Der Absacker - Die Verschwörungstheoretiker von Oran

Mo 04.05.20 | 21:19 Uhr
Prostest der 'Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand Berlin' gegen die Einschränkung der Grundrechte durch Eindämmungsverordnung der COVID-19-Pandemie im Rahmen Infektionsschutzes vor der Berliner Volksbühne. (Quelle: dpa/Snapshot/Tobias Seeliger/Geisler)
Bild: dpa/Snapshot/Tobias Seeliger/Geisler

An diesem Montag sollte der erste Tag der Rückkehr zur Normalität sein. Inzwischen haben viele genug von den Einschränkungen. Dabei stand noch vor ein paar Wochen die Mehrheit hinter ihnen. Jetzt will so mancher Corona am liebsten verdrängen. Von Efthymis Angeloudis

Dieser Montag, der 4. Mai, sollte eine kleine Rückkehr zur Normalität markieren - quasi der erste Tag vom Rest unseres Lebens. Viele Schüler mussten wieder in die Schule. Geschäfte, Museen, Galerien und Frisöre hatten wieder offen. Aber auch wenn die besagten Lockerungen den Berlinern und Brandenburgern eigentlich nur einen Bruchteil ihres Pre-Corona-Lebens ermöglichen, reichte am Montagmorgen ein Blick auf die Straße, um tatsächlich einen Hauch von Alltag zu spüren.

Passanten tummelten sich auf den Gehwegen, vor den Friseursalons standen Schlangen von Menschen, die auf den heißersehnten Haarschnitt warteten - das Leben zirkulierte wieder auf den Straßen, wenn auch mit Atemschutzmaske und Sicherheitsabstand. Doch irgendwie schien trotzdem alles befremdlich und gedämpft. Mit unbeholfenen Schritten stolperten die Menschen an einem vorbei, als ob sie sich ganz zaghaft und vorsichtig wieder an das Leben unter Menschen herantasteten. Klar, das liegt vor allem an der Angst vor dem Virus, auch an der Ungewissheit vor der Zukunft. Vielleicht liegt es aber auch an dem kräftigen Sturm von Verschwörungstheorien und Fehlinformationen, was so manchen daran hindert, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen.

1. Was vom Tag bleibt

Die Beklemmung, die der brutale Angriff auf das ZDF-Team am Samstag immer noch hinterlässt. Drei Tage nach dem Überfall auf das Kamerateam fahndet die Polizei weiter nach Tätern und ermittelt zu den Hintergründen. Eine Gruppe von 15 Personen soll die sechs Mitarbeiter des ZDF zwischen Hackeschen Markt und Alexanderplatz gezielt angegriffen und mit einem "metallenen Gegenstand" attackiert haben. Währenddessen wurden sechs Verdächtige am Samstag wieder freigelassen - laut Generalstaatsanwaltschaft lag kein dringender Tatverdacht und somit kein Haftgrund vor.

Ob die Täter links oder rechts waren, werden die Ermittler herausfinden müssen. Der Angriff geschah allerdings in der Nähe der mittlerweile etablierten "Hygiene-Demo", einer Demonstration gegen die Corona-Regeln [tagesschau.de], an der auch Rechtspopulisten, Holocaustleugner und Anhänger von Verschwörungstheorien teilgenommen hatten. 

2. Abschalten

Und das bringt mich auch gleich zu der heutigen "Abschalt-Übung". Statt Spielfilm auf der Mattscheibe vielleicht Kopf-Kino - ein Szenario, das sich jeder von uns ausmalen kann, wie sie oder er möchte.

Mittlerweile herrscht an vielen Stammtischen, aber auch in mancher Parteizentrale die Auffassung, dass der Lockdown gar nicht nötig war und dass man jetzt so schnell wie möglich wieder zur "Normalität" zurückkehren sollte. Einige versuchen sich wieder an Grippe-Vergleichen, andere vermuten, dass die Pharmalobby oder Bill Gates hinter den Eindämmungsmaßnahmen steckt [tagesschau.de].

Dann stelle ich mir vor, wie dieselben Leute reagieren würden, wenn Bundes- und Landesregierungen, die WHO und das Robert-Koch-Institut einen anderen Kurs gefahren wären und trotz der hohen Infektionsrate, trotz Bergamo, Wuhan und New York gesagt hätten, alles halb so schlimm – bitte weitermachen. Ich nehme an, dieselben Leute wären trotzdem nicht zufrieden und würden wieder auf die Barrikaden gehen, weil die Regierung und die Wissenschaftler "uns" schon wieder die Wahrheit verheimlichen.

3. Und, wie geht's?

"Dankbar. Für alles, was möglich ist", fühlt sich Nives K. aus Berlin. Wie sie die Situation mit ihrem dreifachen Risikogruppendasein in Coronazeiten übersteht? "Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad in den Plänterwald und treffe mich Open-Air mit einer Person auf 1,5 bis 2 Meter Abstand." Das gehe wetterbedingt bisher ziemlich gut.

"Wir gehen meist spazieren, praktizieren oft Qi Gong, oder singen im Wald. Dazu schicken wir uns Noten und Texte per Whats App zu. Denn der Mindestabstand ist für mich lebenswichtig." Natürlich vermisst sie Freunde und Bekannte. Dafür hat Nives Fenstersingen mit ihren Nachbarn organisiert. "Zum vierten Mal konnten wir immerhin schon fünf Lieder gemeinsam singen", schreibt sie. "Wenn ich das nicht tun kann, fällt mir dir Decke auf den Kopf."

4. Ein weites Feld...

Es muss schon über zehn Jahre her sein, seit ich Albert Camus‘ Pest gelesen habe. Das Buch fiel leider entweder meinen gefühlt zwei Dutzend Umzügen oder meinem laxen Ausleihverhalten zum Opfer. Doch irgendwie wollen mir manche Passagen des Buches immer noch nicht aus dem Kopf gehen. Wie diese hier: Viele erwarteten jedoch, dass die Epidemie aufhören würde und sie und ihre Familie verschont bleiben würden. Infolgedessen spürte niemand das Bedürfnis, etwas dagegen zu tun.

Nun haben wir im Gegensatz zu den Einwohnern Orans Maßnahmen gegen die sich abzeichnende Katastrophe getroffen. Sich jetzt jedoch unverwundbar zu fühlen, käme der Hybris der Oraner gleich. In diesem Sinne: Passen Sie auf sich auf. Auf Ihr Wohl!

Efthymis Angeloudis

Was Sie jetzt wissen müssen

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [Jana] vom 04.05.2020 um 23:06
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren

Pal Dardai
IMAGO/Matthias Koch

Hertha empfängt den Club - Topspiel im Tabellen-Niemandsland

Hertha und der 1. FC Nürnberg zeigen bislang einen ähnlichen Saisonverlauf. Nach Aufs und Abs stecken beide jungen Teams im Mittelfeld der Tabelle fest. Doch nach dem furiosen 5:2-Sieg gegen Schalke schöpfen die Berliner nun Hoffnung, ihren Aufschwung zu bestätigen.

Symbolbild: Neuhardenberg (Brandenburg) - Ein Mitarbeiter einer Gartenbaufirma richtet im Schlosspark im brandenburgischen Neuhardenberg mit letzten Handgriffen ein riesiges Osterei. (Quelle: dpa/Pleul)
dpa/Pleul

Osterfeierrituale - Erst Stock im Feuer, dann Ei im Gras

Es wird gebrannt, gebadet und hinter rollenden Eiern hergelaufen - all das findet bei vielen in Berlin und Brandenburg ganz ohne Kerzen und wie selbstverständlich ohne Gebet und Andacht statt. Einfach nur Ostern eben. Von Stefan Ruwoldt