Faktenckeck | Maßnahmen gegen Corona - Geldgier und Panikmache?

Di 17.03.20 | 17:10 Uhr | Von Tamy Daum
Symbolbild: Junge Menschen mit Atemmasken auf der Straße. (Quelle: dpa/S. Kharchenko)
Bild: dpa/S. Kharchenko

Mehr als eine Million Aufrufe für ein Video, das die Corona-Krise in Frage stellt: Der Arzt und frühere SPD-Politiker Wolfgang Wodarg behauptet, dass die von Wissenschaft und Politik getroffenen Maßnahmen völlig überzogen seien. Ein Faktencheck von Tamy Daum

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"Endlich sagt's mal einer", werden sich einige der knapp 1,5 Millionen Menschen gedacht haben, die das Video von Wolfgang Wodarg bereits gesehen haben. Seit einer Woche ist es online, zudem kursieren weitere kurze Clips und Interviews mit dem Arzt durchs Netz. Darin erklärt der Internist, dass es Coronaviren schon immer gegeben habe, dass auch das neue SARS-CoV-2 gar nicht so neu sei und dass sich die Bundesregierung "in einem Netz von Wissenschaftlern" befinde, die selbst nur auf finanzielle Vorteile und Bekanntheit aus seien. Das alles führe laut Wodarg zu unnötiger Panikmache in der Bevölkerung.

Deutliche Kritik, die der frühere Amtsarzt und Ex-Bundestagsabgeordnete da äußert. Doch: Warum sollte sich die politische Führung aus reiner Ahnungslosigkeit in einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausnahmezustand begeben, wenn es für die Ernsthaftigkeit der Lage keine belastbaren Gründe gibt? Wir haben Wodargs zentralen Behauptungen geprüft.

SARS-CoV-2 ist nicht neu

Dass es jedes Jahr neue Viren gibt - und speziell Coronaviren bekannt sind - steht außer Frage. Viren mutieren immer wieder, um unser Immunsystem auszutricksen. Und auch die laut dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung seit den 1960er Jahren bekannten Coronaviren koönnen immer wieder im Menschen nachgewiesen werden.

SARS-CoV-2 allerdings ist, entgegen der Meinung von Wodarg, ein komplett neuer Typ dieser Virusfamilie. Er wurde 2019 zum ersten Mal in einem Menschen nachgewiesen. Als Beleg hierfür publizierten chinesische Wissenschaftler das Genom des neuartigen Virus [who.int].

Covid-19 ist nicht schlimmer als eine herkömmliche Grippe

Es ist wahr, dass in der besonders folgenreichen Influenzasaison 2017/2018 mehr als 25.000 Menschen in Deutschland an den Folgen der Grippe gestorben sind. Dieses Argument erscheint auf den ersten Blick als gut begründet, da die normale Grippe und das Coronavirus auf die gleiche Art verbreitet werden. In dieser Saison allerdings sind laut Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Deutschland nachweislich rund 200 Menschen an der Grippe gestorben. Nur ein Bruchteil also der 25.000 aus dem Jahr 2017/2018.

Außerdem ist das Coronavirus gefährlich, da sich im Gegensatz zur Grippe viel mehr Menschen damit infizieren können, weil es bislang keine Impfung dagegen gibt. Aktuelle Daten mehrerer Studien zu Covid-19 verzeichnen zum jetzigen Zeitpunkt mehr Todesfälle und häufiger schwere Krankheitsverlaäufe [worldindata.com]. Dazu zählt auch, dass SARS-CoV-2 die Lungen angreift und Patienten mit schweren Verläufen öfter auf Intensivstationen behandelt und beatmet werden müssen. Bei exponentiellem Wachstum der Infizierten, reichen die Kapazitäten in Deutschlands Krankenhäusern nicht aus: Es gibt laut Statistischem Bundesamt aktuell etwa 500.000 Krankenhaus-Betten. Davon sind durchschnittlich 110.000 nicht belegt. Auf deutschen Intensivstationen stehen 28.000 Betten, hiervon sind im Schnitt 5.890 frei. Deutlich zu wenige für die zu schätzende Anzahl Patienten, bei ungebremstem Wachstum der Infektionen.

Hinter den Maßnahmen stehen wirtschaftliche Interessen

Außerdem behauptet Wodarg, dass beratende Wissenschaftler mit Hilfe der weltweiten Aufmerksamkeit rund um das Coronavirus, in erster Linie Geld verdienen und bekannter werden wollen. Sie "wollen mitschwimmen, weil sie Geld brauchen für ihre Institute. Sie wollen wichtig werden", so Wodarg wörtlich.

Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, äußerte sich zu diesem Vorwurf in seinem täglichen Podcast beim NDR [ndr.de]. Er verdiene "keinen Cent" mit diesem Forschungsprojekt, es sei von der EU finanziert und alle Zahlungen für Transportkosten würden genau dorthin überwiesen. Drosten hatte bereits den weltweit ersten Standardtest für die 2012 präsente Krankheit MERS entwickelt, 2003 den SARS-Erreger mitentdeckt und auch hierfür einen Diagnostiktest zur Verfügung gestellt. Auch der jetzige Test für Covid-2019 stammt von ihm und seinem Team. Er sei präzise und würde nur auf den aktuellen Virustypen anschlagen. Möglich seien positive Testergebnisse sonst nur bei Coronaviren, die nicht im Menschen vorkommen. Beispielsweise solche, die allein bei Fledermäusen oder Kamelen nachgewiesen werden können.

Die Mortalitätsrate ist "falsch" erhoben und sagt wenig aus

Eine valide Mortalitätsrate von Covid-19 gibt es noch gar nicht. Es existieren einzig erste Hochrechnungen und die Zahl der registrierten Todesfälle in Folge der Erkrankung. Die jeweiligen Mortalitätsraten stammen aus unterschiedlichen Ländern [statista.com], es wurden viel zu wenige Leute bisher getestet, um eine allgemeingültige Rate zu bestimmen. Rechnet man die geschätzte Dunkelziffer mit ein, so vermutet Dr. Drosten eine aktuelle Sterblichkeitsrate von 0,3 - 0,7 Prozent. Dabei nahm er jedoch nicht in Anspruch, dass diese am Ende auch zutrifft. Dazu kommt, dass Mortalitätsraten nie die Lebensbedingungen der Bevölkerung oder der Erkrankten wiederspiegeln.

Fazit

Wolfgang Wodarg hat in der Vergangenheit bereits mehrfach staatliche Maßnahmen gegen eine Krankheit kritisiert. Als das sogenannte H1N1-Virus, umgangssprachlich als Schweinegrippe bekannt, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer Pandemie erklärt wurde, hielt er dies für falsch. Das sei im Interesse der Pharmaindustrie geschehen, damit diese Profit mit den Impfungen machen könne. Bei der Schweinegrippe-Pandemie 2010 starben 18.000 Menschen.

Fakt ist: Covid-2019 ist hoch ansteckend und vor allem für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen sehr gefährlich. Die Krankheit sollte deshalb auf keinen Fall unterschätzt werden.

FAQ zum Umgang mit dem Coronavirus

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Beitrag von Tamy Daum

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