Schutz vor Coronavirus - Berliner Pflegeheim lässt keine Besucher mehr rein

Do 12.03.20 | 21:34 Uhr | Von Robin Avram
Symbolbild: Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor. (Quelle: dpa/C. Schmidt)
Audio: Inforadio | 12.03.2020 | Interview mit Amtsarzt Patrick Larscheid | Bild: dpa/C. Schmidt

Das Coronavirus ist in erster Linie für Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen gefährlich. Eine Berliner Pflegeheimleiterin verbietet deshalb Angehörigenbesuche komplett - ein anderer Heimleiter hält die Aufregung dagegen für übertrieben. Von Robin Avram

Was Sie jetzt wissen müssen

Am Mittwoch machte Angela Merkel (CDU) das Coronavirus zur Chefsache. "Es ist eben nicht egal, was wir tun. Es ist nicht umsonst", sagt die Bundeskanzlerin in der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte. Dass landauf, landab Veranstaltungen und Konferenzen abgesagt werden, dass das öffentliche Leben immer mehr eingeschränkt wird – das diene in erster Linie dem Schutz älterer Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen.

"Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft und unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt", sagt Merkel.

Fast zeitgleich mit dem Auftritt der Bundeskanzlerin vor der versammelten Hauptstadt-Presse beschließt auch Petra Otte, das Coronavirus zur Chefsache zu machen. Die 53-Jährige, patente Kurzhaarfrisur, leitet das Domicil-Seniorenheim in Reinickendorf mit 160 Bewohnern. Wegen der Gefahr durch das Coronavirus erlässt Otte einen Besucherstopp. Die Angehörigen aller Bewohner werden anschließend telefonisch davon unterrichtet: Ihr dürft eure Mütter, Väter, Opas und Opas nicht mehr hier im Pflegeheim besuchen. Und zwar bis auf Weiteres.

Sogar auf Beerdigungen gilt ein Umarmungs-Verbot

"Ausnahmen gibt es nur für Ärzte, Pharmazeuten und Lieferanten. Die müssen allerdings ihre eigene Schutzkleidung mitbringen, wenn sie unser Haus betreten", erläutert Otte. Raus dürfen die Bewohner nur noch, wenn es gar nicht anders geht. Etwa, wenn sie zu einem Arzt müssen.

Oder zu einer Beerdigung. Wie die Bewohnerin, deren Ehemann in der kommenden Woche zu Grabe getragen wird. "Da werden wir allerdings jemanden mitschicken, der darauf aufpasst, dass sie auf dem Friedhof anderen Menschen nicht zu nahe kommt," sagt Otte. Umarmungs-Verbot auf einer Beerdigung - auch das ist Berlin in diesem unwirklichen März 2020.

Den Besucherstopp hat Otte nicht wegen des Appells der Bundeskanzlerin verhängt. Sie ist auch keiner Empfehlung aus dem Hause der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kilayci (SPD) gefolgt. Sondern einem Schreiben des Reinickendorfer Amtsarztes Patrick Larscheid. Darin empfiehlt der Leiter des Gesundheitsamts allen Pflegeeinrichtungen seines Bezirks dringend, den Besucherverkehr drastisch einzuschränken, um Infektionsketten zu unterbrechen.

"Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass wir in der jetzigen Phase der Pandemie praktisch alle sozialen Kontakte unterbinden müssen, wenn wir noch eine Chance haben wollen, die Zahl der Infizierten möglichst niedrig zu halten", begründet der forsche Amtsarzt am Donnerstagmorgen im rbb.

Gesundheitsverwaltung: Besuche auf das "absolut Notwendige" beschränken

Ganz untätig ist aber auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalyaci (SPD) nicht. Am Dienstag lud sie kurzfristig 140 Leiter von stationären und ambulanten Pflegediensten zu einem eilig einberufenen Corona-Krisentreffen. Dabei stellten ihre Fachleute die tags zuvor vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Empfehlungen zur Covid-19-Prävention in in Altenpflegeheimen [rki.de] vor.

Besuche sollten künftig auf das absolut Notwendige beschränkt werden, heißt es auf einer Folie der Präsentation, die bei der Veranstaltung gezeigt wurde. Veranstaltungen mit externen Besuchern sollten ganz untersagt und Besuchszeiten eingeschränkt werden. Auch Kalaycis Fachleute halten die Situation für ernst.

Davon haben aber offensichtlich noch nicht alle Pflegeheime etwas mitbekommen.

"Bislang großes Verständnis"

Der Leiter eines Pflegeheims in Berlin-Lichtenberg hält dagegen nichts von einem Besucherstopp. In seinem Haus gilt nur für Besucher mit Atemwegserkrankungen ein Besuchsverbot. Weitere Einschränkungen gibt es nicht.  Der Leiter, der nicht genannt werden will, hält die Aufregung um das Coronavirus für übertrieben. "Die Grippewelle hat in dieser Saison in Deutschland bereits 300 Menschenleben gefordert, das Coronavirus gerade mal drei", sagt er. Ihn ärgere, dass sich auch sein Pflegepersonal anstecken lasse von "dieser Hysterie".

Darauf angesprochen, kontert seine Berufskollegin Otte: "In meinen 53 Lebensjahren habe ich so eine Situation wie jetzt noch nicht erlebt. Ich glaube nicht, das ganze Länder zugemacht werden, wenn das nicht gefährlicher wäre als eine Grippe."

Sie will um jeden Preis verhindern, dass einer ihrer Senioren sich mit Covid-19 infiziert. Auch ihre Pflegemitarbeiter treibt die Angst um, dass das Virus auf die Bewohner übergreifen könnte. "Sowohl bei den Angehörigen als auch bei den Bewohnern habe ich bislang großes Verständnis für den Besucherstopp geerntet", sagt Otte. Doch noch sind die Auflagen ganz frisch. Noch beginnen die Senioren die Besuche ihrer Angehörogen nicht zu vermissen. Was, wenn der Besucherstopp zwei Wochen dauert? Oder gar mehrere Monate?

In China starb bei den Über 80-Jährigen jeder siebte Infizierte

Der Chef-Virologe der Charite Christian Drosten – einer der maßgeblichen Corona-Ratgeber der Bundesregierung - rechnet damit, dass die Kontakteinschränkungen für Senioren sogar bis zum Ende des Sommers andauern könnten. In seinem "Coronavirus-Update"-Podcast beim NDR" sagte er kürzlich:

"Mein Vater ist über 70 und seine Alterskollegen, Vereinskollegen - das ist ein blühendes Vereinsleben dort im ländlichen Bereich. Die haben noch nicht verstanden, dass sie eigentlich die wirklich Betroffenen sind. Und dass auch das Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss. Der Verein, das Fitnessstudio und auch leider das Schützenfest. Dass das alles in diesem Sommer betroffen sein wird und dass es jetzt ernst ist."

Drosten warnt deshalb so eindringlich, weil er die Sterblichkeitsraten in China kennt.  Wissenschaftler des Chinese Center for Disease Control analysierten anhand von 51.000 Covid-Behandlungsverläufen, wie oft das Coronavirus in welcher Altersgruppe zum Tod führte. Ergebnis: In der Altersgruppe der 20 bis 29-Jährigen starb nur jeder 1000. - bei den über 80-jährigen Patienten erlag dagegen jeder Siebte dem Coronavirus. Und ein Imfpfstoff gegen das Virus ist laut Drosten weiterhin in weiter Ferne.

Es sind Fakten, die der Leiter der Senioreneinrichtung in Lichtenberg ganz sicher noch nicht kennt. "Alle, die das Virus jetzt abtun, werden unter Umständen die Quittung dafür bekommen", sagt seine Kollegin aus Reinickendorf Petra Otte. Sie hat das Coronavirus deshalb schon jetzt zur Chefsache gemacht.

FAQ zum Umgang mit dem Coronavirus

  • Ich fürchte, infiziert zu sein. Was tun?

  • Was passiert mit möglichen Infizierten?

  • Was passiert mit Kontaktpersonen?

  • Welche Kapazitäten haben die Kliniken?

  • Welche Reisebeschränkungen gibt es?

  • Wie viele bestätigte Fälle gibt es?

  • Ist das Virus meldepflichtig?

  • Was ist das Coronavirus?

  • Woher kommt das Virus?

  • Wie kann ich mich anstecken?

  • Wie ansteckend ist das Virus?

  • Wer ist besonders gefährdet?

  • Wie funktioniert der Test?

  • Was sind die Symptome?

  • Wie kann ich mich schützen?

  • Welche Behandlung gibt es für Infizierte?

  • Gibt es Immunität gegen das Virus?

  • Wie hoch ist die Sterberate?

Beitrag von Robin Avram

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [Evy] vom 14.03.2020 um 14:07
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren