Chat-Interview | Kathrin Passig zum Home-Office - "Ich kann auch sieben Mittagsschläfe halten"

Mi 18.03.20 | 12:57 Uhr
Home office aufgrund des Coronavirus am 13.03.2020. (Quelle: dpa/Slavko Midzor)
Bild: dpa/Slavko Midzor

Als Autorin ist Kathrin Passig das Arbeiten von zu Hause gewohnt. Sie kennt die Vor- und Nachteile gut. Schwierig sei die Nähe zum Bett, toll die Selbstbestimmung, sagt sie im Chat-Interview. Sie sieht die Verlagerung ins Home-Office für viele als Weiterentwicklung.

Was Sie jetzt wissen müssen

rbb: Ich bin ein wenig aufgeregt, das ist mein erstes Chat-Interview. Muss ich auf irgendwas achten?

Kathrin Passig: Ich hatte bisher noch nie Probleme, wenn nur zwei Personen beteiligt sind. Erst ab drei braucht man Absprachen. Anders als bei einem mündlichen Gespräch kannst du hier aber auch weiter oben noch mal einhaken. Und ich werde auch meine Antworten nachträglich ergänzen. Beides wünsche ich mir in mündlichen Gesprächen auch oft.

Das ist auf jeden Fall ein Vorteil.

Wir müssen dieses Gespräch auch nicht in Echtzeit führen. Das kann sich auch über ein paar Stunden und Tage hinziehen. Es sei denn, du hast es eilig.

Es sollte bis Sonntagabend fertig sein. Aber das schaffen wir. Ab nächster Woche müssen sehr viele Arbeitnehmer*innen ins Home-Office. Auch weil die Schulen schließen werden. Wie ist von zu Hause arbeiten für dich?

Eigentlich war ich nie ein Fan davon. Ein verlockend kurzer Weg vom Schreibtisch zum Bett ist ein Problem für mich. Zu Hause arbeite ich eigentlich vor allem dann, wenn ich nicht zu Hause bin. Bei meinem Freund in Schottland oder bei meiner Mutter in Bayern. Aber ich habe in den vergangenen Jahren wahrscheinlich 90 Prozent meiner Arbeit an irgendwelchen Küchen- und Wohnzimmertischen erledigt, im Bett und natürlich auch viel im Zug.

Was hat dich dazu gebracht, mehr von zu Hause zu arbeiten?

Mein Coworking-Space ist in letzter Zeit teurer geworden. Ich muss also jedes Mal überlegen: Gebe ich zehn Euro dafür aus, ein paar Stunden an einem richtigen Arbeitsplatz zu sitzen? Es ist also für mich unter anderem einfach billiger zu Hause – aber das ist ja für viele, die jetzt zum ersten Mal von zu Hause arbeiten, kein Argument.

Was sollte man beim Arbeiten in den eigenen vier Wänden vermeiden?

Ich weiß nicht, ob es da irgendwas gibt, das für alle gilt. Das ist ja gerade das Schöne, dass man zu Hause mehr individuellen Gestaltungsspielraum hat. Ich kann mir meine Arbeitszeit frei einteilen und Tee kochen, duschen oder sieben Mittagsschläfe halten. Aber meine Erfahrung, und das lese ich in diesen Tagen auch oft von anderen, ist: Das Bett verlassen, duschen und sich anziehen lohnt sich auch dann, wenn es technisch nicht unbedingt nötig wäre.

Klingt sinnvoll.

Als Selbstständige kenne ich diese Situationen nicht, von denen ich aus meinem festangestellten Freundeskreis höre: "Ich friere den ganzen Tag im Büro, aber mein Bürokollege verbietet das Heizen - und eine Heizmatte darf ich aus Brandschutzgründen nicht anschließen."

Ein großer Teil von Arbeit besteht aber ja nicht nur darin, vor dem Bildschirm zu sitzen, sondern sich mit anderen abzustimmen.

Ich finde die Zusammenarbeit in Messenger-Gruppen sehr gut und hilfreich. Für mich fühlt sich das tatsächlich wie Anwesenheit in einem gemeinsamen Büro an – nur ohne die Nachteile. Andere Leute haben da andere Vorlieben. Und solche Gruppen funktionieren auch nur bis zu einer bestimmten Größe gut.

Aber wir sind immer noch sehr fixiert auf Sitzungen und Anwesenheit. Werden die meisten nicht viel mehr die gemeinsame Zeit in der Kantine oder den Plausch in der Kaffeeküche vermissen?

Vieles von dem, was wir Arbeit nennen, hat wenig mit tatsächlicher Produktivität zu tun. Studien sagen übereinstimmend, dass an einem Acht-Stunden-Tag vielleicht fünf Stunden wirklich gearbeitet wird. Außer man sitzt an einer Supermarktkasse oder steht am Band. Aber das sind nicht die Tätigkeiten, die in diesen Tagen nach Hause verlegt werden.

Soziale Kontakte bringen eben Abwechslung beim Arbeiten.

Aber sie sind auch ein zweischneidiges Schwert. Wenn die Kolleginnen und Kollegen nerven oder wenn man introvertiert ist, kann das Home Office eine Erleichterung sein. Ich glaube, man kann lernen, dass Online-Sozialkontakte keine minderwertigen Sozialkontakte sind. Und die Nichtanwesenheit hat im Vergleich zur körperlichen Anwesenheit den Vorteil, dass man die anderen auch mal stumm schalten kann. Oder erst mal laut schimpfen, bevor man dann eine leise und besonnene Antwort schreibt.

Aber bestimmte Berufsgruppen sind ja auf Anwesenheit angewiesen. Zum Beispiel an der Supermarktkasse. Zeigt, dass nur bestimmte Berufsgruppen ins Home Office können, nicht auch, wie in der Arbeitswelt zunehmend die Lebensrealitäten auseinanderdriften?

Einerseits ja. Andererseits war das Home Office vor zweihundert Jahren für die meisten Berufsgruppen die Regel. Arbeiten und Wohnen waren räumlich stärker durchmischt. Ich glaube, es ist schon mal ein Fortschritt, wenn diejenigen, deren körperliche Anwesenheit nicht zwingend erforderlich ist, auch von woanders arbeiten dürfen. Und vielleicht können von einer verstärkten Diskussion dieser Fragen langfristig dann auch die anderen profitieren.

Da muss aber auch noch über Fragen von Arbeitssicherheit und Schutz vor Ausbeutung gesprochen werden. Anwesenheit schützt ja auch Arbeitnehmer*innen. Niemand sieht mich, wenn ich mich im Home Office mit Grippe kaputt arbeite.

Verluste sind immer leichter zu sehen als Gewinne, weil wir den bisherigen Zustand kennen und den neuen noch nicht. Stellen wir uns die umgekehrte Situation vor: Bis gerade eben haben fast alle zu Hause gearbeitet. Und jetzt werden sie dazu aufgefordert, sich jeden Tag an einem bestimmten, womöglich weit entfernten an einem bestimmten, womöglich weit entfernten Ort einzufinden und dort acht Stunden lang zu bleiben. Da würden bestimmt auch Einwände laut:
"Ich will mir mein Essen selber aussuchen und nicht das nehmen, was die Kantine anbietet. Das Büro ist hässlich, bei mir zuhause ist es viel schöner. Und es gibt keinen Ort für einen Mittagsschlaf, obwohl die Forschung sagt, dass das gesund ist und produktiver macht. Die Fahrzeit ist eine Zumutung und auch nicht gut für die Umwelt." Und so weiter.

Ich glaube, ich brauche jetzt mal so einen Mittagsschlaf, wenn dich das nicht stört.

Ich mache dann auch mal einen. Praktischerweise liege ich bereits an einem sehr gut dafür geeigneten Ort. Ich muss nur noch die Augen schließen.

Ein paar Stunden später...

Interessant finde ich: Während dieses gesamten Interviews habe ich Wäsche zusammengelegt und Musik gehört. Du hast Wäsche aufgehängt und zu Mittag gegessen. Aber ich fremdle noch damit, Dinge gleichzeitig zu tun.

Ich konnte bei fast allem, was ich bisher gemacht habe, nur schwer zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit unterscheiden. Das ist sicher besonders ausgeprägt, wenn man selbstständig ist und mehrere Standbeine hat.

Zurück zum Thema: Mittlerweile geht es längst nicht mehr um von zuhause arbeiten. Menschen organisieren digitale Lesekreise über Twitter. Es gibt Überlegungen, wie man Kinder zu Hause via Internet unterrichen kann. Werden wir gerade zwangsdigitalisiert?

Ich würde eher sagen: Schon länger entstandene Lücken werden endlich geschlossen. Viele Kulturinstitutionen haben lange gezögert, irgendwas im Netz anzubieten, weil es dann ja sein könnte, dass weniger Menschen zu ihnen ins Haus kommen. Gleichzeitig ist die Konkurrenz um die Freizeit durch digitale Angebote immer weiter gewachsen. Ein motivierender Anstoß war da schon lange überfällig.

Natürlich wird in den nächsten Wochen und Monaten besonders die medizinische Versorgung und der Schutz der Bevölkerung im Vordergrund stehen. Aber es wird auch Ideen für alle andere Lebensbereiche brauchen. Wie könnte das Internet uns da weiterhelfen?

Wovon ich schon länger denke, dass das fehlt, ist eine Lösung für Fernbeziehungen oder den Kontakt zu allein lebenden Eltern, die auf eine ähnliche Art wie das Zusammenleben für Nebenbei-Kontakt sorgt. Wenn man zusammenwohnt, redet man ja nicht die ganze Zeit über etwas Interessantes. Meistens macht man einfach nur Anwesenheitsgeräusche. Aber die sind auch wichtig. Also vielleicht eine Art Fenster, das den einen Esstisch ständig mit dem anderen verbindet, oder eine ständige Audioverbindung, und zwar technisch möglichst unkompliziert. Außerdem fehlen natürlich generell möglichst einfache und vor allem vollständig fernwartbare digitale Geräte für technisch weniger erfahrene Angehörige.

Bisher konnten sich darum ja immer Kinder und Enkel kümmern. Und gerade in den nächsten Wochen und Monaten wird die Versorgung älterer Menschen besonders wichtig. Auch mit sozialen Kontakten. Und wir werden mit diesen Provisorien vermutlich eine Weile leben müssen. Vieles könnte sich sogar dauerhaft etablieren, oder?

Das hoffe ich sehr. Also dass zum Beispiel Universitäten, Schulen und Arbeitgeber merken: Es geht ja doch mehr ohne körperliche Anwesenheit, als wir bisher dachten. Und dass alle ein bisschen genauer wissen, was es eigentlich für Angebote und Werkzeuge gibt. Und den Umgang damit wenigstens schon mal ausprobiert haben.

Siehst du nicht das Risiko, dass Menschen ihre alten Kommunikationsgewohnheiten einfach wieder aufgreifen, wenn sich alles normalisiert? Was braucht es, damit sich solche Angebote und Werkzeuge verstetigen?

Ich glaube wirklich, dass Ausprobieren über einen längeren Zeitraum – also ein paar Wochen bis Monate – schon ausreicht. Irgendwas ein einziges Mal kurz testen bringt nichts. Bei meiner Mutter und ihrem iPad hat das damals, 2013, etwa vier Monate gedauert. Und jetzt ist sie 77 und sagt gerade: "Ach, was wäre Corona ohne iPad! Wäre furchtbar!"

Das Interview führte Johannes Ehsan Fischer, rbbKultur. Es handelt sich um eine redigierte und geürzte Fassung.

Geführt wurde das Interview für den rbbKultur-Newsletter "Zwei vor sechs". Diesen können Sie hier abonnieren.  

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Antwort auf [Berlinerin] vom 18.03.2020 um 23:39
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