Corona-Krise ohne Schule - Home-Schooling ist bei uns eher Scheitern als Chance

Mo 30.03.20 | 15:51 Uhr
Unterricht zu Hause (Quelle: dpa/Voelker)
Audio: Inforadio | 27.03.2020 | Leon Stebe | Bild: dpa/Voelker)

Im Home-Office arbeitende Eltern könnten gerade mehrere Klone von sich selbst gebrauchen. Insbesondere, wenn sie schulpflichtige Kinder haben, die sie neben ihrem Job, dem Haushalt, den Einkäufen und allem anderen auch noch beschulen sollen. Von Sabine Krüger

Was Sie jetzt wissen müssen

"Na, habt ihr auch schon eure Wohnung endlich mal so richtig auf Vordermann gebracht?", fragt die kinderlose Nachbarin aus dem vierten Stock meinen Mann auf der Treppe. Sie macht Kurzarbeit, ist dadurch viel zu Hause und hat für alle möglichen Dinge Zeit.

Ich bekomme Schnappatmung, als mein Mann mir von der Frage erzählt. Von Wohnungsverschönerungen sind wir so weit entfernt wie von einer Mars-Mission. Bei uns sieht die Situation so aus: Mein Mann macht was mit Medien und das derzeit von zu Hause aus. Normalerweise fährt er er täglich mit dem Fahrrad in einen anderen Berliner Stadtteil, wo er mit ein paar Kollegen ein Büro hat. Er bleibt jetzt vor allen Dingen zu Hause, weil ich Kinderbetreuung und Home-Office auf keinen Fall alleine schaffe. 

Es ist schwer, alles unter einen Hut zu kriegen

Ich bin Nachrichten-Redakteurin beim rbb und arbeite sechs Stunden täglich. Mein Dienst beginnt morgens um acht. Derzeit bin ich in meiner vierten Woche im Home-Office. Unser Sohn ist neun Jahre alt und besucht die dritte Klasse einer Berliner Grundschule – und befindet sich nun ebenfalls im Home-Office.

Unser gemeinsames Home-Office ist 95 Quadratmeter groß, verfügt über drei Zimmer, hat einen kleinen Balkon und wird auch von unseren beiden Katern bewohnt. Hier versuchen wir also nun in der dritten Woche so etwas wie eine neue Normalität herzustellen. An der wir täglich scheitern. "Scheitern als Chance 2000", so ähnlich hieß es mal bei Schlingensief. Wir leben die Version 2020. Auf die Chance warten wir noch.

Die größte Herausforderung für uns ist derzeit ganz klar, alles unter einen Hut zu kriegen: die eigene Arbeit, das Home-Schooling, die Betreuung unseres Sohnes außerhalb seiner Beschulung, den Haushalt, die Einkäufe, das Kochen und schließlich auch noch die Versorgung unserer beiden Kater. Auch die Lebensmittel für meine 80-jährige Schwiegermutter wollen irgendwann beschafft und vor ihre Tür gestellt werden. Sie wohnt einmal durch die ganze Stadt hindurch.

Plötzlich hängen wir alle in Konferenzen - sogar das Kind

An diesem Montag sah unser früher Vormittag so aus: Ich hatte zwischen acht und zehn zwei längere Telefonschalten, mein Mann ein Kundengespräch und unser Sohn parallel seinen ersten Klassen-Chat per Video-Konferenz. Nachdem er seine Klasse jetzt zwei Wochen nicht gesehen hat, hat allein die Tatsache des Chats dafür gesorgt, dass er um halb sechs wach und sehr aufgeregt war. Das war süß, ein bisschen lustig – aber vor allen Dingen früh. Denn der Chat fand erst um 9:30 Uhr statt.

Gelernt hat unser Kind bei der Videokonferenz übrigens nicht, wie vom Lehrer beabsichtigt, Englisch. Sondern er hat den Klassenkameraden und dem Lehrer unsere Wohnung, die Kater und die auf dem ungemachten Bett eine Telefonschalte wahrnehmende Mutter im Schlafzimmer (dort steht der Schreibtisch) gezeigt. Dabei trug er den Arbeitsrechner seines Vaters, wie ich fand recht wackelig, durch die Gegend.

Jetzt, während ich diesen Text verfasse, höre ich ihn draußen schreien: "Ich hab' genug von Englisch". Mein Mann, der sein Kundengespräch hinter sich hat, versucht offensichtlich nun, Schule mit dem Kind zu machen. Es will nicht. Auf seinem improvisierten Stundenplan stehe, dass die Schule für heute vorbei sei. Na toll. Ich kann mich kaum aufs Tippen konzentrieren, so ärgert mich das. Ich bin kurz davor, rauszustürmen und rumzuschimpfen. Dann fällt mir ein, dass der Kleine am Wochenende vor uns Eltern wach war und mit seinen Schulsachen in unser Bett schlüpfte, um freiwillig etwas zu tun.

Wochenplan in der Küche (Quelle: rbb/privat)In der Küche hängt ein improvisierter Stundenplan (Quelle: privat)

Ein Brief aus Frankreich soll Eltern beruhigen

Wir hatten uns zu Beginn dieser absurden Situation geschworen, keinen unnötigen Druck zu machen. Es ist nicht immer leicht, sich daran zu halten. Ich schaffe es jetzt aber und schreibe hier weiter.

Das französische Bildungsministerium hat angeblich einen Brief an alle Eltern Frankreichs geschickt, der in schlechter Übersetzung von deutschen Eltern hin- und hergeschickt wird. Keine Ahnung, ob der echt ist (Zeit, das zu recherchieren habe ich leider gerade nicht). Drin steht, die Kinder hätten mehr Angst, als vielen Erwachsenen vielleicht klar wäre. Sie bekämen nämlich auch viel mehr mit, als man denken würde. "In den nächsten Wochen werden die Verhaltensprobleme Ihrer Kinder zunehmen. Ob es Angst, Wut oder Protest ist, dass sie die Dinge nicht normal machen können - es wird passieren. Sie werden in den kommenden Wochen weitere Anfälle, Wutanfälle und oppositionelle Verhaltensweisen sehen." Ah, wir sind jetzt wohl bei den oppositionellen Verhaltensweisen gelandet.

Man solle sich aber keine Sorgen machen, dass die Kinder "in der Schule rückwärts gehen"(das ist der Teil mit der offensichtlich kruden Übersetzung). Man solle sie auch nicht anschreien, wenn sie nicht rechnen wollen. Steht da. Gilt sicher auch für Englisch. Gut, dass ich am Schreibtisch geblieben bin.

Jede Schule verfährt anders mit den Schülern zuhause

Das Umschalten auf Laissez-faire fällt mir allerdings ein bisschen schwer. Noch vor Kurzem herrschte ja allerorten großer Leistungsdruck. Unsere deutschen Grundschüler galten als zu schlecht im internationalen Vergleich. Nun plötzlich gibt es gar keine Schule mehr. Vielmehr findet Schule überall anders und wenn überhaupt, dann zu Hause statt. Gemeinsam haben die Kinder nur: Sie gehen da nicht mehr hin.

Aus der Schule meines Sohnes, konkret von den Lehrern kommt nicht allzu viel. Alle paar Tage eine Mail mit ein paar Arbeitsblättern. Der heutige Video-Chat war der erste. Ich bin mir sicher, unser Kind würde sich – bei aller Opposition – über mehr Regelmäßigkeit und Struktur von Seiten seiner Schule durchaus freuen. Er hat nämlich auch mitbekommen, dass das bei einigen seiner Freunde total anders läuft. Unser Gartennachbar in Brandenburg, er geht in die vierte Klasse, sitzt jeden Tag vier Stunden. So viel Stoff kommt auch von seiner Schule – er muss das nur abarbeiten - und tut das auch (er ist nicht so der oppositionelle Typ).

Auch von anderen Eltern hören wir, dass die Kinder teils regelrecht mit Material bombardiert werden. Einer sollte sogar einen Mathe-Test zu Hause schreiben. Der Sohn einer Freundin, der seit dem Sommer ein Gymnasium besucht, sitzt von morgens um zehn bis nachmittags um 16 Uhr vor den Schularbeiten. 

Beim Home-Schooling Home-Office zu machen ist unmöglich

Wer auch immer versucht, während die Kinder Schule spielen Home-Office zu machen, berichtet, fast verrückt zu werden. "Kannst du mir mal helfen?", "Ich versteh das' nicht", "Das kann ich nicht" und "Das will ich nicht machen" wechseln sich ab. Dass man dabei selbst ganze Sätze zu Ende denkt oder gar schreibt, ist unmöglich.

Fast immer kommt von den Kindern, das berichten mir alle Eltern, die ich noch spreche, dann auch irgendwann und immer wieder die Frage: "Kann ich jetzt an den Computer?". Bloß nicht zu viel digitale Medien war hier ja bis vor Kurzem die Devise - sowohl von der Fachwelt als auch von pädagogisch ambitionierten Eltern. Ganz ehrlich: Wir haben die Waffen schon gestreckt. Der Medienkonsum unseres Sohnes (es ist aber auch Schulfernsehen darunter, trösten wir Eltern uns gegenseitig) hat sich um etwa 200 bis 300 Prozent gesteigert. Wir hatten unseren Sohn mit drei Mal eine halbe Stunde in der Woche vorher aber auch eher kurzgehalten. Dem Kind reicht es übrigens trotzdem nicht. Er fragt nach immer mehr. Vermutlich muss er nach der Corona-Krise in den – hoffentlich vom Bildungsministerium finanzierten – Entzug.

Es gibt schöne und auch lustige Momente

Ich witzele, aber mitunter ist bei uns die Verzweiflung doch recht groß. Wie lange schaffen wir das so? Wie kommen wir wieder raus und runter von all dem? Und natürlich vor allen Dingen: Wann nur wird es so weit sein?

Zum Glück gibt es immer wieder auch sehr schöne und lustige Momente. Schön ist es, mit dem Kind gemeinsam unter einer großen Decke zu kuscheln und Schulfernsehen anzuschauen. Hätten Sie gewusst, dass die menschliche Stimme Gläser nicht zum Zerspringen bringt, eine Maschine aber schon? Lustig, wenn auch etwas grenzwertig, war es zuletzt vor etwa einer halben Stunde: Mein Sohn unterbrach mich schon wieder beim Schreiben dieses Textes. "Mama, Papa findet Leseludi nicht im Internet". Mein Mann sagte, wenn er es eingebe, erschienen die Coverbilder einschlägiger Herrenmagazine. Kein Wunder, er hat "Lese nudi" verstanden und gesucht. Das Kind hat nun wohl auch wieder etwas gelernt. 

Inzwischen wird draußen vor meinem improvisierten Arbeitszimmer, das eigentlich ein Schlafzimmer ist, gemeinsam gekocht. Es wird Nudeln geben. Wir haben noch welche. Nur das Klopapier wird langsam knapp.

Das Schreiben des französischen Bildungsministeriums endet übrigens mit "Bleibt sicher". Worin nur, frage ich. "Zu Hause", sagt mein Mann, der sich in der Tür des Arbeitsschlafzimmers aufgebaut hat. Jetzt ist er dran mit Arbeiten. Ich glaube, er freut sich drauf. 

Sendung: Inforadio, 27.03.2020, 13:25 Uhr

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Antwort auf [Victoria] vom 31.03.2020 um 14:45
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