Interview | Berliner Kliniken warten auf Nachschub - "Es gibt phantastische Preissteigerungen für Schutzmaterial"

Fr 20.03.20 | 07:24 Uhr | Von Robin Avram
Symbolbild: Eine Krankenschwester lässt sich auf einem Pressetermin anlässlich des Klinikneubaus in Berlin-Buch Gummihandschuhe überstreifen. (Quelle: dpa)
Bild: dpa

Schon vor einer Woche wollte der Senat Berliner Kliniken mit Schutzmaterial beliefern - doch der Nachschub lässt weiter auf sich warten. Ärzte und Pflegekräfte fürchten um ihre Gesundheit - während manche Händler mit Mondpreisen Kasse machen.

Was Sie jetzt wissen müssen

Noch sind es erst 43 Covid-19-Patienten, die in Berliner Krankenhäusern behandelt werden (Stand: 19.3., 22 Uhr). Doch schon jetzt wird das Schutzmaterial in vielen Kliniken knapp. Das ist ein großes Problem: Um eine Ansteckung zu vermeiden, sollen Ärzte und Pfleger Atemschutzmasken, Schutzkittel und Schutzbrillen anlegen, bevor sie das Zimmer von Covid-19-Patienten betreten – und dieses Schutzmaterial nach jedem Patientenbesuch gleich entsorgen. So empfiehlt es das Robert-Koch-Institut.

Auch wenn Patienten mit typischen Covid-19-Symptomen ins Krankenhaus kommen, braucht das medizinische Personal Schutzkleidung, um sich vor Ansteckung zu schützen. Besonders Atemschutzmasken werden inzwischen in vielen Kliniken streng rationiert. "FFP2-Masken gehen nur in begründetem Verdachtsfall und nach namentlicher Austragung raus", berichtet ein Lungenfacharzt, der an einer Spezialklinik arbeitet. Und selbst in einzelnen Rettungsstellen gehen laut Mitarbeitern Atemschutzmasken langsam, aber sicher zur Neige – obwohl gerade dort Patienten mit Covid-19-Verdacht auflaufen.

rbb|24: Herr Schreiner, sind das nur Einzelfälle – oder haben viele Berliner Kliniken Probleme, Nachschub für Schutzmaterial zu organisieren?

Marc Schreiner: Die beschriebenen Beispiele sind leider keine Einzelfälle, das sind Entwicklungen, die alle Berliner Kliniken und Pflegeeinrichtungen betreffen. Wir haben die Sorge, dass wir das Material in absehbarer Zeit nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung haben. Wir haben leider sehen müssen, dass Schutzmaterial in größerem Umfang aus den Kliniken verschwunden ist: Schutzmasken, Handschuhe, Desinfektionsmittel.

Jedes Krankenhaus für sich, aber auch die Landesregierungen und die Bundesregierung tun deshalb alles Erdenkliche, um möglichst viel neues Material zu bestellen und auch zu erhalten. Aber sie können sich vorstellen, dass wir da weder als Berliner Krankenhäuser noch als Berliner Landesregierung alleine sind. Diese Situation besteht bundesweit und sogar weltweit.

Das Problem schwelt schon länger. Schon vor zwei Wochen teilte die landeseigene Klinikkette Vivantes mit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien gehalten, "auf einen ressourcenschonenden Einsatz von Einwegartikeln wie Masken, Kittel oder Schutzbrillen zu achten". Der Senat versprach Abhilfe. Wann ist denn endlich eine größere Lieferung zu erwarten?

Wir haben Informationen von der Senatsverwaltung, dass seitens des Landes eine Lieferung in kürzerer Zeit zu erwarten ist. Wir als Krankenhausgesellschaft haben die Bedarfe bei unseren Einrichtungen, also sowohl Krankenhäuser als auch Pflegeeinrichtungen, abgefragt und werden sie der Landesregierung übermitteln, so das diese, sobald die Lieferung eintritt, in der Lage ist, die Bedarfe, die Mengen und die Prioritäten festzulegen und dann die Verteilung schnellstmöglich zu organisieren.

Was heißt in kürzerer Zeit? Morgen? Übermorgen? Nächste Woche?

Die Unsicherheit bei der Beantwortung dieser Frage ist leider noch nicht aufgelöst. Wir haben hier schon seit gut einer Woche die Ankündigung, dass die Lieferung unmittelbar bevorsteht. Jetzt muss man aber auch sagen, dass die Regierungen ihr Möglichstes tun, genauso wie die Einkäufer der Krankenhäuser, um diese Lieferungen zu bewirken. Aber man kann eben auch nicht per Rechtsverordnung anordnen, dass Produkte hergestellt oder geliefert werden. Da muss man sich mit aller persönlichen überzeugungskraft mit finanziellen Mitteln am Markt behaupten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte am 18.März am späten Abend in einem "Stern TV Spezial" des Sendes RTL verkündet, dass ab Donnerstag die ersten zehn Millionen Masken an Ärzte, kassenärztliche Vereinigung und Bundesländer ausgeliefert werden sollen.

Die Leiterin eines Altenpflegeheimes sagte mir, ihr Lieferant für Schutzhandschuhe habe seine Preise kurz nach Beginn der Corona-Krise um 30 Prozent erhöht. Können Sie bestätigen, dass manche Lieferanten in der Krise nun Kasse machen wollen?

In der Tat sehen wir, dass Preise für Schutzmaterial ansteigen. Wenn man versucht, Beschaffung auf dem freien Markt zu organisieren und dann an Privatpersonen kommt, die größere Bestände aufgekauft haben, oder an Zwischenhändler: Da ist durchaus zu beobachten, dass dort phantastische Preissteigerungen aufgerufen werden. Und das ist natürlich eine ganz unschöne Entwicklung. Dass man in Zeiten der Krise dann auch noch versucht, Kasse zu machen ist unanständig.

Ist das nicht ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden – Stichwort: Preiswucher?

Die Behörden sind in der Tat aufgerufen, strafrechtliche Aspekte eines solchen Preiswuchers zu prüfen und gegebenenfalls nachzuverfolgen. Aber dies hilft uns in der gegenwärtigen Situation nicht, wo wir zwingend auf die Materialien angewiesen sind und zunächst einmal alles schlucken müssen, was uns da von den Händlern oder auch von Privatpersonen an Preisen entgegengehalten wird.

Einige Krankenhäusern haben in ihrer Not bereits Konzepte zur Wiederaufbereitung von Einmal-Material – zum Beispiel Schutzmasken – entwickelt. Wird so etwas in Berlin schon praktiziert und wenn ja, wie muss man sich das vorstellen?

Bei allem nachvollziehbaren Wunsch, Material zur Verfügung zu haben: Es gibt rechtliche Anforderungen, die das Material erfüllen muss. Wir rufen das Robert-Koch-Institut allerdings auf, zu prüfen, inwieweit die Aufbereitung auch aus wissenschaftlicher Sicht in Ordnung ist.

Und hier in Berlin müssen wir uns darüber hinaus Gedanken machen, wie wir Material auch auf kreative Weise herstellen. Es gibt noch weitere Ideen: Anamnese-Gespräche bei Covid-19-Verdachtsfällen könnten in unseren Krankenhäusern hinter Glas stattfinden. Zudem wollen wir in Bereichen, in denen der Ansteckungsgefahr gering ist, künftig mit Stoffmasken arbeiten.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Robin Avram

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Beitrag von Robin Avram

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Antwort auf [NachfragendeR] vom 20.03.2020 um 08:27
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