Absacker - Wenn der Brandenburger für Schweden jubelt

So 17.05.20 | 21:02 Uhr
Symbolbild: Schild "Vorbild Schweden Keine Schäden" (Quelle: dpa/Sachelle Babbar)
Bild: dpa/Sachelle Babbar

Auf der anderen Seite des Gartenzauns ist das Gras bekanntlich immer grüner. Es sei denn, es ist Corona und man wohnt in Schweden: So schreibt es ein Absacker-Leser in einer Mail an uns. Sebastian Schöbel entdeckt derweil viel schönes Grün auch daheim.

Das Coronavirus hat uns die Vorteile des Internets und der Digitalisierung ziemlich deutlich vor Augen geführt: ungeduscht im Schlafanzug arbeiten, Videokonferenzen mit den Kollegen während nebenbei die neue Lieblingsserie läuft, und endlich mal Zeit für den ein oder anderen gut durchdachten Tweet oder Facebookpost. Das Internet, könnte man sagen, ist der eigentliche Gewinner der Coronakrise.

Nur stimmt das eben nicht, weil das Internet - da ist es eben doch sehr menschlich - manchmal auch mit dem Hintern einreißt, was es mit den Händen aufgebaut hat. So wie bei Andreas Kalbitz, Ex-Noch-AfD-Chef in Brandenburg. Der hat nämlich seinen Mitgliedsantrag anno dazumal bereits corona-konform ohne menschlichen Kontakt über Internet gestellt. Und nun ist der digitale Wisch weg.

Was ärgerlich ist, aber offenbar unvermeidbar: Solche Onlineanträge kann man ja auch nur ganz schlecht speichern. So wird das Internet zum Hund, der die Hausaufgaben gefressen hat.  

1. Was vom Tag bleibt

Deutlich weniger lustig sind die Geschichten, die mein Kollege Martin Adam zusammengetragen hat: Er hat mit Menschen gesprochen, die eine Covid19-Erkrankung überstanden haben. Und auch wenn das Einzelschicksale sind, die nicht verallgemeinert werden sollten, so finde ich es doch bedrückend, wie schwer der Verlauf zum Teil sein kann.

Wenn da ein 64-jähriger Internist erzählt, er sei wochenlang körperlich völlig am Ende gewesen, "zu schwach, um mir etwas zu essen zu kochen", dann macht mich das nachdenklich. Der Mann ist nur wenige Jahre jünger als mein Vater. Oder die Musiklehrerin, die plötzlich ihr Parfüm nicht mehr riechen konnte, bevor Fieber und Gliederschmerzen kamen, und die heute sagt, sie habe noch immer Angst, nicht wirklich immun zu sein. Diese Frage ist in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zuletzt nämlich auch immer wieder aufgekommen: Was, wenn man einmal Covid-19 überstanden hat, das Virus aber irgendwann zurückkommt?

Da braucht man auch ein paar gute Geschichten, um wieder auf andere Gedanken zu kommen. Die von Romy Kasper ist so eine - weil sie auch so irre klingt. Die Frau hat gerade die Bahnrad-Bundesliga gewonnen. Von ihrem Wohnzimmer aus. Die haben quasi die Rennmaschinen von allen Bahnradfahrerinnen der Liga miteinander vernetzt und dann wurde getreten, getreten, getreten - mit Blick auf die die eigenen vier Wände.  

2. Abschalten

Ich halte hier im Absacker als einziger waschechter Brandenburger natürlich immer gerne die Fahne mit dem roten Adler hoch. Das fällt in diesen Tagen besonders leicht, weil das Wetter gerade grandiose Touren mit Fahrrad oder Boot erlaubt. Mich entspannt wenig so sehr wie der Blick auf ein altes Dorf mit alten, preußischen Gutshäusern.

Passend dazu gönne ich mir auch gerade mal wieder den guten alten Fontane und seine "Wanderungen durch die Mark Brandenburg". Wobei, nicht das Buch: Der rbb hat letztes Jahr eine tolle Doku-Reihe zu Fontanes legendärem Werk ausgestrahlt. Und alle fünf Teile gibt es noch bis Ende des Jahres in der ARD-Mediathek.

3. Und, wie geht's?

Brandenburger neigen ja nicht unbedingt zu Jubelstürmen, die brummeln Anerkennung eher in sich hinein. Fontane meinte gar, sie seien "ohne rechte Liebenswürdigkeit". Umso mehr faszinierte mich die geradezu euphorische Email eines Potsdamer "Absacker"-Lesers, der uns aus Schweden schrieb. Dort lebt er schon seit etwas mehr als vier Jahren. Und er ist ein großer Fan der schwedischen Corona-Maßnahmen.

Einfach deshalb, weil wir hier nicht nur in unserer Hauptstadt Stockholm Menschen haben, die willens und in der Lage sind, aktuelle Herausforderungen zielorientiert zu lösen. Heißt ganz konkret: Da wo notwendig und rational nachvollziehbar Restriktionen erlassen und andererseits denjenigen zu helfen, die momentan Hilfe benötigen.

Nun würden genau das vermutlich auch viele deutsche Regierungspolitiker für sich reklamieren. Aber unser Leser erklärt genauer, was er meint: In einer schwedischen Kreisstadt zum Beispiel sei der einzige Corona-Patient umgehend ins Krankenhaus gebracht und sein Haus desinfiziert worden.

Es kam aber wirklich niemand auf die Idee, für den gesamten Landkreis panisch Ausgangssperre auszusprechen.

Er lobt also den relativen entspannten Umgang der schwedischen Regierung mit dem Virus. Deren schnelle, unbürokratische Hilfe für in Not geratene Unternehmen: Das sei viel besser als das, was er von den Staatshilfen hierzulande gehört habe. Und was im Potsdamer Ernst von Bergmann Klinikum passiert ist, darüber "schüttelt man hier nur noch den Kopf".

In diesem Sinne sende ich viele Grüsse in die alte Heimat, verbunden mit einem dreifachen HOCH auf unseren Anders Tegnell!!!

Letzterer ist übrigens Schwedens Staatsepidemologe. Und sein Kurs ist umstritten - nicht mehr nur im Ausland - weil Schweden inzwischen deutlich mehr Tote zu beklagen hat als andere Länder mit scharfen Lockdown-Beschränkungen. Andererseits mussten die Menschen hier auf viele Freiheiten nicht verzichten. Es kommt wohl einfach immer auf den persönlichen Blickwinkel an: Ist das Billy-Regal nun schief oder einfach der Raum nicht schwedisch genug?

Welches von Corona betroffene Land begeistert Sie gerade besonders? Schreiben Sie uns doch über Ihre Erfahrungen an: absacker@rbb-online.de

4. Ein weites Feld...

Das erste Mal habe ich meinen kleinen Garten im Griff: Die Blumen sind käferfrei, der Rasen keine Steppe und sogar meine Hortensien halten durch - nachdem ich etliche ihrer Vorgänger Jahr um Jahr entsorgen musste.

Der Grund ist natürlich der Lockdown: Noch nie hatte ich so viel Zeit fürs heimische Grün. Der Urlaub in der Ferne ist gestrichen, soziale Kontake eingeschränkt, die Ablenkungsmöglichkeiten außer Haus bis vor kurzem defacto nicht vorhanden. Und nur die Pflanzen- und Baumärkte hatten auf. Auch die Gärten meiner Nachbarn sehen allesamt makellos aus.

Inzwischen frage ich mich manchmal, ob wir diese verrückte Zeit nicht irgendwann auch mal vermissen werden. Wenigstens ein bisschen.

Sebastian Schöbel

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Antwort auf [Geli] vom 19.05.2020 um 08:02
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