Kollege des ersten Berliner Corona-Infizierten - "Wir gehen aus, dass fünf Kollegen ebenfalls infiziert sind"

Di 03.03.20 | 18:36 Uhr | Von Robin Avram
Symbolbild: Ein Mann sitzt krank in einem Büro. (Quelle: dpa/Christin Klose)
Bild: dpa-Symbolbild/Christin Klose

Stefan Müller* steht seit Sonntagnacht unter häuslicher Quarantäne. Er saß im Großraumbüro direkt neben dem ersten Berliner Corona-Infizierten. Im Interview erläutert er, warum er glaubt, dass es schon viel mehr Fälle in der Stadt gibt als offiziell bekannt.

Was Sie jetzt wissen müssen

rbb|24: Herr Müller* (*Name von der Redaktion geändert), Sie befinden sich derzeit wegen des Verdachts einer Corona-Infektion in häuslicher Quarantäne. Warum?

Stefan Müller: Wir sind Kollegen des ersten bestätigten Corona-Falls. Meine Partnerin und ich haben direkt neben ihm im Großraumbüro gesessen, gehören also zur Hochrisikogruppe. Wir sind insgesamt 30 Mitarbeiter im Großraumbüro, zehn von uns saßen in seiner Nähe. Sonntagnacht rief mich dann der Chef unserer Firma an und sagte mir, dass der Kollege positiv auf Corona getestet wurde.

Die Telefonnummern der zehn Mitarbeiter, die direkt in seiner Nähe gesessen haben, hat unser Chef proaktiv an das Amt weitergegeben. Seit gestern sind meine Partnerin und ich nun zu Hause – und haben über eine WhatsApp-Gruppe Kontakt mit den zehn Kollegen, die unmittelbar neben ihm gesessen haben.

Wirkte der Kollege denn schon krank auf Sie, bevor er positiv getestet wurde?

Ja, er hat bestimmt zwei Wochen lang gehustet und geschnupft. Das heißt, wir waren zwei Wochen alle im Kontakt mit ihm, acht Stunden am Tag. Wir gehen deshalb davon aus, dass mindestens die Hälfte von uns zehn Kollegen ebenfalls mit dem Virus infiziert ist. Und wir gehen davon aus, dass es viel mehr Fälle in Berlin gibt, als bisher bekannt.

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Die Gesundheitsverwaltung hatte am Dienstag bei einer Pressekonferenz zum ersten Berliner Corona-Infizierten mitgeteilt, dass der junge Mann schon länger an Krankheitssymptomen litt. Auf Nachfrage von rbb|24, ob es zutrifft, dass er zwei Wochen lang mit Krankheitssymptomen zur Arbeit ging, verwiesen sowohl Gesundheitsverwaltung als auch die Charité auf den Datenschutz des Patienten. Es dürften nur solche Informationen herausgegeben werden, die der Patient selbst vorher freigegeben habe, sagte eine Charité-Sprecherin.

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rbb|24: Fühlen sie sich denn selbst krank?

Stefan Müller: Richtig heftige Grippesymptome haben meine Partnerin und ich nicht. Es sind leichte Symptome da: ein bisschen Halskratzen und ein bisschen Gliederschmerzen. Aber es kann ja auch eine leichte Verlaufsform der Krankheit sein.

Wurden Sie und Ihre Kollegen denn inzwischen auf das Corona-Virus getestet?

Wir haben uns Montagfrüh selbst beim Bezirksamt Tempelhof gemeldet. Am Montagmittag rief dann das Bezirksamt Mitte bei uns an und hat uns versichert, dass wir noch am selben Tag alle untersucht werden sollen. Das ist aber bis jetzt noch nicht annähernd passiert. Aus der Gruppe der zehn Betroffenen, mit denen wir per Whatsapp in Kontakt sind, sind bislang nur zwei untersucht worden. Einer der beiden hat inzwischen ein positives Testergebnis, bei dem Zweiten ist der Test negativ ausgefallen.

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Die Senatsgesundheitsverwaltung prüfte auf Anfrage von rbb|24 den Fall und bestätigte schließlich, dass ein Arbeitskollege des ersten offiziellen Corona-Infizierten positiv auf das Virus Sars-CoV-2 getestet wurde, das die Krankheit Covid-19 auslöst. Damit steigt die Zahl der offiziell registrierten Erkrankten in Berlin auf sechs.

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Haben Sie denn nochmal nachgehakt, warum Sie und viele Ihrer betroffenen Kollegen noch nicht getestet wurden?

Ja, ich habe heute nochmal angerufen beim Bezirksamt Tempelhof, in dem wir gemeldet sind. Da hieß es dann auf einmal, es sollen nur diejenigen getestet werden, die leichte Symptome haben. Daraufhin habe ich angegeben, dass wir leichte Symptome haben. Morgen Vormittag soll nun eine Amtsärztin vorbei kommen, die uns hier zu Hause testet.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement des Senats bisher?

Die Informationspolitik finde ich völlig daneben. Senatorin Kalayci hat gesagt, dass alle Erstkontakte der Infizierten getestet werden, um die Kette zu unterbrechen. Als Betroffener habe ich jetzt das Gefühl, dass da eine Welle rollt, die so nicht dargestellt wird öffentlich.

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Auf Nachfrage bei der Gesundheitsverwaltung, warum die Erstkontakte in diesem Fall offenbar noch nicht getestet wurden, teilt eine Sprecherin mit: "Die Senatsgesundheitsverwaltung hat alle zuständigen Amtsärztinnen und Amtsärzte aufgefordert, umgehend die Testung aller Personen in dem Großraumbüro durchzuführen."

Ein Amtsarzt, der anonym bleiben will, äußerte jedoch Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme. Wörtlich sagte er rbb|24:

Amtsarzt (anonym): "Im Moment platzt mir gerade etwas der Kragen. Heute hat die Gesundheitssenatorin im Zusammenhang mit den fünf Corona-Fällen in Berlin gesagt, dass die 200 Kontaktpersonen getestet werden, und dann wollen wir mal schauen. Das bringt mich derart auf die Palme. Um es mal sehr deutlich zu sagen: Leute, die Kontaktpersonen sind, werden von uns isoliert. Das heißt, dass wir diese Leute für 14 Tage in eine Absonderung nehmen. Sollten diese Leute symptomatisch werden, also Erkältungssymptome zum Beispiel zeigen, dann würden wir sie testen. Aber auch nur dann. Alles andere ergibt keinen Sinn. Wenn Frau Senatorin behauptet, wir ziehen los, und streichen diese Patienten ab, dann hat sie keine Ahnung."

Interview und Recherche von Robin Avram

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Beitrag von Robin Avram

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Antwort auf [Alex] vom 05.03.2020 um 01:07
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