Vermehrt Fälle häuslicher Gewalt - Berlin will neue Notplätze für Frauen in Hotels mieten

Sa 28.03.20 | 08:12 Uhr | Von Efthymis Angeloudis und Robin Avram
Frau schaut aus dem Fenster (Quelle: imago images/Gustafsson)
Bild: imago images/Gustafsson

Schon jetzt nehmen Fälle von häuslicher Gewalt und Übergriffe in der Familie deutlich zu. Berlin möchte daher neue Notplätze für Frauen in Hotels mieten. Expertinnen rufen derweil Nachbarn und Freunde auf, besonders wachsam zu sein. Von E. Angeloudis und R. Avram

Was Sie jetzt wissen müssen

In Zeiten der Corona-Pandemie, der Ausgangsbeschränkungen und Quarantäne sollte das eigene Haus ein sicherer Rückzugsort sein. Für viele Frauen und Kinder werden die eigenen vier Wände aber jetzt zur Falle. Denn die Isolation macht ein Entrinnen vor häuslicher Gewalt oder Partnerschaftsgewalt fast unmöglich.

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) ermahnte die Länder, den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt in der Coronakrise sicherzustellen. Und auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sagte dem rbb: "Wir werden den einen oder anderen aus den Familien herausholen müssen. Wir wissen insbesondere aus Italien, dass Fälle häuslicher Gewalt zunehmen, wenn die Menschen den ganzen Tag zusammen in der Wohnung verbringen." Diesen befürchteten Anstieg verzeichnet nun auch die Polizei Berlin.

Häusliche Gewalt steigt in Berlin um 11 Prozent

In den letzten zwei Wochen stiegen die Fälle von häuslicher Gewalt um 11 Prozent, im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum. "Derzeit kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob dieser Fallzahlenanstieg mit den Pandemie-Auflagen in Zusammenhang steht oder möglicherweise mit der generellen Steigerung der Fallzahlen in den letzten Jahren", teilte ein Sprecher auf Anfrage von rbb|24 mit.

Allerdings sind sich Experten und Anlaufstellen für häusliche Gewalt sicher, dass die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung die Fallzahlen befeuern. "Die Isolation zuhause mit einem gewalttätigen Partner verschärft die Situation und erhöht die häusliche Gewalt gegenüber Frauen und Kinder", sagt Doris Felbinger, Geschäftsführerin der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, BIG e.V. gegenüber rbb|24. BIG e.V. betreibt zusammen mit fünf Fachberatungsstellen eine Hotline für Frauen, die Gewalt erfahren haben und vermittelt bei Bedarf Plätze in Frauenhäusern.

Auch Kindesmisshandlung steigt an

Doch hinter den Zahlen vermutet Felbinger nicht nur einen Anstieg der Partnerschaftsgewalt. "Auch Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen, also Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch, steigt." Deswegen sei es gerade jetzt wichtig, dass Nachbarschaft, Freundinnen und Freunde den Kontakt erhalten und im Fall von Übergriffen den Opfern den Kontakt zu Hotlines vermitteln.

Viele Frauen hätten erstmal das Bedürfnis einfach zu fragen: Ist das häusliche Gewalt, was ich erlebe? "Häusliche Gewalt kann nämlich auch ganz subtil sein", erklärt Felbinger. Wie zum Beispiel die Kontrolle über die Frau: "Was macht sie gerade? Telefoniert sie? Darf sie telefonieren?" Das könnten aber auch verbale Attacken und Psychoterror sein. "Wenn eine Frau sich nicht selbständig entscheiden kann, zählt das für uns zu häuslicher Gewalt dazu", so die Geschäftsführerin von BIG.

Senat plant Notplätze in Hotels

"Es gab bereits vor Corona wenig Frauenhausplätze", erklärt Felbinger. Deswegen sei es aber jetzt umso wichtiger, dass es Plätze gebe und das neue Plätze geschaffen werden würde. Das könnte Frauen ermutigen Hilfe zu suchen.

"34 neue Plätze kommen im Rahmen des regulären Ausbaues dazu." Außerdem hat der Senat laut Felbinger beschlossen Notplätze in einem dreistelligen Bereich in einem Hotel anzumieten, um neue Plätze zu schaffen. Dies sei für den Fall gedacht, dass keine Frauenhausplätze mehr vorhanden sind oder ein Frauenhaus wegen Quarantäne geschlossen werden muss.

"Analog zu den Frauenhausplätzen, muss es aber auch Unterbringungsunterkünfte für Täter geben." Täter von häuslicher Gewalt können laut Gewaltschutzgesetz von der Polizei 14 Tage aus dem Haus verwiesen werden. "Momentan ist es aber schwer zu sagen, suchen sie sich eine Wohnung bei Verwandten und Bekannten", so die Geschäftsführerin von BIG. "Auch für die Täter muss es Unterbringungsunterkünfte geben."

Survival-Kit für Männer unter Druck

Es gebe sogar einige Selbstmelder, die merken, dass sie Unterstützung benötigen. Doch die Programme und Kurse, zu denen sie geschickt werden könnten, fehlten. Für sie entwickelte eine Initiative der Dachorganisationen für Jungen-, Männer- und Väterarbeit aus der Schweiz, Österreich und Deutschland ein Survival-Kit für Männer unter Druck, das Männer, die das Verlangen haben, Gewalt auszuüben, dabei unterstützt, Stressmomente in der Corona-Krise zu bewältigen und zur Prävention häuslicher Gewalt beizutragen.

Umso länger die häusliche Isolation andauert, desto klarer werde allerdings, dass Frauen und Kinder aus diesen gefährlichen Situationen raus müssen, fügt Felbinger hinzu. In China haben sich die Fälle häuslicher Gewalt während der Quarantäne verdreifacht. Deswegen müsse man hier die richtigen Signale senden. "Es ist wichtig zu zeigen, dass es auch jetzt einen Ausweg für Frauen gibt."

Beitrag von Efthymis Angeloudis und Robin Avram

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Antwort auf [Schwester Constructa ] vom 28.03.2020 um 10:49
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