mal so schrecklich - für mich persönlich hat sich gar nicht so viel verändert (ausgenommen manche Besuchsverbote).

Was mich fasziniert, sind Aussagen von Mitmenschen, die nun in dieser Krise erkennen, dass es gar nicht so toll ist, Hartz-IV-Empfänger zu sein. Zu merken, wie schwierig es ist, die Tage sinnvoll zu gestalten. Und dass es keinen Spaß macht, nur zu faulenzen und jeden Tag "Urlaub" zu haben.

Wie erleben Sie denn die aktuelle Lage? Schreiben Sie uns an: absacker@rbb-online.de.

Ein weites Feld ...

Es gibt sie, diese Menschen, die ich eigentlich kaum kenne - ja, ich weiß nicht einmal ihre Namen - und dennoch sind sie mir irgendwie vertraut. Der Besitzer des einzig wahren Spätis bei mir umme Ecke zählt zu ihnen. "Mach's gut, mein Junge!", ruft er mir immer hinterher, wenn ich aus seinem kleinen Laden gehe. Dann weiß ich: Hier bin ich Zuhause.

Oder der griechische Wirt aus dem Haus nebenan. Jeden Tag laufe ich - die vergangenen Wochen ausgenommen - an seiner Taverna vorbei. Und immer, wenn er hinter der Theke steht, winken wir und lächeln uns an. Er hat mich an seinen Tischen mit meiner Schwester lachen, mit meinen WG-Jungs diskutieren oder vergeblich auf ein Date warten sehen. Und ja, Ouzu haben wir auch den ein oder anderen bei ihm getrunken.

Am Sonntag habe ich nun bei ihm Essen abgeholt. Bifteki Feta - so wie immer. Wir haben uns über den Stuhl hinweg unterhalten. Der steht in seiner Tür, damit niemand reinkommen kann - und der Abstand bei der Übergabe gehalten wird. Wie es ihm geht, habe ich gefragt. Am Freitag dürfe er ja - mit Abstand und eingeschränkter Auslastung - wieder aufmachen, hat er gesagt. Und dabei nur nicht gelächelt, sondern gestrahlt.

In der Hoffnung, dass es in den nächsten Wochen viele solcher Glücksmomente gibt - und trotzdem niemand die Gefahr verkennt, wünscht Ihnen einen schönen (Feier-)Abend,

Johannes Mohren

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Johannes Mohren

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [PeterE] vom 13.05.2020 um 18:11
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren