Visa, abgesagte Flüge, kein Geld - Wie sich Russen in Berlin versuchen, aus der Patsche zu helfen

Sa 21.03.20 | 08:34 Uhr
Deeanra Rasulewa (Quelle: Deeanra Rasulewa/Kseniya Milner)
Bild: Deeanra Rasulewa/Kseniya Milner

Von New York nach Berlin zurück mit einem russischen Pass: In den Tagen der Corona-Krise stranden reihenweise Leute in Ländern und Situation, die noch vor einer Woche undenkbar waren. Ein Blick in die russischsprachige Community - und was die Menschen dort umtreibt.

Was Sie jetzt wissen müssen

Ich träumte, dass du vom Corona-Virus träumtest.

Von der Zeit, die stehen bleibt.

Alles abgesagt. Zutritt versagt.

Und ein leeres Nudelregal im Supermarkt.“

Übersetzung aus dem Russischen

Diese Zeilen schrieb die tatarisch-berlinische Dichterin Deenara Rasulewa vor ein paar Tagen. Da war sie noch in den USA, auf Coney Island. Sie wusste schon, dass sie am nächsten Tag zurück nach Hause fliegen wird, nach Berlin. Vorzeitig.

Deenara Rasulewa lebt seit fünf Jahren in Friedrichshain, arbeitet als Projektmanagerin in einem großen Online-Unternehmen. Sie ist erfolgreiche Poetry-Slammerin und Aktivistin für Frauenrechte. In New York wollte Deenara an einer feministischen Konferenz teilnehmen. Die Veranstaltung wurde zwar abgesagt, aber das Ticket war bezahlt, und Deenara flog hin. Sie wollte acht Tage bleiben. Es wurden nervenaufreibende Tage.

Plötzlich ging alles rasend schnell – Läden machten zu, Landesgrenzen auch. Die airbnb-Gastgeberin hat Deenara aus Angst vor Corona kurzfristig die gemietete Wohnung abgesagt. Und dann kam die Nachricht, dass Deutschland keine Nicht-EU-Staatsangehörigen mehr ins Land lässt.

Der Wohnsitz entscheidet

Deenara, die nur ein Aufenthaltsvisum hat, will so schnell wie möglich zurückfliegen und tauscht das Ticket um.

"Am Flughafen in Newark war die Stimmung sehr angespannt. Immer wieder gab es Ansagen, dass Passagiere, die US-Amerikanische oder andere Nicht-EU-Pässe haben, in Deutschland nicht reingelassen werden. Sie sollen sich an einem Sonder-Counter melden."

Als das Flugzeug abhob, war Deenara die einzige, die einen Mundschutz trug. Sie flog zuversichtlich zurück: Ihre Freunde in Deutschland hatten herausgefunden, dass Menschen, die in Berlin gemeldet sind, nicht abgewiesen werden. Als Deenara in Tegel aus dem Flugzeug stieg, sah sie einen Flughafen-Mitarbeiter. Er rief ihr mit osteuropäischen Akzent zur Begrüßung zu: "Corona!"

Der Flughafenmitarbeiter rief zur Begrüßung nur: "Corona!"

Deenara Rasulewa

Hunde müssen in Deutschland bleiben

Kaum zuhause angekommen, teilte Deenara über soziale Netzwerke den Post einer Russin, die in Deutschland gestrandet war und verzweifelt nach Hilfe suchte. Valeria V. war mit ihrem PKW auf dem Rückweg nach Russland und musste nach 12-stündiger Wartezeit an der polnischen Grenze wieder umkehren. Das russische Konsulat, schrieb Valeria V. im Internet, forderte alle russischen Staatsangehörigen auf, Deutschland mit dem Flugzeug zu verlassen.

Doch Valeria V. ist mit ihren zwei Hunden unterwegs. Ein Boston- und ein Border-Terrier. Der eine kann überhaupt nicht fliegen wegen seiner rassentypischen Schnauze. Und für beide auf die Schnelle entsprechend große Transportboxen zu besorgen sei in der Kürze der Zeit eh unmöglich.

Und so sucht Valeria V. verzweifelt nach Menschen, die ihre beiden Hunde vorübergehend aufnehmen können, bis die Lage sich klärt und sie wieder kommen kann, um sie abzuholen.

"Sie antworteten, Merkels Nummer haben sie nicht.“

In russischsprachigen Gruppen in den sozialen Netzwerken häufen sich gerade solche Hilferufe. Die einen suchen nach einer Gelegenheit, Medikamente oder Papiere nach Russland zu schicken. Die anderen sind verzweifelt, weil sie ein Visum und einen Termin für eine OP in Berlin haben, aber wahrscheinlich nicht einreisen dürfen.

Eine russische Bloggerin, die für einen Kurzurlaub in Berlin war und wegen der Grenzschließungen nicht nach Hause konnte, erzählte in den sozialen Netzwerken, dass sie sich von den russischen Behörden allein gelassen fühlte, dass sie keine Infos auf der Internetseite der russischen Botschaft finden konnte. Und dass ihr ein Mitarbeiter des russischen Notfallministeriums am Telefon sagte, Merkels Nummer habe er auch nicht und wisse auch sonst nicht, was zu tun sei.

Inzwischen ist die junge Frau daheim. Doch weil sie nach ihrem Post einen Shitstorm erfahren habe, möchte sie ungenannt bleiben. Auf der Internetseite der russischen Botschaft sind inzwischen zahlreiche Kontaktnummern für Rückkehrer veröffentlicht worden.

Igor Dydzinskiy (Copyright: Anna Levita Fotografie)Igor Dydzinskiy in seiner Galerie (Quelle: Anna Levita Fotografie)

Das ist eine unbeschreibliche Einigung der Menschen angesichts der Krise.

Igor Dydzinskiy

Kaffee umsonst und freies Internet für Gestrandete

Für alle, die es nicht rechtzeitig geschafft haben, Deutschland zu verlassen und nach Russland zurückzukehren, bleibt der Austausch über die sozialen Netzwerke. Und vielleicht der Besuch in der Galerie "Art.City.People.: Creative Space & Craft Coffee".

Der Betreiber Igor Dydzinskiy bietet allen, die in Berlin gestrandet sind, vielleicht kein Geld mehr haben oder keine Möglichkeit, ausgeflogen zu werden, Kaffee aufs Haus, kostenlosen Internetzugang und die Bereitschaft, über Probleme zu sprechen.

Die Reaktionen auf das Angebot sind im Netz zwiegespalten – die einen danken für die Solidarität. Die anderen ermahnen, unnötige Kontakte zu meiden, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Das Echo ist groß. "Ich habe mit einer solch überwiegend positiven und sehr aktiven Reaktion nicht gerechten. Der Post ist kaum 20 Stunden alt und es gibt inzwischen über Tausend Likes", sagt Igor Dydzinskiy. 

Die Idee für das Angebot hatte er nach einer Reportage über Menschen, die vor verschiedenen Botschaften stehen, jeder mit seinem Problem: "Ich dachte, ich kann doch in meinem Café auch etwas anbieten, selbst wenn nur ein Mensch diese Hilfe in Anspruch nimmt."

Nach dem Post hörte Igors Telefon nicht auf zu klingen. Russischsprachige Berlinerinnen und Berliner boten Hilfe an: Übernachtungsmöglichkeiten, Informationen, Kleidung."Das ist eine unbeschreibliche Einigung der Menschen angesichts der Krise", meint Igor Dydzinskiy: "Natürlich weisen mich einige in den Kommentaren auf die Quarantäne hin, aber Lokale dürfen doch bis 18 Uhr öffnen. Menschen gehen zu Arbeit und essen auswärts. Es ist nicht möglich, das Leben aufzuhalten."

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Antwort auf [Qualle] vom 21.03.2020 um 15:43
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