Meinung | Einschränkungen wegen Corona - Der ewige DDR-Vergleich

Mi 25.03.20 | 08:06 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
Debatte um Einschränkungen durch Corona (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Weil vieles nicht mehr geöffnet oder zu haben ist, weil die Politik täglich Einschränkungen verschärft, müssen viele in der Corona-Krise automatisch an das Leben in der DDR denken. Doch was taugt dieser Vergleich? Von Stefan Ruwoldt  

Was Sie jetzt wissen müssen

Die normalen täglichen Verrichtungen? - Darf man nicht mehr! Der Alltag wird eingeschränkt, obwohl man selber nichts Schlimmes gemacht hat. Sich mit Freunden in Gruppen zu treffen, ist verdächtig. Die Polizei ist unterwegs. Für das Rumlaufen jenseits des Einkaufsladens oder des kurzen Spaziergangs muss man sich gegenüber der Polizei rechtfertigen. Und über Radio und Fernsehen kommen von Politikern mit komischem Dialekt Anweisungen, die angeblich dem Gemeinwohl aller dienen. Die Anweisungen werden mit mehr oder weniger klaren Warnungen über drohende Strafen ergänzt. Der Osten ist zurück. Könnte man denken. Stimmt aber nicht.

Die Stimmung da draußen, unter den Leuten...

"Ausgangssperren – das ist ja wie in der DDR!" lautete der Themenvorschlag für diesen Beitrag. Und das Thema war eine Art Weitergabe der vermeintlichen Stimmung auf der Straße oder im Treppenhaus. Eigentlich war ich empört. Beim weiteren Darübernachdenken nun legt sich die Empörung ein wenig. Aber nur langsam.

Ja, es ist normal, dass man in Ausnahmesituationen nach Hilfen sucht, die einem den Umgang damit erleichtern, nach dem Motto: Jaja, das kenne ich schon von damals, da haben wir das und das gemacht, und dann ist das und das passiert und dann kehrte irgendwann auch wieder Normalität ein. Und natürlich gibt es für die aktuellen Beschränkungen für viele Deutsche nur wenige historische Parallelen. Da ist der DDR-Vergleich schnell zur Hand.

Wende-Erinnerungen statt an die DDR

Kollegin Sabine Rennefanz von der "Berliner Zeitung" hatte offenbar ganz genau das gleiche Erlebnis. Bei ihr war es eine Nachbarin. Diese Nachbarin erzählte, sie sei an den Osten erinnert, weil man gerade halblegal vorgehen muss, um knapp gewordene Artikel zu kriegen. Aber Rennefanz hält sich nicht auf mit dem DDR-Vergleich. Sie erinnert an die Wende und an die damals sehr schnell vergessenen Alten, an die Leute, die ihren Job verloren hatten und nicht mehr wussten, wo das Geld herkommen sollte.

Zu diesen Wende-Erinnerungen können viele Ostler so einiges beitragen. Etwa, dass es damals, 1990, so wie jetzt ein kühler, sonniger Frühling war, durch den man zu den Ämtern schlich, in der Hoffnung auf einen neuen Job oder wenigstens auf Arbeitslosengeld. Oder, dass sich die Familien mehr oder weniger freiwillig nicht mehr so oft sahen, weil die einen nicht mehr wussten, wo ihnen vor lauter neuer Arbeit der Kopf stand - und weil die anderen arbeitslos wurden und nicht mehr aus dem Haus gingen.

Was genau ist Mangelwirtschaft?

Ja, wir haben jetzt eine Krise. Ja, wir haben Politiker, die sich merkwürdig eitel verhalten und mit guten Ratschlägen überbieten. Aber die Eitlen werden gebändigt von den Pragmatikern. Immerhin. Und wir haben noch keine klare Teilung. Es kann jeden treffen, und das hilft, solidarisch zu sein. Und wer das nicht schafft, kann zumindest nützlich sein.

Keiner kann jetzt sagen, sie oder er sei Verliererin oder Profiteur. Die Rentner bekommen weiter ihre Rente und das sogar ohne Abstriche. Immerhin. Aber sie sind eingesperrt und dürfen nicht zu den Enkeln. Bei vielen ist die Arbeit weg. Die Einkünfte bröckeln. Andere wissen nicht, was sie zuerst tun sollen. Und keiner weiß, ob Sie oder Er morgen noch gesund ist.

Außerdem ist die Schule zu. Dafür aber macht jetzt vielleicht die Mutter die Sache mit der Bruchrechnung viel besser und der Vater verheddert sich bei der Kommasetzung. Geschichte macht dann noch der ältere Bruder, und zwar anhand von Beispielen: Mangelwirtschaft ist, wenn beim Rewe die Union-Sticker alle sind. Und zwar immer.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes war vom Frühling 1989 die Rede, "durch den man zu den Ämtern schlich". Die Zeitangabe war falsch, gemeint war das Jahr 1990. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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Antwort auf [rbb-24-nutzer] vom 27.03.2020 um 10:35
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