Infektionsschutzgesetz - Was der Staat bei einer Pandemie darf - und was nicht

Sa 14.03.20 | 19:28 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
Archivbild: <<Zug der Liebe>> 2019 in Berlin. (Quelle: dpa/B. Kriemann)
Bild: dpa/B. Kriemann

Bundesregierung und Länder suchen nach Möglichkeiten, die Ausbreitung des Coronavirus zu begrenzen. Quarantäne, Versammlungsverbote oder Eingriffe in die Privatsphäre – wie weit darf der Staat gehen, um eine Pandemie einzudämmen? Von Efthymis Angeloudis

Was Sie jetzt wissen müssen

Im Kampf gegen das Coronavirus hat Italien Anfang der Woche seine Sperrmaßnahmen auf das ganze Land ausgeweitet [tagesschau.de] und die Reise- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Die Bürger wurden aufgerufen, zu Hause zu bleiben, sofern sie nicht zur Arbeit müssen oder dringende Angelegenheiten zu erledigen haben. 

Aber auch hierzulande werden die Schutzmaßnahmen strenger. In Berlin und anschließend Brandenburg wurden Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern verboten, Schulen und Kitas werden geschlossen.

Angesichts der Einschränkungen, mit denen aufgrund der ausgerufenen Pandemie nun zu rechnen ist, stellt sich die Frage: Wie weit darf der Staat gehen, um eine Pandemie einzudämmen?

Was sieht denn das Gesetz bei einer Pandemie überhaupt vor?

Die Grundlage für die aktuellen Maßnahmen bietet das Infektionsschutzgesetz (IfSG), das seit 2001 in Kraft ist. Dessen Zweck ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Seine Anwendung findet es bei ansteckenden Krankheiten wie Cholera, Masern oder Ebola, aber eben auch beim Coronavirus.

Eine Verordnung von Ende Januar dieses Jahres sieht vor, dass auch das neuartige Coronavirus zu den meldepflichtigen Krankheiten zählt. Die Ärztin oder der Arzt, der bei einem Patienten den Verdacht auf eine Erkrankung stellt, muss dies unverzüglich (binnen 24 Stunden) dem Gesundheitsamt gemäß der Meldepflichtverordnung melden. Auch das Labor, das das neuartige Coronavirus bei einem Menschen nachweist, muss dies dem Gesundheitsamt melden.

Zur Bekämpfung der Infektionen sind in erster Linie die Länder und Kommunen zuständig (meistens das örtliche Gesundheitsamt), denen das Gesetz Möglichkeiten bietet, Epidemien einzudämmen.

Dürfen Grundrechte wie die Bewegungs- oder Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden?

Im Fall einer Pandemie ermächtigt das IfSG die örtlichen Gesundheitsämter, gewisse Grundrechte durch Schutzmaßnahmen einzugrenzen. Die Behörden dürfen somit Veranstaltungen und Versammlungen verbieten sowie Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa Schulen, Kindergärten, Heime oder Badeanstalten schließen.

Auch können sie Menschen verpflichten, an einem Ort zu bleiben oder bestimmte Orte nicht zu betreten. So heißt es in Paragraph 28 des IfSG: "Die Grundrechte der Freiheit der Person … der Versammlungsfreiheit … und der Unverletzlichkeit der Wohnung … werden insoweit eingeschränkt." Diese Einschränkungen müssen jedoch verhältnismäßig sein [tagesschau.de] und dürfen nur zeitlich, räumlich oder personell begrenzt gelten.

Kann man jemanden verpflichten, in Quarantäne zu gehen?

Nach Paragraph 30 des IfSG erhält der Staat die Möglichkeit, "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider" in geeigneten Krankenhäusern "abzusondern". Eine Quarantäne muss aber nicht zwingend in einem Krankenhaus erfolgen. Paragraph 30 IfSG sieht auch die Möglichkeit vor, dass Erkrankte (beziehungsweise die Verdächtigen) in häuslicher Quarantäne ausgesondert werden können, wie zum Beispiel die 2.250 Menschen, die nach Kontakt zu einer infizierten Person in Neustadt (Dosse) häuslich isoliert werden mussten.

Weiterhin können Personen, die unter Quarantäne stehen, Gegenstände weggenommen sowie Teile ihrer Post geöffnet oder zurückgehalten werden. Das IfSG sieht demnach vor, dass auch die körperliche Unversehrtheit sowie das Brief- und Postgeheimnis eingeschränkt werden können. Während Paragraph 31 vorsieht, dass auch berufliche Tätigkeitsverbote angeordnet werden können.

Dabei ist wichtig anzumerken, dass die Anordnungen unverzüglich gelten und nicht erst von einem Gericht angeordnet werden müssen - und dass sie nicht nur auf Infizierte zutreffen, sondern auch schon Verdachtsfälle betreffen können.

Was passiert, wenn sich jemand der Quarantäneanordnung widersetzt?

Kommt ein Betroffener den Anordnungen der Behörden nicht nach, kann er laut den Paragraphen 28 und 30 des IfSG "zwangsweise" in Quarantäne kommen. Die rechtliche Ermächtigung dazu gibt wie oben beschrieben Paragraph 30: "Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden".

Können, wie in Italien, ganze Städte oder Regionen abgeriegelt werden?

Laut dem IfSG ist das theoretisch möglich, allerdings wäre solch eine Maßnahme schwer mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des Gesetzes zu vereinbaren. Zwar können Rechte nach dem IfSG eingeschränkt werden, allerdings nur für Menschen, bei denen die Gefahr besteht, andere anzustecken. Sollte aber eine ganze Stadt unter Quarantäne gesetzt werden, würde dies sicherlich auch Menschen betreffen, die nicht erkrankt oder "verdächtig" sind.

Laut Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) wäre eine Quarantäne in Teilen Berlins möglich. Für den Katastrophenfall spiele man auch die Variante durch, ähnlich wie einige Kommunen in Norditalien die Stadt oder Teile davon abzuriegeln, bestätigte Innensenator Andreas Geisel (SPD) Ende Februar.

Zwar steht eine Abriegelung Berlins nicht ernsthaft zur Debatte, aber der Katastrophenschutz sei vorbereitet und mittlerweile auch ein entsprechender Krisenstab bei der Berliner Feuerwehr eingerichtet. "Die Frage ist, wie wirksam das ist und ob es in einer 3,7-Millionen-Einwohner-Stadt so umfassend funktioniert wie in oberitalienischen Kleinstädten", so Geisel.

FAQ zum Umgang mit dem Coronavirus

  • Ich fürchte, infiziert zu sein. Was tun?

  • Was passiert mit möglichen Infizierten?

  • Was passiert mit Kontaktpersonen?

  • Welche Kapazitäten haben die Kliniken?

  • Welche Reisebeschränkungen gibt es?

  • Wie viele bestätigte Fälle gibt es?

  • Ist das Virus meldepflichtig?

  • Was ist das Coronavirus?

  • Woher kommt das Virus?

  • Wie kann ich mich anstecken?

  • Wie ansteckend ist das Virus?

  • Wer ist besonders gefährdet?

  • Wie funktioniert der Test?

  • Was sind die Symptome?

  • Wie kann ich mich schützen?

  • Welche Behandlung gibt es für Infizierte?

  • Gibt es Immunität gegen das Virus?

  • Wie hoch ist die Sterberate?

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Antwort auf [Ruhnau] vom 14.03.2020 um 10:48
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