Der Absacker - Grüße von der anderen Seite der Klischeemauer

Fr 02.10.20 | 18:45 Uhr | Von Haluka Maier-Borst
Haluka Maier-Borst
Bild: rbb|24/Mitya

Erst stiegen die Neuinfektionen in der Nachbarschaft, jetzt steht ein anstrengender Demo-Marathon vor der Haustür. Und irgendwie hat Haluka Maier-Borst das Gefühl gerade von Vorurteilen eingemauert zu werden.

Ein paar Minuten auf dem Rad reichen in Berlin, um in eine andere Welt zu kommen. Oder auch nur das Herumspielen an der Ortsbezeichnung. Denn nicht mal 15 Minuten südlich von mir liegt die Bernauer Straße, an der sich einst Ost und West trennten. Beide Seiten der Mauer gehören inzwischen zum Bezirk Mitte. Und das ist welthistorisch gesehen natürlich toll. Aber es ist auch ein wenig absurd.

Denn so kann man eine Wohnung hier im (oder ganz altmodisch: auf'm) Wedding als in Berlin-Mitte gelegen verkaufen. Und schwupps wechseln die Assoziationen von Çay zu Latte Macchiato, von wummernden Bässen aus dem Auto zu Streicherklängen der Philharmonikern. Obwohl natürlich beides zum Bezirk gehört.

Aktuell führt diese Assoziationskette auch zu einer besonderen Lage bei Corona. Streitlos ist, dass im Bezirk die Fallzahlen rapide steigen und das vor allem bei den Jungen. Doch die Erklärung auf der Seite des Robert-Koch-Institus [rki.de], dass die hohen Zahlen "von jungen, international Reisenden und Feiernden" verursacht werden, ist entweder ein Beleg dafür, dass tatsächlich ein paar Sorglose weiter Richtung Spree mich und andere in die Tinte setzen. Oder dass selbst Experten nicht davor gefeit sind, bei jungen Infizierten aus Mitte eher an polyglotte Hipster zu denken als an migrantische Jugendliche aus Moabit oder Wedding. Obwohl die einem auch gerne mal beim Döner sagen: "Corona, ach, das ist doch vorbei."

1. Was vom Tag bleibt

So oder so, ich schreibe diesen Absacker nun also aus dem Risikogebiet. In Mitte gab es nun knapp 60 Infektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten Tagen. Und falls jemand von hier aus nach Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz reisen wollen würde, so kann er das vorerst vergessen. Denn für reisende Mitte-Bewohner, egal ob Çay- oder Latte-Trinker/in, gilt dort jetzt zwei Wochen Quarantäne.

Außerdem, aber das betrifft auch andere Berliner und Berlinerinnen, steht ein anstrengendes Demo-Wochenende an. Corona-Zweifler und Verschwörungsideologen hier, Linksautonome da, die "Chaos stiften" wollen dort.

2. Abschalten.

Ich darf nicht überall hin und manch einer in Brandenburg und Berlin kam diese Woche gar nicht weg, weil der ÖPNV streikte. Wem dadurch das Gefühl von langen Zugfahrten zu kurz kommt, für den hat mein Kollege Sebastian Schneider heute einen Tipp beigesteuert. Stundenlange Livezugfahrten durch Norwegen [youtube.com]:

Ich dagegen habe tatsächlich eine etwas andere Form von Fernweh. Normalerweise wäre ich dieses Jahr dran, nach Japan zu fliegen. Meine Mutter wohnt nämlich dort und in letzter Zeit haben wir uns abwechselnd jedes Jahr besucht. Das funktioniert nun nicht, aber ich versuche mit Skypen und ein bisschen Googlen von japanischer Popkultur das Ganze etwas zu kompensieren. Eine Künstlerin, die auch deutsche Freunde von mir inzwischen ganz gut finden, heißt "Iri" [youtube.com]. Die Videoästhetik ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber ein Kumpel meinte, musikalisch würde er sogar ein bisschen Jamiroquai raushören.

3. Und, wie geht's?

Unsere Serie zu Bildern von Berlin heute und vor 100 Jahren stößt auf reges Interesse. Und es entspinnen sich rege Diskussionen darüber, was an Gebäuden bleiben und was weg soll. Der User "Baumeister" schrieb, dass ihm die Reformarchitektur deutlich lieber als Bauhaus sei, denn:

Die entstand nämlich parallel zum Bauhaus - vereinte jedoch menschenwürdiges Bauen mit Ästhetik - was man vom Würfelhusten ja wohl kaum sagen kann.

Und "anorak2" hielt dagegen:

Ist natürlich Geschmackssache, aber für mich besteht Ästethik nicht in Ornamenten und überflüssigem Schmuck, sondern in der Reduktion auf Grundformen. Natürlich kann man das wie bei allem auch phantasielos machen, aber das entwertet nicht die Grundidee.

Welcher Stil gefällt Ihnen denn so gar nicht im Stadtbild? Schreiben Sie uns an: absacker@rbb-online.de

4. Ein weites Feld...

Heute hatte ich für eine Geschichte ein Gespräch mit einer Wissenschaftlerin und nach einiger Zeit entwich ihr ein verbaler Seufzer.

Eigentlich sei man doch nur so knapp davon entfernt, die Epidemie im Zaum zu halten. In den letzten Monaten habe der R-Wert für Deutschland knapp über 1 gelegen. Ideal wäre aber etwas weniger als 1. 10 Prozent weniger Neuansteckungen würden schon reichen, sagte sie und man wäre wieder etwas beruhigter. Viel brauche es dafür nicht. Jeder müsse hier und da auf ein paar Kontakte verzichten und könnte sonst weitgehend normal leben. Ob man das denn nicht doch irgendwie hinkriegen könne?

Ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken, ob ich nicht doch hier und da auf ein, zwei Treffen am Wochenende verzichten kann. Auch wenn ich aktuell neidisch rüber nach Pankow schiele, das zwar nur ein paar hundert Meter weiter liegt, aber eben nicht als Risikogebiet eingestuft ist.

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