Kommentar | Corona-Krise - Finger weg von der Ausgangssperre!

Fr 20.03.20 | 21:44 Uhr
Symbolbild: Leere Straße im Prenzlauer Berg, wegen der Corona-Krise sind kaum oder keine Leute auf der Straße. (Quelle: imago images)
Bild: imago images

Das Virus ist da und es wird bleiben, sagt nicht nur Gesundheitsminister Spahn. Eine Ausgangssperre hilft da nicht. Im Gegenteil: Sie macht alles nur schlimmer, denn wird sie konsequent durchgesetzt, produziert und liefert bald keiner mehr, meint Cornelia Koch.

Was Sie jetzt wissen müssen

Neulich war ich beim Arzt und habe mir ein Rezept für mein Schilddrüsenmedikament geholt. Die Ärztin hat mir gleich zwei Packungen verschrieben. "Dann sind Sie ein halbes Jahr versorgt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Lieferketten nicht eingehalten werden können."

Lieferketten. Das ist auch so ein Wort, das ich jetzt gelernt habe. Bisher habe ich mich immer nur über die Kolonnen von Lkw geärgert, die die Autobahnen verstopfen, weil "just in time" geliefert wird. Mit anderen Worten: Es gibt kaum noch Lagerhallen, denn "gelagert" wird auf der Autobahn.

Die Lieferkette als schwächstes Glied

Was das in Corona-Zeiten heißt, ist derzeit an den innereuropäischen Grenzen zu bestaunen. Einen Rückstau an der deutsch-polnischen Grenze von fast 60 Kilometern hat es zu schlimmsten Nachwendezeiten nicht gegeben. Ich vermute, dass da der ein oder andere Kundenauftrag nicht erfüllt werden konnte.

Das mag nicht so schlimm sein, wenn der aus Langeweile in der Quarantäne gekaufte Pullover oder das Katzenfutter nicht pünktlich ankommen. Aber wenn erstmal Herz- oder Krebsmedikamente ausbleiben, ganz zu schweigen von den dringend benötigten Schutzmasken und -anzügen für Ärzte, dann dürfte uns langsam dämmern, dass das mit den Lieferketten ein Problem werden könnte.

Das sollten alle bedenken, die lautstark "Shutdown jetzt" rufen, also eine Ausgangssperre fordern. Erste Stimmen werden laut, denen das Tempo langsam unheimlich zu werden scheint. Marcel Fratzscher, Ökonom und Professor an der Berliner Humboldt-Universität, klang nachdenklich, als er bei Markus Lanz im ZDF sagte: "Je länger der Shutdown dauert, desto permanenter ist der Schaden – auch fürs Gesundheitssystem."

Privatleute horten Masken - wozu?

Denn wer denkt, man könne die Wirtschaft mal eben so drei bis vier Monate "zu machen", sei im Irrtum, so Fratzscher. "Vier bis sechs Wochen vielleicht, danach startet sie nicht mehr neu." Man könne auch nicht Wirtschaft und Gesundheitssystem unabhängig voneinander sehen. Und da sind wir wieder bei den Lieferketten.

Masken und Schutzanzüge für Ärzte sind schon jetzt knapp. In einer Regionalzeitung lese ich Beobachtungen einer wütenden Allgemeinärztin. "Wenn ich an jemandem vorbeifahre und ihn mutterseelenallein mit einer Maske im Gesicht herumlaufen sehe, würde ich am liebsten aussteigen und ihn anschreien. Wozu braucht er die?" Wenn jemand in hohem Maße gefährdet ist durch Corona, dann seien das Ärzte wie sie, die in ständigem Kontakt mit möglicherweise oder tatsächlich Infizierten sind. "Kollegen sterben. Und Privatleute horten Masken zu Hause. Wozu? Wenn man gesund ist, braucht man keine Maske." Da nützt es nichts, wenn Produktion und Auslieferung ganz zum Stillstand kommen.

Man braucht  sicher nicht unbedingt einen Friseurtermin, den Kaffee um die Ecke und erst recht keine Corona-Partys im Park. Solange man nicht weiß, wie groß die Welle sein wird, die uns möglicherweise überrollen wird, bin ich ganz bei der Kanzlerin, die uns mahnt, Abstand zu halten, die Hände zu waschen und uns möglichst nicht in größeren Menschenmengen aufzuhalten.

Aber was das für die Frisörin und die Café-Betreiberin bedeutet, sollten wir auch nicht ganz außer Acht lassen. Fünf Millionen Freiberufler gibt es in Deutschland. Nach Corona werden es deutlich weniger sein. Und alles, was das Leben schöner macht, das kleine Café um die Ecke, das Blumengeschäft, das Programmkino, der Buchladen – all das wird es nur noch sehr eingeschränkt geben in der Nach-Corona-Zeit. Ich bezweifle, dass sich das alle klarmachen, die jetzt putzige Katzenvideos ins Netz stellen und sich beschweren, dass ihnen schon jetzt ihre Kinder auf die Nerven gehen. Abgesehen von den vielen tausend Existenzen, die jetzt krachen gehen.

"Das Virus ist da und das Virus wird bleiben"

Beim Bäcker stand gestern die Blumenfrau von nebenan. Und kämpfte mit den Tränen. In ihrem Hof welken Hunderte von Stiefmütterchen, die sie jetzt nicht mehr verkaufen kann. Die Miete für ihren Laden wird natürlich weiter vom Konto abgebucht. Und bei Brandenburg aktuell sehe ich, dass die Ministerin vorschlägt, dem Spargelbauern Studenten aufs Feld zu schicken. Als Ersatz für seine rumänischen Erntehelfer. Abgesehen davon, dass der Spargelbauer in Erinnerung an ähnliche grandios gescheiterte Versuche in zurückliegenden Jahren resigniert abwinkte, frage ich mich, welche Logik dahintersteckt, Hunderte von Studenten aufs Feld und in Gemeinschaftsunterkünfte zu schicken anstatt in die Uni.

Wie sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag? "Das Virus ist da und das Virus wird bleiben." Wir müssen einen Umgang mit ihm finden, wenn wir nicht für ewig in Schockstarre verharren wollen. Sollte sich die Krise hinziehen, werde der Absturz der Wirtschaft enorm sein, "ein schwerer und anhaltender Einbruch der Wirtschaft, die sich nicht so schnell erholt", mahnt der Ökonom Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im "Tagesspiegel". Und fügt hinzu: "Aber wir wollen kein Horrorszenario in die Welt setzen."

Warum eigentlich nicht? Aus meiner Sicht und der vieler Mittelständler und Freiberufler sind wir schon mitten drin. Und wenn Supermarktbesuche, Tanken und Gassigehen mit dem Hund erlaubt bleiben, zeigt es doch, dass wir dem Virus ohnehin nicht ganz aus dem Weg gehen können. Also Finger weg von einer Ausgangssperre!

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Kommentar

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Antwort auf [Inanna] vom 22.03.2020 um 07:44
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