Argumente am Stammtisch - "Ist doch nur die Grippe" und andere gefährliche Behauptungen

Do 12.03.20 | 12:05 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
Symbolbild: Eine junge Touristin mit Mundschutz auf Sightseeing Tour. (Quelle: imago images/E. Inetti)
Bild: imago images/E. Inetti

Die einen horten Desinfektionsmittel, die anderen sind von der "Panikmache" genervt. Auf Facebook, Twitter und am Stammtisch mehren sich Gerüchte und Verschwörungstheorien zum Coronavirus. Wir machen reinen Tisch. Von Efthymis Angeloudis

Was Sie jetzt wissen müssen

"Es ist doch nur die Grippe." Ohne Zweifel haben wir alle diesen Satz in den letzten Wochen zigfach gehört. Wie sich jetzt auch in Italien mit hunderten Covid-19-Toten feststellen lässt, ist das Coronavirus viel mehr als das.

Zuversicht in Zeiten einer Pandemie ist gut. Sie hilft uns, nicht die Hoffnung zu verlieren und den Teufel gleich an die Wand zu malen. Doch falsche Zuversicht kann in Anbetracht der Ausbreitung des Coronavirus für viele Menschen gefährlich sein, besonders für kranke und alte. Deswegen haben wir fünf verbreitete Behauptungen zum Coronavirus gesammelt - und Antworten.

"Dann krieg ich ein bisschen Schnupfen, na und?"

Die meisten Menschen, die am Coronavirus erkranken, leiden zwar unter nichts Schlimmerem als saisonalen Grippesymptomen - und sind danach ohne Folgeschäden wieder auf den Beinen. Doch wirklich gefährlich ist Covid-19, weil das Virus neu ist, die Bevölkerung nicht dagegen immun und folglich viele Menschen angesteckt werden können. Für Ältere und Vorerkrankte kann das tödlich enden. Und das Gesundheitswesen droht bei zu vielen Fällen gleichzeitig zu kollabieren. Nicht der Erkrankte selbst ist immer das Problem, sondern die Ansteckungsgefahr.

"Ohne das ganze mediale Tamtam würde viel weniger Schaden entstehen."

Diese Behauptung bringt uns gleich auf den Kern der medialen Berichterstattung über Krisensituationen. Berichtet man flächendeckend über eine Krise oder Pandemie, heißt es oft, das sei "Panikmache". Tut man es nicht ausgiebig, heißt es: "Die verheimlichen doch etwas."

Was bedeutet eine verantwortungsvolle Berichterstattung in Zeiten von Corona? Die Medien müssen einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung und dem Schutz der Gesundheit leisten, etwa durch Aufklärung darüber, wie man sich im Alltag verhalten soll, um das Risiko einer Ansteckung zu verringern. Die Berichterstattung muss aber faktenbezogen und sachlich sein. Risiken und Gefahren müssen geschildert werden, doch dies muss besonders gewissenhaft recherchiert und durch die Meinung von Experten untermauert werden.

Letztendlich muss der Leser oder Zuschauer abwägen, welchen Medien er vertraut und welchen eben nicht. Wie der Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte: Es gehört zum mündigen Bürger, die Medienkommunikation zu durchschauen.

"Corona ist doch nicht tödlicher als Grippe!"

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO scheint die Sterberate für Covid-19 höher zu sein als die der Grippe, insbesondere der saisonalen Influenza. Während es ein wenig dauern kann, bis die wahre Letalität des Coronavirus vollständig analysiert ist, zeigen die bisher vorliegenden Daten, dass die Sterblichkeitsrate (die Anzahl der gemeldeten Todesfälle geteilt durch die gemeldeten Fälle) weltweit ungefähr zwischen 3-4 Prozent liegt. Die Schätzung der Wissenschaftler zur Infektionssterblichkeitsrate ist niedriger, da nicht alle Fälle gemeldet werden.

Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, bezifferte am Montag, 2. März, die Covid-19-Sterberate nach den derzeitigen Daten auf 0,3 bis 0,7 Prozent. Von 1.000 Infizierten würden demnach drei bis sieben Personen sterben, so Drosten. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate aber sogar noch darunter.

Zum Vergleich ist die Letalität der normalen Grippe jedoch unter 0,1 Prozent - also deutlich niedriger. Die Sterblichkeitsrate wird jedoch in hohem Maße vom Zugang und der Qualität der Gesundheitsversorgung bestimmt.

"25.000 sind an Grippe gestorben. Da kräht kein Hahn danach!"

Die Zahl der 25.100 Influenza-Tote der Grippesaison 2017/2018 beruht auf der sogenannten Exzess-Schätzung der Übersterblichkeit [influenza.rki.de], also der erhöhten Zahl von Sterbefällen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Das macht das RKI, weil Influenza im Gegensatz zu anderen Krankheiten häufig nicht als Todesursache eingetragen wird. Die laborbestätigten Todesfälle sind in der Grippesaison 2017/2018 zum Beispeil 1.674. Laut Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza des RKI waren die laborbestätigten Todesfälle in dieser Grippesaison bis jetzt 265 [mdr.de].

Der Vergleich zwischen Influenza-Toten und Covid-19-Toten erscheint zwar auf den ersten Blick als gut begründet, da die normale Grippe und das Coronavirus auf die gleiche Art verbreitet werden. Trotzdem ist das Coronavirus um einiges gefährlicher, weil sich viel mehr Menschen damit infizieren können und es bislang auch keinen Schutz dagegen gibt.

Ein Vergleich mit Grippetoten ist also ein logischer Fehlschluss, der nichts zu der eigentlichen Debatte beiträgt. Genauso gut könnte man über die 3.000 Verkehrstoten oder die 1.200 Drogentoten in Deutschland sprechen. Wenn das aber jemand als Argument gegen die Vorsichtsmaßnahmen für das Coronavirus benutzte, würde er bestenfalls belächelt werden.

"Jetzt kann ich nicht mehr ins Stadion, aber die Ringbahn darf weiterfahren."

Natürlich kann man sich in der S-Bahn genau so gut wie bei einer Großveranstaltung mit dem Coronavirus infizieren. Wie uns die Ausbreitung des Virus in China zeigte, werden öffentliche Verkehrsmittel angesichts der Epidemie sicherlich Einbußen machen müssen. Nach Angaben des chinesischen Verkehrsministeriums fiel der gesamte Personenverkehr auf der Schiene zwischen dem 25. Januar und dem 18. Februar 82 Prozent niedriger aus als im gleichen Zeitraum des letzten Jahres.

Doch die Frage, die sich hier stellt, ist eher, auf was wir verzichten können. Auf Fußballspiele oder die essentielle Fortbewegung von Menschen, die kein Auto haben zum Einkaufen, zur Arbeit oder zum Arzt?

"Das betrifft mich nicht. Ich bin Mitte 30 und kerngesund."

80 Prozent der Infektionen verlaufen harmlos, betonen Wissenschaftler immer wieder. Für die restlichen 20 Prozent könnte die Lungenerkrankung Covid-19, die durch das Coronavirus ausgelöst wird, schwerer, für einige sogar tödlich verlaufen.

Selbst wenn man nicht zu den Risikogruppen gehört, ist es angesichts der schwerwiegenden Symptome für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankung völlig unverantwortlich, keine Schutzmaßnahmen zu treffen. Die Maßnahmen, die junge, gesunde Menschen treffen, einschließlich der Meldung von Symptomen und der Befolgung von Quarantäneanweisungen, werden eine wichtige Rolle beim Schutz der am stärksten gefährdeten Personen in der Gesellschaft spielen.

"Als HIV entdeckt wurde, hat auch keiner so viel Terz gemacht."

HIV/Aids wurde von Anfang an als Virus der "Anderen" wahrgenommen. Eine Krankheit, die nur Schwule betrifft und Heterosexuellen keine Angst machen muss. Und obwohl Mitte der 80er Jahre längst klar war, dass nicht nur Homosexuelle das Aids-Virus weitergeben, hatte sich in der Bevölkerung bereits so große Angst ausgebreitet, dass sie Infizierte isolierte und ausgrenzte, sobald die Krankheit bekannt wurde.

Indem nun viele junge, gesunde Menschen annehmen, dass der Coronavirus sie nichts angeht, begehen sie die gleichen Fehler, die die Gesellschaft in den 80er Jahren machte. Menschen mit Immunkrankheiten oder Immunschwäche werden erneut von der Gesellschaft ausgegrenzt und im Stich gelassen.

Hinweis vom 28.03.2020: In einer früheren Version wurde der Vergleich zwischen der Exzess-Schätzung der Grippetoten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und den laborbestätigten Todesfällen nicht deutlich. Wir bitten die Ungenauigkeit zu entschuldigen.

FAQ zum Umgang mit dem Coronavirus

  • Ich fürchte, infiziert zu sein. Was tun?

  • Was passiert mit möglichen Infizierten?

  • Was passiert mit Kontaktpersonen?

  • Welche Kapazitäten haben die Kliniken?

  • Welche Reisebeschränkungen gibt es?

  • Wie viele bestätigte Fälle gibt es?

  • Ist das Virus meldepflichtig?

  • Was ist das Coronavirus?

  • Woher kommt das Virus?

  • Wie kann ich mich anstecken?

  • Wie ansteckend ist das Virus?

  • Wer ist besonders gefährdet?

  • Wie funktioniert der Test?

  • Was sind die Symptome?

  • Wie kann ich mich schützen?

  • Welche Behandlung gibt es für Infizierte?

  • Gibt es Immunität gegen das Virus?

  • Wie hoch ist die Sterberate?

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