Interview | Geburtsstation Vivantes und Corona - "Auch mit Handschuhen kann man jemanden streicheln"

Do 19.03.20 | 20:52 Uhr
Symbolbild: Krankenschwestern in einer Geburtsklinik. (Quelle: imago images)
Audio: Inforadio | 19.03.2020 | Jana Göbel | Bild: imago images

Besuchsverbot für junge Väter, Schutzkleidung bei der Entbindung - in der Vivantes-Geburtstation in Friedrichshain gelten gerade besondere Regeln. Corona verändert den Alltag, erzählt Chefarzt Lars Hellmeyer. Auch eine Infizierte hat dort bereits entbunden.

rbb: Was läuft jetzt anders bei Ihnen in der Geburtsstation?

Dr. Lars Helllmeyer: Im Moment, das tut mir auch ausgesprochen leid, ist es tatsächlich so, dass wir nur noch eine Person zur Geburt zulassen. Also meistens sind das die Väter oder eine Freundin. Auf der Wochenbettstation ist es so, dass wir die Väter von den Müttern trennen müssen, dass wir also leider keine Familienzimmer mehr haben und dass leider die Mutter dann alleine auf der Station ist und von den Schwestern versorgt wird. Wir haben die Stationen abgeriegelt und haben einen Besucherstopp im ganzen Krankenhaus.

Chefarzt Dr. Hellmeyer (Quelle: Jan Roehl/Vivantes)
Chefarzt Dr. Hellmeyer | Bild: Jan Roehl/Vivantes

Wie erleben das die Mütter?

Die meisten haben tatsächlich Verständnis in dieser Situation, weil sich ja im ganzen alltäglichen Leben ganz viel ändert im Moment in der Stadt. Das bekommen ja alle mit.

Wie würden Sie die Stimmung auf der Station einschätzen?

Es gibt eine gewisse Unsicherheit, natürlich beim gesamten Personal, weil auch täglich andere Meldungen kommen. Aber alle sind sehr motiviert und halten zusammen und im Moment habe ich ganz wenig Krankmeldungen. Die Leute sehen ihren Beruf jetzt wirklich als Notwendigkeit, dass wir hier helfen müssen.

Gibt es nicht auch Kolleginnen oder Kollegen, die auch selbst Angst haben, weil sie vielleicht kleine Kinder haben, Familie?

Wir müssen natürlich gut informieren. Man weiß ja inzwischen, dass die Kinder eher nur Überträger sind, aber nicht schwer krank werden. Das ist gerade für die Eltern und fürs Personal mit kleinen Kindern ganz beruhigend, dass man weiß, dass mein eigenes Kind nicht schwer erkrankt. Aber man muss natürlich gerade mit den Großeltern aufpassen und muss diesen Kontakt vor allem vermeiden, dass jetzt die Großmutter einspringt und auf das Kind aufpasst.

Was ist denn beim Thema Geburt auch in Bezug auf Corona das Besondere - verglichen mit anderen Bereichen im Gesundheitsdienst?

Wir haben das jetzt tatsächlich im Krankenhaus schon durchlebt. Wir haben auch schon jemanden mit Corona-Infektion entbunden und sind ganz glücklich, dass sich keiner von uns infiziert hat. Das heißt, dass wir eine Hebamme und eine Fachärztin für diese Geburt abgestellt haben, dass die sich geschützt haben mit einer FFP2 Maske [Filtering Face Piece, die Redaktion] und Kittel an. Für die Infizierte stand ein Einzelzimmer zur Verfügung, in das sich das Personal in Schutzkleidung einschleust. Und wir konnten so der Frau helfen und eine gute Geburt hinkriegen. Im Moment gibt es übrigens keine Hinweise, dass das Virus in der Schwangerschaft auf Kinder übergeht. Ein Kind wird sich aber mit ziemlicher Sicherheit danach durch den Körperkontakt anstecken. Neugeborenen scheint das aber nicht viel auszumachen.

Kommen weniger Frauen ins Krankenhaus aus Sorge? Gibt es eine Tendenz zu Hausgeburten?

Also unsicher sind die Leute. Eine Tendenz zu Hausgeburten gibt es aber momentan nicht. Man merkt aber in den Notaufnahmen, dass keine Frauen mehr kommen, die was Einfaches oder eine Bagatelle haben. Jetzt gehen die Frauen tatsächlich nur noch in die Klinik, wenn sie ein Problem haben.

Wie sieht das denn mit Test aus bei Ihnen? Wenn Sie einen Verdachtsfall haben, geht das dann schnell und unkompliziert?

Also wenn wir einen hochgradigen Verdacht haben, ergreifen wir im Vorfeld die Schutzmaßnahmen. Vielen ist allerdings nicht klar, dass ganz viele Leute nicht getestet werden müssen. Also wenn jetzt eine Schwangere merkt, ich habe Erkältungssymptome, kommt ganz häufig die Anfrage, ich möchte mich testen lassen. Und das ist genau der verkehrte Weg, dass man dann ins Krankenhaus geht. Das versuchen wir auch abzublocken. Nur wenn man richtig krank ist, soll man ins Krankenhaus kommen. Und wir schützen uns und andere Patienten mit Isolationsmaßnahmen. Bis zum Beweis des Gegenteils. Die Laborproben aus den Krankenhäusern werden bevorzugt analysiert, im Vergleich zu den Abstrichstellen, die sonst in der Stadt verteilt sind.

Läuft es genauso beim Personal, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Ja aber auch hier gilt, wenn sie geschützt sind, müssen die nicht getestet werden.

Und wenn man bei der Geburt einer Frau die Hand halten muss, trauen sich die Schwestern das noch oder die Hebammen?

Jede Geburt ist sehr intim. Und natürlich hat das auch mit Körperkontakt zu tun. Aber tatsächlich sind die Hebammen mit Handschuhen geschützt und mit dem Schutzkittel. Aber auch mit Handschuhen kann man jemand streicheln. Man kann die Hand festhalten und jemanden gut begleiten.

Haben Sie genug Vorräte bei der Schutzbekleidung?

Im Moment haben wir noch genug, aber wir müssen an den Ressourcen immer mehr sparen, so dass man möglichst wenig Leute, die sich schützen müssen, mit in den OP nimmt. Das betrifft unter anderem Praktikanten, Studenten, weil wir mit Schutzbekleidung sparsam umgehen müssen.

Auch Verwandtschaft wird so wenig wie möglich reingelassen. Gibt’s da wie früher eine Glasscheibe?

Das klingt jetzt hart, aber die Leute betreten nicht mal das Krankenhaus. Was natürlich gemacht werden kann, und wozu wir auch in vielen Fällen raten werden, dass man eine ambulante Geburt macht. Wenn alles ganz normal verläuft und keine Komplikationen auftreten, kann man, nachdem unser Kinderarzt das Kind angeguckt hat, auch gern sechs  Stunden nach der Geburt ambulant nach Hause. Damit sie sich keine Infektion im Krankenhaus holt. Und das ist ja die beste Isolierungsmaßnahme. Für alle.

Raten Sie vermehrt zu ambulanten Entbindungen?

Ambulant ist für uns am einfachsten. Das heißt, die gehen direkt nach Hause und die meisten haben ja eine Hebamme zu Hause und die guckt dann nach dem Kind.

Gibt es das wieder, dass die Frau mit dem Baby am Fenster steht und der Mann draußen?

Das geht nicht, weil der Mann ja das Krankenhaus nicht betreten darf. Wozu es jetzt schon gekommen ist, dass die Frau mit dem Kind rausgeht und den Mann auf dem Klinikgelände draußen trifft.

Was sagen Sie dazu?

Also ich halte es wirklich für falsch. Erst gestern gab es eine Änderung vom Senat, dass der Vater einmal am Tag eine Stunde zu Besuch kommen darf. Ich glaube aber, dass es ganz ungünstig ist, wenn 30 Leute von draußen eine Stunde zu Besuch kommen, die vorher zum Beispiel bei den anderen Geschwisterkindern waren. Das ist glaub ich ein großes Risiko, und wir erlauben das nicht, weil das potenziell Keime ins Krankenhaus bringt.

Wie sind Sie sonst mit dem Krisenmanagement in der Stadt zufrieden?

Ich denke, bevor man jetzt neue Standorte aufmacht, neue Krankenhäuser aufbaut, sollte man daran denken, wir brauchen hier auch das Personal, das die Patientinnen versorgt. Wir sind froh, wenn wir das am eigenen Standort überhaupt hinbekommen.

Und es gibt leider aufgrund der großen Unsicherheit bisher von Bundesland zu Bundesland Diskrepanzen und Unterschiede. Deswegen finde ich es ganz wichtig, dass man hier vor Ort am eigenen Standort die nötigen Entscheidungen trifft und das individuell fürs eigene Krankenhaus festlegt.

Bekommen Sie hier im eigenen Haus die Unterstützung die Sie brauchen, z.B. bei der Kinderbetreuung für die Kinder von Mitarbeitern?

Also ich lasse manche Mitarbeiter nur noch sechs Stunden arbeiten, damit die den Partner zu Hause auslösen, dass wir aufpassen, dass alle im Team gesund bleiben. Weil auf uns kommt wirklich noch die ganze Welle zu und wir wissen überhaupt nicht, wie wir da agieren müssen. Aber wir haben hier auch vor Ort die Möglichkeit der Kinderbetreuung, das wurde hier akut eingerichtet, dass Mitarbeiter, die gar nicht wissen, wo sie das Kind lassen können, dass sie das hier in der Klinik abgeben können. Das wurde sehr schnell organisiert.

Wie sieht es aktuell beim Personal aus, das war ja ohnehin schon knapp bisher?

Das ist grundsätzlich ein Problem, dass die Einsparmaßnahmen, die in den letzten Jahren erfolgt sind, uns jetzt natürlich ein bisschen auf die Füße fallen. Aber im Moment kann ich sagen, also in meiner Klinik, dass die Hebammen alle kommen, die Schwestern kommen, die Ärzte kommen, also im Moment habe ich noch keine Ausfälle. Das kann sich aber akut ändern, wenn jemand krank wird.

Schaffen Sie jetzt weniger Entbindungen?

In allen Krankenhäusern wird ja im Moment das nicht unbedingt notwendige OP-Programm abgesagt. Dadurch entstehen Ressourcen und damit entsteht auch relativ viel Platz. Somit haben wir auch die ganze Gynäkologie bis auf die Notfälle heruntergefahren und haben dafür mehr Platz für Geburten. Das heißt, wir haben auch mehr Einzelzimmer.

Ist es dennoch möglich, dass Sie an Ihre Grenzen stoßen?

Am letzten Wochenende gab es 28 Geburten, also da gab es bisher überhaupt keine Einschränkungen. Der limitierende Faktor wird irgendwann das Personal sein. Weil zur Geburt brauche ich eine Hebamme und einen Arzt, der sich damit auskennt. Und wenn unser Personal dezimiert wird, dann haben wir ein richtiges Problem. Aber bisher ist das zum Glück nicht der Fall.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jana Göbel, Redaktion rbb24/Recherche.

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